Miral (2010)

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Im Namen des Volkes

Verschiedene Frauenleben, zwei unversöhnliche Positionen und eine Botschaft – auf diesen Nenner lässt sich Julian Schnabels Film Miral bringen, der in verschiedenen Episoden einen weiten Bogen über annähernd 50 Jahre israelisch-palästinenische Geschichte spannt. Weder über die verschachtelte Erzählweise des Films noch über die politischen Rezepte, auf denen Schnabels Hoffnungen und die Hauptbotschaft des Films beruhen, wird dabei etwas wirklich Neues zur anhaltenden Diskussion beigetragen. Neu und deshalb beachtenswert ist stattdessen besonders die Perspektive — auf einen Konflikt, der seit jeher fast ausschließlich von Männern geführt, geschürt und am Leben gehalten wird. Schnabel widmet sich nun insbesondere den Palästinenserinnen und dekliniert anhand dreier Frauen durch, welche Handlungsmöglichkeiten sich ihnen bieten.

Die erste dieser Frauen, dien allesamt sehr eng an reale Personen angelehnt sind, ist die aus wohlhabender Familie stammende Hind Husseini (Hiam Abbas), die 1948 durch eine zufällige Begegnung in den Straßen Jerusalems ihre Bestimmung und Lebensaufgabe findet: Als sie auf 55 Straßenkinder stieß, die dort ohne Obdach und die behütende Hand ihrer Eltern lebten, gründete sie zunächst mit ihrem eigenen Vermögen ein Mädchenheim mit angeschlossener Grund- und weiterführender Schule. Das so entstandene Dar-Al-Tifr-Institut entwickelte sich unter Husseinis Leitung zu einer Oase des Friedens und bot palästinensischen Mädchen eine der wenigen Möglichkeiten, eine gute Ausbildung zu erhalten – und das, so Husseinis feste Überzeugung, sei die einzig wirklich wichtige Grundlage für ein besseres Leben.

In einer relativ knapp gehaltenen Episode widmet sich Schnabel der Palästinenserin Nadia (Yasmine Al Masri), die als Mädchen vor den sexuellen Übergriffen des Vaters flieht und sich als Bauchtänzerin mühsam über Wasser hält und wegen eines vergleichsweise harmlosen Delikts in einem israelischen Gefängnis landet. Als sie auf den gemäßigten Geistlichen Jamal (Alexander Siddig) trifft, entsteht aus dieser Beziehung eine Tochter – eben jene Miral, deren Name dem Film seinen Titel gab. Doch das Familienleben gibt Nadia keinen Halt, sie bringt sich schließlich um, so dass ihr Vater gezwungen ist, seine Tochter in Hinds Obhut zu geben, da auch er wie Hind daran glaubt, dass eine gute Ausbildung trotz aller Widrigkeiten einen guten Start ins Leben ermöglichen kann. Allerdings machen die Realitäten des Konflikts auch nicht vor den Toren Dar-Al-Tifrs Halt. Während der ersten Intifada lernt die mittlerweile beinahe erwachsene Miral (Freida Pinto) den PLO-Unterstützer Hani (Omar Metwally) kennen und kommt durch ihn in ein Dilemma – soll sie weiter den von Hind propagierten Weg der Gewaltlosigkeit gehen oder ist in dieser verfahrenen Lage aktiver und gewalttätiger Widerstand tatsächlich das Mittel der Wahl?

Biopic und Episodenfilm, Politdrama und Kunstfilm – Julian Schnabels neues Werk Miral ist ein Film mit vielen Gesichtern. Vielleicht mit zu vielen. Dies zumindest legen die ersten Kritiken nahe, die nach der Premiere des Films beim Festival von Venedig zu lesen waren. Ein Problem war dabei sicher auch, dass die Erwartungen nach dem einhellig gelobten und zum Teil hymnisch gefeierten Vorgänger Schmetterling und Taucherglocke enorm hochgesteckt waren. Dabei sind gerade diese beiden Filme kaum miteinander zu vergleichen – was bereits bei der Erzählperspektive beginnt. Denn in Miral weitet Schnabel den Blick von der starren Subjektive eines in seinem eigenen Körper Eingeschlossenen hin zu einem multiperspektivischen Blick, in dem sich persönliche Geschichten und Weltgeschichte, Emotionen und nüchterne Analyse gegenseitig kommentieren, ergänzen und fortschreiben – mal eher beiläufig, dann wieder mit großen Interesse wie bei Hind Husseini, die als eigentliche Hauptfigur in Julian Schnabels Film fungiert und die am tiefsten beeindruckt. Was sicherlich nicht alleine daran liegt, dass diese Frau über viele Jahrzehnte beharrlich eine Vision verfolgt hat, die angesichts der verhärteten Fronten beinahe wie ein dritter Weg wirkt.

Dieser Weg, der so etwas wie den roten Faden durch den Film bildet, erinnert aus der Ferne betrachtet an den Palästinener Ismael Khatib, von dem Leon Geller und Marcus Vetter in Das Herz von Jenin berichten. In gewisser Weise versucht sich auch Schnabel an diesem dritten Weg – sein Film und das Drehbuch, das auf einem stark autobiografisch geprägten Roman seiner Lebensgefährtin Rula Jebreal beruht, sind ohne jeden Zweifel von einer tiefen Sympathie für die Sache Palästinas durchdrungen.

Dennoch ist Miral kein propagandistisches Werk, sondern ein Film der vor allem auf emotionale Anteilnahme setzt. Auch wenn dies dem Film nicht in jedem Fall und bei allen Figuren gleichermaßen gelingen mag – Miral überzeugt dann doch bei manchen inhaltlichen und erzählerischen Schwächen durch teilweise faszinierende Figuren und eine Botschaft, die zeigt, dass der Schritt zum Frieden eigentlich längst unternommen wurde, dass der ersehnte Kompromiss eigentlich gar nicht so weit entfernt liegt.

Am Schluss widmet Schnabel den Film ausdrücklich all jenen auf beiden Seiten, die sich für eine friedliche Lösung (und zwar die des 1994 in Oslo beschlossenen, aber niemals umgesetzten Friedensabkommens) einsetzen. Nach dem Film ist jedenfalls eines klar – die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden in Nahost ruht (wieder einmal) auf Frauen wie Hind Husseini.

(Michael Spiegel)
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Wenn sich der Maler und Künstler Julian Schnabel in die Welt des Kinos begibt, dann nimmt er sich meist das Leben einer realen Person vor. So verfilmte er bereits die Biographien des Graffitikünstlers Basquiat (Basquiat, 1996), des kubanischen Dichters Reinaldo Arenas (Bevor es Nacht wird, 2000) und zuletzt des Elle-Chefredakteurs Jean Dominique Bauby (Schmetterling und Taucherglocke, 2008). Da wundert es wenig, dass auch sein neuster Film Miral den Bezug zur Realität nicht aus den Augen lässt.

Miral ist die Lebensgeschichte eines gleichnamigen palästinensischen Mädchens (etwas blass und ausdruckslos: Freida Pinto). Nachdem ihre Mutter Selbstmord begeht, muss ihr liebender Vater das Mädchen über die Woche in das berühmte Waisenhaus Dar-Al-Tifl geben. Unter der Leitung der resoluten und mutigen Hind Husseini (oscarverdächtig: Hiam Abbas) wächst Miral zu einem selbstbewussten und engagierten Teenager heran. Dabei gerät sie an einige Anführer des palästinensischen Widerstands, die sie von ihren radikalen Gedanken und national-patriotischen Ideen überzeugen. Während der ersten Intifada begeht Miral eine Dummheit, die sie in einem israelischen Gefängnis mit fürchterlichen Schmerzen bezahlt. Das ist ihr zunächst eine Lehre, doch immer wieder wird Miral übermannt, von den politischen Geschehnissen ihrer Umgebung. Sie weiß nicht, ob sie kämpfen soll, wie es ihr Freund will, oder ihr Leben nach den diplomatisch-pragmatischen, aber keinesfalls unterwürfigen Prinzipien ihres Vaters und von Hind Husseini sortieren soll.

Basierend auf dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers Rula Jebral beginnt Schnabel seine Erzählung mit der Geschichte des Dar-Al-Tifl und Hind Husseini, um dann Mirals Mutter und die Schwester ihres Vaters einzuführen. Diese Vorgeschichten, die gut das erste Drittel des Films füllen, sind die vielleicht stärksten und interessantesten des gesamten Werkes. Miral erweckt den Anschein eines Episodenfilms, der in erster Linie das Schicksal der Frauen in den palästinensischen Gebieten in den Mittelpunkt stellt. Dabei schneidet Julian Schnabel immer wieder neben hoch subjektiven Einstellungen auch Dokumentarschnipsel vom Sechstagekrieg oder der Intifada in seinen Film. Er mischt die persönlichen Erinnerungen der Protagonisten mit den Kollektiven der Bevölkerung. Zusammen mit der herzerwärmenden Geschichte des Waisenhauses erhält der Film eine Spannung, die aus Miral sicherlich ein herausragendes Werk hätte machen können. Doch dann beginnt in gewisser Weise auch schon ein anderer Film.

Nach seinem visuellen Parforceritt mit Schmetterling und Taucherglocke inszeniert Julian Schnabel seinen neuen Film weit weniger experimentell. Die subjektive und klaustrophobische Kamera ist nun fast völlig verschwunden. Was noch von der Schnabel-Handschrift zeugt, sind die mitunter oft grellen Farbkompositionen. Es ist spürbar, dass Schnabel in diesem Fall die Message wesentlich wichtiger war, als die visuelle Komponente seines Films. Mit dröhnender Musik zeigt er, wie die israelischen Soldaten die Wohnhäuser der Palästinenser zerstören. Frauen weinen, Männer schreien. Szenen wie diese sind leider keine Seltenheit. Was hier von seinem Macher äußerst ernst gemeint wird, ist de facto ziemlich schrecklicher Kitsch. Das ist aber kein Wunder, wenn man Julian Schnabels politische Einstellung kennt. Er ist ein äußerst lauter und scharfer Kritiker Israels.

Öffentlich verurteilt er immer wieder die Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Miral ist viel zu stark von dieser persönlichen Einstellung des Regisseurs geprägt. Die pro-palästinensischen Töne des Films überwiegen und von einer Ausgeglichenheit der Stimmen, wie es eine Einblendung am Ende des Films wahrhaben will, kann gar nicht die Rede sein. Es scheint fast so, als wäre dem Filmemacher Julian Schnabel der Palästina-Befürworter Julian Schnabel dazwischen gekommen.

Das ist furchtbar schade, weil der Regisseur im Endeffekt die falsche Geschichte erzählt. Nicht Miral hätte hier den Vorrang verdient, sondern Hind Husseini. Er hätte die einzigartige Geschichte einer palästinensischen Mutter Theresa erzählen können, die nicht nur durch die Errichtung des Dar-Al-Tifl mehrere hundert Kinderleben rettete, sondern klüger und vorausschauender die Zeichen ihrer Zeit lesen konnte, als der Großteil der damaligen Politiker und Widerstandskämpfer.

(Festivalbericht von Patrick Wellinski)

Miral (2010)

Verschiedene Frauenleben, zwei unversöhnliche Positionen und eine Botschaft – auf diesen Nenner lässt sich Julian Schnabels Film „Miral“ bringen, der in verschiedenen Episoden einen weiten Bogen über annähernd 50 Jahre israelisch-palästinenische Geschichte spannt.

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Meinungen

Manfred · 30.11.2010

Es ist nun mal so das die Palästinenser die Leidtragenden sind. Sie haben ihr Land und jegliche Menschenrechte verloren ! ABL ich wünschte man würde dir dein Haus oder Whg nehmen und dich einsperren und dann sehen wir was da heisst die armen Palästinenser !

ABL · 18.11.2010

Ich habe den Film nicht gesehen und werde auch nicht rein gehen weil es wieder einmal klagen will-die böse Israelis hier, und dei arme Palästinenser da. Das das Medchen vom Vater vergewaltigt wird und die Mutter nichr anders weiss als sich das Leben zu nehmen, schein normal zu sein. Betont wird wie grausamm die Soldaten sind. Ich hatte persönlich die Gelegenheit gehabt in einen Weisehaus auf dem Westbank reizuschuen. Die Betreuer haben bitterlich geklagt, dass sie viel in die Ausbildung der mädchen investieren. Kaum aber dass sie 14 werden, taucht die Familie, die bis dahin gar nicht gekümmert hatte auf, und verheiratete die Mädchen mit dem erst beste Kandidaten, meist ein Mann mit einen Behinderung, denn gebildete Frauen finden keine Ehemann der vermeindlichen Aufsäsigkeit duldet.
Wann werden die "Menschenfreunde" die echte Lage von arabische Frauen beklagen? das wäre Stoff genug auch ohne böse Israelis. Frauen die in israelischen Gebiete leben führen, das weis ich auch aus erste Hand, ein freies dasein wie in keinem arabisches Land der Erde.