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Nach seinem Science-Fiction-Kammerspiel Moon knüpft Duncan Jones an dessen Szenario auf ganz andere Art an: In den dunklen Neon-Bildern einer dystopischen Vision von Berlin entwickelt der Film eine eigene Welt – oder doch nur eine allzu bekannte?

Mute (2018)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Stimmlos

Deutsche Science-Fiction ist eine Seltenheit. Mute bietet zwar mehr auf dem Papier der Produktionsumstände als in seinen Bildern eine Ausnahme davon, aber immerhin: Science-Fiction, die in Deutschland gedreht wurde. Ein düsteres Berlin der Zukunft dient Duncan Jones als Kulisse für diesen Noir-inspirierten Rache-Thriller, der als indirekter Nachfolger seines Films Moon (2009) angelegt ist. An dessen Intensität und Präzision kann Mute allerdings nur stellenweise anschließen.

Leo Beiler (Alexander Skarsgård) verliert als Kind durch einen Unfall seine Stimme. Im dystopischen Berlin, umgeben von einer durch und durch digitalisierten Welt der Technologie, hält der Amische sich als Barkeeper in einem Nachtclub über Wasser, während er in seiner Freizeit kunstvolle Holz-Schnitzereien anfertigt. Im Nachtclub arbeitet auch seine Freundin Naadirah (Seyneb Saleh). Als diese plötzlich verschwindet, liegt Leos einzige Spur beim Chirurgen und Ex-Soldaten Cactus Bill (Paul Rudd) und dessen Partner Duck Teddington (Justin Theroux). Doch die Fäden verspinnen sich immer weiter in der dunklen Unterwelt der Großstadt.

Nachdem ein kurzer Prolog zusammenfasst, wie Leo als Kind seine Stimme verlor, macht Mute schon in den ersten Bildern sein großes ästhetisches Vorbild deutlich: Die Kamera fliegt über den von Neon-Lichtern durchzogenen Moloch der Berlin-Dystopie und es ist unmöglich, dabei nicht an Ridley Scotts Blade Runner (1982) zu denken. Auch die Welt tief unten in den Häuserschluchten, ein pulsierendes Durcheinander, ständig feucht und im Dunst, voller Dreck und zwielichtiger Gestalten, lässt keinen Augenblick daran zweifeln, in welcher Tradition Mute sich sieht. Die dunklen Schatten zwischen Nachtclubs und Bordellen bilden den Schauplatz, an dem nur Verbrecher und Verlorene sich tummeln. Leo ist hier fremd: Der stumme Held, als Amischer außerhalb der von Technologie durchzogenen Welt, gerät durch schicksalhaften Zufall in die Bahn des gewalttätigen Cactus Bill. Die Wege haben sich immer schon kreuzen müssen, und es war immer schon zu spät, um dem Zusammenstoß zu entgehen.

Nun ist es nicht prinzipiell falsch, seinen Ikonen nachzueifern und Inspiration bei den Werken zu suchen, die ganze Genres nachhaltig geprägt haben. Mute wäre auch keineswegs der erste Film, der an der Grenze zwischen Hommage und Kopie plötzlich von einem eigenen Impuls erfasst etwas Neuartiges entstehen lässt. Die Klaustrophobie und Fremdbestimmtheit in Moon etwa bilden ein hinlänglich erprobtes Setting – doch gelang es dem Film, sich mit kleinen Schüben immer weiter von der bekannten Umlaufbahn zu entfernen, bis er schließlich zu ganz eigenen Bildern vordrang. Für Mute liegt dieses Potenzial vor allem im deutschen Setting: Berlin als Moloch einer Welt, über deren politische Situation allenfalls bruchstückhafte Informationen den Film durchziehen, in Halbsätzen oder Nachrichtenbildern, die im Hintergrund etwa vom Schicksal des Astronauten Sam (Sam Rockwell) aus Moon berichten.

Das zersplitterte Mosaik, das Mute entwirft, könnte dabei so faszinierend sein: Gerade weil der Film sich keine Mühe gibt, alle Eigenheiten und die Geschichte seiner Welt narrativ einzuflechten, entsteht Interesse an den offenen Fäden, die sich abseits der Erzählung um Leo weiterknüpfen. Doch der Grat zwischen Interesse und Beliebigkeit ist schmal – und es kommt der Punkt, an dem Neugier in Irritation und Ratlosigkeit umschlägt: wenn mitten im verkommenen Berlin unberührte Parks auftauchen, wenn die Hierarchie der Unterwelt plötzlich keine Rolle mehr zu spielen scheint – wenn schließlich der Film immer mehr Öffnungen anhäuft, ohne am Ende die disparaten Versatzstücke noch in einen Kontext ordnen zu können.

Mute fallen mit jeder Szene neue Ideen einer lebendigen Welt ein und zugleich scheinen alle vorherigen Ideen im gleichen Augenblick vergessen. Am Ende bleibt nur seltsame Belanglosigkeit. Trotz faszinierender Bilder verliert sich früh im Film das Interesse an den Figuren, ihren Geschichten und vor allem der Welt, die sie bewohnen. Wo mit Berlin ein starkes, eigenes Setting gewählt wird, entsteht keine eigene Vision der Stadt. Leos Hintergrundgeschichte als Amischer in der Technik-Dystopie bietet eine faszinierende Kombination, doch entwickelt der Film keine Vorstellung von seiner eigenen Figur. Wo es beständig um Prostitution, organisiertes Verbrechen und verlorene Träume geht, weiß Mute nichts anderes, als sich in all die bekannten Bilder dieser stereotypen Konstellationen zu fliehen. Was dem Film schließlich schmerzhaft fehlt, ist eine eigene Stimme.

Mute (2018)

Der seit einem Unfall in seiner Kindheit stumme Barkeeper Leo lebt im Berlin des Jahres 2052. Abgesehen von seiner schönen Freundin Naadirah hat Leos Leben nicht viel Positives zu bieten. Als diese eines Tages spurlos verschwindet, ist Leo gezwungen, sich auf eine gefährliche Mission in die Unterwelt der Stadt zu begeben. Zwei zwielichtige amerikanische Chirurgen sind zunächst seine einzige Spur. Wird es ihm gelingen, die Liebe seines Lebens wiederzufinden?

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