Meine glückliche Familie (2017)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Ich bin dann mal weg

„Es ist wunderbar sonnig hier“, jubelt die Vermieterin der 52-jährigen Manana freudestrahlend zu. Nur die Interessentin für das neue Mietobjekt wirkt im selben Moment seltsam abwesend: Es ist, als ob sie durch die Räume ihrer neuen Wohnung am liebsten einfach nur hindurchsehen möchte. „Haben Sie Familie?“, monologisiert die Wohnungseignerin weiter, während Manana (schauspielerisch imposant: Ia Shugliashvili) auch im Anschluss mehr schweigt als wirklich etwas konkret nachzufragen.

Der Grund ihres plötzlichen Mietinteresses ist so einfach wie verzwickt: Der herzlich-resoluten Literaturlehrerin aus Tiflis reicht’s gehörig! Ständig will jemand zu Hause etwas von ihr: Wenn es in der quirlig-turbulenten Großfamilie nicht gerade ihr Mann ist, dann ist es mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Mutter (fantastisch-frotzelig: Berta Khapava). Wenn nicht gerade ein Onkel oder eine Tante an ihr herummeckern, sind es im nächsten Moment schon wieder die eigenen Sprösslinge, die unbedingt etwas von ihr haben wollen …

„Irgendwas is’ immer“ steht heute vielfach als Graffiti in einigen europäischen Städten: Es könnte das unausgesprochene Leitmotto Mananas in dieser äußerst präzisen, zart-herben Emanzipationsstudie Meine glückliche Familie von Nana Ekvtimishvili (Die langen hellen Tage) und Simon Groß (Fata Morgana) sein. Wie ein roter Faden zieht sich dabei das Thema Kommunikation versus Nicht-Kommunikation durch dieses leise daherkommende wie ironisch aufgeladene Spielfilmwunder aus Georgien, das jedoch insgesamt gehörig aufhorchen lässt – und gerade in punkto Timing (Schnitt: Stefan Stabenow), Drehbuch (Nana Ekvtimishvili) und Bildsprache (Kamera: Tudor Panduru) wahrlich Bestleistungen zu bieten hat.

Jeder palavert hier von Beginn an ohne Punkt und Komma. Ständig wird von allen Seiten auf den heftig wankenden Familienfixstern Manana verbal eingedroschen: Du sollst gefälligst dies tun, aber natürlich auch das (tun). Am besten im selben Augenblick – und zur selbstverständlichen Zufriedenheit aller Clan-Mitglieder. Nana Ekvtimishvili hat dafür bei ihrer Recherche ihren Landsleuten ordentlich auf den Mund geschaut, das merkt man von der ersten Einstellung an, und im Anschluss dieses ganze Kuddelmuddel in ebenso giftige wie aufreizende Dialogfeuerwerke umgeschrieben.

Dass sie dabei im gleichen Zug dieses noch weitgehend häufig praktizierte Großfamilien-Modell in ihrer Heimat mitunter offen kritisiert, ist sicherlich ein Allgemeinplatz, aber ein enorm wichtiger: Denn die real- wie gesellschaftspolitischen Lebens- und Beziehungsumstände in Georgien sind nach wie vor noch viel zu selten auf der Landkarte des europäischen Autorenkinos zu sehen – trotz vermehrter Festivalpräsenz (wie zum Beispiel auf der diesjährigen Berlinale).

Im selben Maße ist Meine glückliche Familie natürlich ein politisch konnotierter Affront-Film gegenüber tradierter Mama-Papa-Kinder-Modelle. Schließlich geht es hierbei – trotz aller Nebenschauplätze und Wortgefechte – im Grunde um nichts anderes als den radikalen Befreiungsversuch einer Frau, die ihr aktuelles Leben schlichtweg satthat und ab sofort nur noch selbstständig handeln möchte – ausschließlich für sich allein.

Unterstützt durch eine Reihe unerwarteter Wendungen, eine fein austarierte Besetzung in diesem dynamisch-starken Schauspielensemble sowie eine extrem authentische, ungeheuer lebensnahe Bildgestaltung gelingt es dem georgisch-deutschen Regie-Duo bis zum Ende hin Herz wie Hirn aufs Beste zu packen. Allein Piero Umilianis satirisches Nonsens-Lied Mah Nà Mah Nà fehlt hier; der Rest ist mehr als stimmig. Und dadurch zählt diese filmische Meine-schrecklich-nette-Familie-Variation schon jetzt zu den kleinen-großen Entdeckungen des laufenden Kinojahrgangs.

Meine glückliche Familie (2017)

„Es ist wunderbar sonnig hier“, jubelt die Vermieterin der 52-jährigen Manana freudestrahlend zu. Nur die Interessentin für das neue Mietobjekt wirkt im selben Moment seltsam abwesend: Es ist, als ob sie durch die Räume ihrer neuen Wohnung am liebsten einfach nur hindurchsehen möchte.

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