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Stanley Nelson hat einen fast zweistündigen Dokumentarfilm über Miles Davis gedreht. Wie viel Jazz gehört eigentlich in solch einen Film?

Miles Davis: Birth of the Cool (2019)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Einführung zu Miles Davis

„Music has always been a curse to me”, hat Miles Davis in seiner Autobiographie geschrieben – und dieser Satz, gesprochen von Carl Lumbly in der heiser-gebrochenen Stimmlage, die Miles Davis hatte, fällt auch am Anfang von Stanley Nelsons „Miles Davis – Birth of the cool“. Fast zwei Stunden dauert dieser Dokumentarfilm, der das Leben und Wirken des großen Jazzmusikers detailreich erzählt.

Entstanden ist er im Rahmen der PBS-Serie American Masters – und womöglich war der doch recht konventionelle Ansatz von vorneherein geplant. Nelson legt seinen Film vor allem als Montage des umfangreichen Archivmaterials zu Miles Davis und Interviews mit Weggefährten und Experten zurück. Dadurch gibt es sehr viele Einstellungen mit Talking Heads u.a. von dem Saxophonisten Jimmy Heath, dem Drummer Jimmy Cobb, den drei noch lebenden Mitglieder von Davis‘ 1960er Jahre Quintett – dem Bassisten Ron Carter, dem Pianisten Herbie Hancock und dem Saxophonisten Wayne Shorter. Dazu kommen Experten wie Tammy L. Kernodle, Farah Jasmine Griffin, Stanley Crouch und Jack Chambers sowie Freunde und Familienmitglieder von Miles Davis. In diesen Gesprächen wird Davis‘ Arbeitsweise deutlich, seine Künstlerpersönlichkeit reflektiert, von seiner Persönlichkeit erzählt. Immer wieder klingt durch, was er diesen Musikern und Expert*innen bedeutet hat – aber es gibt kaum längere Passagen, in denen beispielsweise die Beziehungen zueinander verhandelt werden.

Dadurch ist viel über Miles Davis zu erfahren, jedoch kommt ausgerechnet die Musik zu kurz. Trotz der Laufzeit gibt es kaum einmal mehr als zehn Sekunden, in denen niemand spricht. Sobald ein paar Takte erklingen, werden doch wieder Worte auf Davis‘ Musik gelegt, wird noch einmal etwas erklärt oder betont, als wären die Zuschauer*innen nicht in der Lage, einen längeren Moment dieser Musik zuzuhören, um die es doch schließlich geht. Die Bedeutung von epochalen Alben wie Kind of Blue wird daher durch Worte herausgestellt.

Hier fehlen die Momente der Ruhe, des Zuhörens, die den Raum eröffnen könnten, ganzheitlich zu erfassen, was die Musik Miles Davis‘ mit einem machen kann. Wie sie wirken kann. Dazu kommen zudem wiederholt sehr schnelle Bildsequenzen, die auf Jahreszahleneinblendungen folgen – und in diesem Tempo sind kaum mehr als einzelne Blicke auf diese Flut zu erhaschen. Doch nicht die Schnelligkeit ist die – wenn man so will – Magie des Jazz und insbesondere nicht Miles Davis‘ Musik.

Gut gelungen ist indes die Herausarbeitung des Rassismus, dem Davis immer wieder ausgesetzt war, insbesondere in einem Übergriff eines New Yorker Polizisten vor einem Jazzclub, der 1959 beinahe Unruhen ausgelöst hätte. Zudem wird sehr deutlich, welche Rolle Davis für Schwarze Amerikaner hatte: als eleganter, stets gut gekleideter, wohlhabender Schwarzer Amerikaner. Er verkörperte, wie Griffin sagt, „a kind of masculinity, a kind of black man who takes no shit.” Und dazu gehört es auch, dass er dafür gesorgt hat, dass auf den Albumcovern Schwarze Frauen zu sehen waren.

Bemerkenswert sind außerdem die Interviewpassagen mit Francis Taylor. Sie und Davis haben sich 1958 kennengelernt, zwei Jahre später geheiratet und sie hat ihn 1965 verlassen. Die im Jahr 2018 Verstorbene erzählt von ihrer Beziehung, ihrem Einfluss auf seine Arbeit – und von seiner Eifersucht und seiner Gewalt. Und hier gibt es einen filmischen Missgriff: Wenn sie erzählt, wie Miles Davis sie das erste Mal geschlagen hat, wird das mit einem Trommelsolo unterlegt.

Sicherlich unternimmt Nelson in seinem Film keine Heldenverehrung, weder Davis‘ Gewalt gegen Frauen noch sein Drogenmissbrauch werden ausgespart. Aber zugleich finden sich in dem Gesagten und Gezeigten, in der Montage des Materials kleinere Ausflüchte, die andeuten, dass – ganz im Rahmen des (männlichen) Geniekonzeptes – sich Künstler schlechtes Benehmen, Arroganz und Gewalt erlauben dürfen, weil es womöglich Grundlage ihrer Kreativität ist. Wenn Davis‘ spätere Freundin Marguerite Cantú von seinem gewalttätigen und missbräuchlichen Verhalten erzählt, wird daher ein kurzer Ausschnitt gezeigt, in dem Davis die Schultern zuckt. Das ist ein allzu leichtfertiger filmischer Umgang mit diesem Teil von Davis‘ Persönlichkeit.

Insgesamt aber ist der Film eine fundierte Einführung zu Miles Davis, die insbesondere Menschen, die sich bisher kaum mit ihm beschäftigt haben, einen Überblick und gute Anhaltspunkte gibt, mit welchen Alben sie anfangen könnte, ihn zu hören. Alle anderen dürften indes das Kino verlassen und nur einen Weg kennen: zum nächstliegenden Miles-Davis-Album.

Miles Davis: Birth of the Cool (2019)

Er gehörte zu den größten Jazz-Musikern des 20. Jahrhunderts – aber auch zu den widersprüchlichsten und tragischsten. Mit seinem legendären Album „Birth of the Cool“ wurde Miles Davis 1957 zu einem Vorreiter des Cool Jazz. Später experimentierte er mit anderen Musikstilen und stellte kontinuierlich Genregrenzen in Frage, um etwas völlig Neues zu schaffen. Mit seinen über 100 Alben inspirierte er zahllose Kollegen, und tut es bis heute. Doch der faszinierenden Ausnahmekünstler gab sich auch Exzessen hin und offenbarte einige seelische Abgründe. (Quelle: Filmfest München 2019)

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Meinungen

Jules · 02.01.2020

... sehr gute Analyse des Films (bzw. der Machart) ..... JZ

Klaus Huckert · 28.12.2019

Was soll dieser Film? Alter Wein in neuen Schläuchen. Bereits 2002 wurde eine Dokumentation "The Miles Davis Story" als DVD veröffentlicht. Zum großen Teil mit den selben Interviewpartnern. (Ron Carter, Wayne Shorter, Herbie Hancock) usw.