Miss Hokusai

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Kunst und Familie

Es ist ohne Frage das weltweit bekannteste japanische Kunstwerk – ein in sich perfekter und harmonischer Farbholzschnitt und ein Meisterwerk des Ukiyo-e-Genres: „Die große Welle vor Kanagawa“ des Malermeisters Katsushika Hokusai, entstanden in der späten Edo-Zeit zwischen 1830 und 1836. Angeblich hat Hokusai in der japanischen Kultur auch noch den Begriff „Manga“ populär gemacht, der bis heute so ein wichtiger Teil der dortigen Kunst ist. Und auf einem Manga über Hokusai basiert auch der Animationsfilm Miss Hokusai.
Dabei hatte die bekannte Mangaka Hinako Sugiura, die sich sehr stark mit der Edo-Periode auseinandersetzte und die Vorlage zu Keiichi Haras Film lieferte, weniger den großen Meister im Fokus, sondern seine älteste, eigenwillige Tochter O-Ei. Dieser sehr aufmüpfige und erfrischende Ton, der sich aus dieser Perspektive ergibt, macht sich schon am Anfang des Films bemerkbar, wenn die Tochter über ihren Vater aus dem Off sagt: „Dieser alte Knacker, der da eine 50 Meter weite Leinwand bemalt, aber auch auch schon ein Sandkorn bemalt hat – dieser alte Mann ist mein Vater.“ Auch sonst ist das Familienverhältnis alles andere als gut. O-Ei ist selber Malerin und leidet unter dem ignoranten Vater, der nichts von ihrer Kunst hält und sie weitgehend missachtet. Schlimmer geht es da nur noch O-Eis kleiner Schwester. Sie ist blind und wird von Vater Hokusai quasi verstoßen und ignoriert. „Vater hat Angst vor der Krankheit, also hat er auch Angst vor mir.“, sagt das kleine, verständnisvolle Mädchen, so dass einem das Herz zerbricht.

Dieser Film ist kein Biopic. Er ist mehr. Hara zeichnet das Bild einer Epoche und der Stadt Edo, die wir später als Tokyo kennenlernen werden. Der Blick auf die Hokusai-Familie hat dabei nichts Voyeuristisches, sie dient dem Film als Gegenüberstellung der alten und neuen Generation, die sich in dieser Vater-Tochter-Beziehung widerspiegelt. Miss Hokusai ist aber vor allem auch ein genialer Animationsfilm, weil Hara sich der großen Herausforderung stellt, die bekannten Gemälde und Farbholzschnitte Hokusais in seiner Animation aufgehen zu lassen.

Und natürlich kommt es auch zum Nachstellen der großen Welle von Kanagawa. Doch die besonders schönen Momente des Films sind die, wenn der Film den Prozess des Malens überhöht und die Haltung des Meisters mit der Mythen- und Sagenwelt des vormodernen Japans konfrontiert. Da geht es zum Beispiel um eine Auftragsarbeit: Hokusai soll einen Drachen malen. Doch zwei Tage vor der Abgabe macht O-Ei das Bild mit einer Pfeife kaputt. Der eingeschnappte Hokusai ist wütend, macht dem Auftraggeber klar, dass wenn er sich rächen will, er doch seine Tochter umbringen soll. Doch dann setzt sich O-Ei ran und versucht, in einer Nacht den Drachen zu malen. Sie erfährt von einem Jungen, der für sie schwärmt, dass man Drachen in einem Zug malen muss, weil die Drachen sich sonst beleidigt fühlen. Als O-Ei über der Skizze einschläft, kommt es nachts zu einem Wetterphänomen (oder einer Drachenerscheinug?) und das Gemälde ist am nächsten Morgen fertig.

Doch das wird nicht weiter thematisiert. Der Film ist eher eine Abfolge von losen Episoden, die sich unterschiedlichen Begegnungen der Familienmitglieder und Freunde widmen. O-Ei ist die Arbeitsmoral ihres Vaters sehr fremd. Der Alte strebt nach einer Perfektion und einer Einheit mit seiner Kunst, die sie als verjährt wahrnimmt. Sie muss sich als junge Frau nämlich auch mit dem Leben auseinandersetzen, etwas, das den Vater scheinbar nicht mehr interessiert. O-Ei ist verliebt. Gleich in zwei Männer. Dann hütet sie noch ihre Schwester und arbeitet weiter an ihrer Malerei; sie versucht – sehr modern – Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bringen. In dieser Alltäglichkeit liegt die poetische Kraft des Films. Die Perspektivverlagerung auf die Tochter ist einleuchtend und zeichnet ein Porträt einer sehr starken Frau, deren Schicksal als Spiegel der Zeit gelten kann. Am Ende erfährt man, dass die echte Miss Hokusai irgendwann einfach verschwand. Bis heute weiß man nichts über die Umstände ihres Todes und der Zeit kurz davor. Ganz so, als hätte sie sich ein für alle Mal von allem gelöst, was sie von ihren Zielen und ihren Träumen ferngehalten hatte.

Miss Hokusai

Es ist ohne Frage das weltweit bekannteste japanische Kunstwerk – ein in sich perfekter und harmonischer Farbholzschnitt und ein Meisterwerk des Ukiyo-e-Genres: „Die große Welle vor Kanagawa“ des Malermeisters Katsushika Hokusai, entstanden in der späten Edo-Zeit zwischen 1830 und 1836. Angeblich hat Hokusai in der japanischen Kultur auch noch den Begriff „Manga“ populär gemacht, der bis heute so ein wichtiger Teil der dortigen Kunst ist.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen