Mondomanila (2012)

Eine Filmkritik von Martin Gobbin

This is (not) an exploitation film

Die Arbeitsteilung im Weltkino ist klar strukturiert: Die Franzosen produzieren hermetisch-experimentelles Kunstkino, für die polymorph-perversen Formen der menschlichen Niedertracht sind die Österreicher zuständig und den Bedarf an verstörenden Auswüchsen von Sexualität und Gewalt decken Japaner und Südkoreaner gemeinsam ab. Die Filipinos wiederum haben seit einigen Jahren die Rolle des Generalbeauftragten für deprimierende Slum-Dramen inne. Abgesehen von Ausnahmen wie Lav Diaz und Raya Martin haben die philippinischen Regisseure ihre Aufgabe zuverlässig erfüllt und den Festivalbetrieb regelmäßig mit Elendsware beliefert.

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Marlon Riveras Satire The Woman in the Septic Tank parodiert diese Variation postkolonialer Ausbeutungsmechanismen, mittels der westliche Auftraggeber (Festivals, Produktionsfirmen) ihre eigenen Erwartungen von Filmemachern aus der Dritten Welt bestätigen lassen. Khavn de la Cruz, der seine zahlreichen Filme gerne mit dem Hinweis „This is not a film by Khavn“ beginnt, subvertiert diese Dialektik in Mondomanila. Zwar bestätigt er die Vorurteile westlicher Zuschauer, übersteigert seine Darstellung der Philippinen jedoch immer wieder bis ins Karikaturhafte und entlarvt das Bild, das wir uns von seinem Heimatland machen, dadurch als Projektion. So entsteht ein hochgradig verwirrender, ambivalenter Film, der die Konventionen des europäisch finanzierten Filipino-Kinos zugleich befolgt und bricht.

Nach dem Auftritt eines beinahe zahnlosen Ansagers und einer Titelsequenz mit juvenil-vulgären Comics taucht Mondomanila ab ins Grand Guignol der philippinischen Slums. Dort spielen Kinder inmitten von Müllbergen und schleimigen Abwässern – oder sie rotten sich zu gewalttätigen Banden zusammen, grillen Ratten, ficken Gänse und verkaufen andere Kinder an Pädophile. Wer einen empfindlichen Magen hat oder zu moralischer Empörung neigt, ist hier definitiv im falschen Film. Denn wie schon das „Mondo“ im Titel verrät (der Begriff bezieht sich auf eine in den 1960ern entstandene Welle an Filmen, die Gewalt und Sex auf pseudo-dokumentarische, vor allem aber sensationalistische Weise darstellen), gibt sich Khavn ganz der Exploitation hin, ästhetisiert Armut und Leid, stellt die Hässlichkeit der menschlichen Natur in ihrer ganzen Pracht aus.

Ein Junge tritt auf einen am Boden liegenden körperlich Behinderten ein, ein rassistische Hasstiraden versprühender Amerikaner missbraucht einen einheimischen Jugendlichen sexuell und „Mutter Maria“ bezwingt ihre flamboyante Vermieterin im Schlammcatchen, während die Umstehenden nicht etwa eingreifen, sondern die Kämpfenden eher noch anfeuern. Aus dieser Welt voller kleinwüchsiger, verstümmelter, bösartiger Freaks entfliehen die Kinder durch Drogen und Sex. Ein mit einem Schlips in Penis-Form bekleideter Pyromane zieht eine andere Lösung vor: Er brennt die Blechhütten der Slums nieder.

Spannender als die bloße Tatsache, dass Mondomanila sich in Dreck und Elend suhlt, ist die höchst idiosynkratische Form, mit welcher der Film dies tut. Denn Khavn kombiniert die sozialrealistische Reportage mit dem Experimentalfilm. Geradezu hyperaktiv nutzt er eine enorme Bandbreite filmsprachlicher Ausdrucksmittel. Mal rast die Wackelkamera amateurhaft-authentisch durch die Slums – dann aber entrückt sie das Geschehen durch Stilisierung, wenn die Bilder schwarz-weiß werden oder eine lesbische Orgie nahezu stummfilmhaft in Sepia-Tönen und mit einer Iris-Schablone vor der Linse zeigen.

Passend zum (ebenfalls von Khavn geschriebenen) punkigen Soundtrack entlädt sich ein Schnittgewitter, außerdem werden die Bilder durch Zeitraffer-Sequenzen beschleunigt, bis der Film plötzlich abrupt bremst und mit Standbildern arbeitet. Das Bild löst sich in bis zu 16 Split Screens auf, wird durch kaleidoskopische Perspektiven zerstückelt oder verfremdet Manila mit trippig verzerrenden Linsen und schwankenden Bildhintergründen. Khavn überfordert die Sinne seiner Zuschauer konstant und reißt sie so aus der Apathie der mundgerecht-bequemen Inszenierung des Mainstream-Kinos.

Ob der Regisseur die Kontinuität mit ironischen Werbespots, der Sichtbarkeit einer Kamera oder – Highlight! – einer aberwitzigen Musical-Choreographie (bei der auch tote Figuren wieder auferstehen und die Schauspieler out-of-character agieren) durchbricht: Dass Mondomanila stilistisch brillant ist, lässt sich kaum bestreiten. Schwieriger ist die Frage, was man vom Inhalt dieses amorph-inkonsistenten Werks halten soll. Stellt Khavn das Leid der Slumbewohner aus, um durch Ekel, Schock und Sensationen Aufmerksamkeit zu erringen? Oder gibt er den Mittel- und Machtlosen eine Stimme und lässt sie die Erwartungen der öffentlichen Wahrnehmung unterlaufen?

Die Antwort hängt letztlich vom moralischen Empfinden jedes einzelnen Zuschauers ab. Auffällig ist allerdings, dass Khavn sein filmisches Kuriositätenkabinett mit dokumentarischen Amateuraufnahmen einrahmt, die zeigen, wie Sturmfluten die Slums bedrohen und wie die Polizei mit Gewalt gegen Anwohner vorgeht, um sie zu vertreiben und für Immobilien-Investoren Platz zu schaffen. Anders als die Unterschichtsstudien eines Harmony Korine, erfährt Khavns Film so eine Verschiebung ins Politische. Ja, Mondomanila präsentiert seine Figuren als Objekte voyeuristischer Faszination. Doch die Exploitation ist hier kein Selbstzweck, sondern dient der Aufforderung, sich mit den Ursachen dieses Elends zu befassen. Viva la Rebellion!
 

Mondomanila (2012)

Die Arbeitsteilung im Weltkino ist klar strukturiert: Die Franzosen produzieren hermetisch-experimentelles Kunstkino, für die polymorph-perversen Formen der menschlichen Niedertracht sind die Österreicher zuständig und den Bedarf an verstörenden Auswüchsen von Sexualität und Gewalt decken Japaner und Südkoreaner gemeinsam ab. Die Filipinos wiederum haben seit einigen Jahren die Rolle des Generalbeauftragten für deprimierende Slum-Dramen inne.

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