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Eine gegen alle! Die Milchbäuerin Inga nimmt in Grímur Hákonarsons neuem Film „Milchkrieg in Dalsmynni“ den Kampf gegen die örtliche Genossenschaft auf. Ob das gut geht?

Milchkrieg in Dalsmynni (2019)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Gegen die Genossenschaft

Zielstrebig geht Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) durch den Stall, kommt bei einer Kuh an, aus deren Hinterteil bereits die Füße eines Kalbes schauen. Sie bindet um diese Beine zwei Ketten und zieht. Langsam, ruhig. Sie weiß genau, was sie tut. Und schließlich ist das Kalb auf der Welt. Schon mit diesen ersten Bildern macht Grímur Hákonarson deutlich, dass seine Hauptfigur in „Milchkrieg in Dalsmynni“ weiß, was sie tut.

Die nächste Sequenz zeigt einen LKW-Fahrer, der gerade Waren anliefert und zögernd eine Nachricht mit seinem Handy verschickt. Dann wird er von den Männern, die seine Ladung vom Wagen holen, gebeten, ihnen zu helfen. Plötzlich kommt ein anderes Fahrzeug dazu, ein Mann steigt aus und verkündet den abladenden Männern, dass die Lieferung nicht von der Genossenschaft stammt und er dafür sorgen werde, dass der Maler Bjössi, der die Lieferung erhält, keine weiteren Aufträge in der Gegend mehr bekommt. Und kurze Zeit später erhält der LKW-Fahrer eine kurze Dankesnachricht.

Der LKW-Fahrer ist Reynir (Hinrik Ólafsson), Ingas Ehemann. Er wurde auf dem Hof geboren, hängt an ihm. Aber sie sind hoch verschuldet und müssen zusehen, wie sie über die Runden kommen. Es ist die Realität vieler Bauern in Island, die hier gezeigt wird. Vor über 100 Jahren ist hier die grundsätzlich gute Idee entstanden, in einer Genossenschaft zusammenzuarbeiten. Doch nun bestimmt die Genossenschaft alles: wie viel Geld die Bauern für ihre Produkte bekommen, wer Aufträge erhält – und wer nicht. Als Reynir den Genossenschaftschef Eyjólfur (Sigurdur Sigurjónsson) um ein Gespräch bittet, weil er seine Nachbarn nicht mehr verraten will, wirkt er auf der Rückfahrt zu seinem Hof beunruhigt – und kommt ums Leben.

Inga ist geschockt, sie trauert, hat anfangs die Unterstützung von Familie, Freunden und der Genossenschaft, die ihr bei der Bewirtschaftung hilft. Aber schon bald verhalten sich die Männer, die helfen, als würde der Genossenschaft der Hof gehören. Und da macht Inga nicht mit, sie übernimmt das Ruder. Als sie schließlich erfährt, wozu ihr Ehemann gezwungen wurde, hat sie die Nase voll und schreibt einen Facebook-Post über die Genossenschaftsmafia, der einiges Aufsehen erregt. Aber Inga lässt sich nicht einschüchtern.

Allein die Handlung legt einen Vergleich von Milchkrieg in Dalsmynni mit Benedikt Erlingssons Gegen den Strom nahe, in dem sich eine resolute Frau gegen die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes durch Energiekonzerne gewehrt hat. Aber Grímur Hákonarson konzentriert sich in seinem Film weitaus stärker auf den Kampf dieser Frau in dieser spezifischen Gegend. Er braucht keine Hintergrundgeschichte über einen unerfüllten Kinderwunsch, sondern allein die Ungerechtigkeit und das Ende ihres Mannes sind für Inga Antrieb genug. Sie ist eine zornige, trauernde Frau – und zeigt sich in der Wahl ihrer Rachemittel durchaus kreativ. Arndís Hrönn Egílsdottír spielt sie hervorragend.

Grímur Hákonarsons hat zuletzt mit Sture Böcke im Kino für einiges Aufsehen gesorgt, Milchkrieg in Dalsmynni ist nun ähnlich unaufgeregt inszeniert. Das zeigt sich schon an dem Moment, der in anderen Filmen Gelegenheit für einen emotionalen Höhepunkt gewesen wäre: Inga versucht, mit einigen anderen Bauern eine Alternative zur Genossenschaft zu schaffen und stellt diese Idee auf einer Milchbauernverbandsversammlung zur Abstimmung. In der Diskussion dieses Vorschlags werden in wenigen Sätzen die Geschichte und Grundidee der Genossenschaft deutlich, zudem wird erwähnt, dass es ohne Genossenschaft bald nur noch Ferienhäuser geben wird. Das ist in Island, das vom Tourismus mittlerweile regelrecht überrannt wird, ein großes Problem und für diese Bauern eine tatsächliche Bedrohung. Aber rechtfertigt sie allein das Gebaren der Genossenschaft? Als es dann schließlich zu der Abstimmung kommt, bleibt die Kamera ausschließlich auf Inga. Das Ergebnis ist nur zu hören.

Darüber hinaus geht es in diesem Film nicht um die Beziehung zweier Brüder, sondern der Blick wird von der Familie auf eine Gemeinschaft in einer spezifischen Region des Landes erweitert. In Skahafjörour gibt es die einzige Kooperative Islands, alle anderen sind in den 1990er Jahren pleite gegangen. Doch diese Genossenschaft hat überlebt, ihr gehört in der Region praktisch alles, sogar die Zeitung, wie Regisseur Grímur Hákonarson in einem Interview erklärt hat. Und diese Stellung bringt Probleme mit sich. Dadurch ist Milchkrieg in Dalsmynni ein sozialrealistischer Film über das Leben im Nordwesten Islands, über die Frage, wie viel Gemeinschaft und Abschottung nach außen gut ist. Dabei setzt er nicht auf schräge oder skurrile Charaktere, sondern auf die Stärke seines Drehbuchs und seiner Inszenierung.

Milchkrieg in Dalsmynni (2019)

Nach dem Tod ihrer Mannes muss die Bäuerin Inga sich und die Farm ganz allein durchbringen. Sie entschließt sich dazu, fortan allein nach ihren eigenen Regeln zu spielen und sagt der Korruption und Ungerechtigkeit in ihrer Gemeinde den Kampf an.

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Meinungen

Martin Zopick · 13.03.2023

Der Mann der isländischen Milchbäuerin Inga (A.H. Egilsdottir) kommt ums Leben und hinterlässt ihr einen hochverschuldeten Bauernhof. Inga muss sich mit der Genossenschaft herumschlagen und ihre Rolle als Frau verteidigen. Finanziell ist sie von der führenden Clique der Kooperative abhängig, der sie Korruption und autoritäre Gewinnmaximierung vorwirft. Diese mafiöse Verbindung droht ihr, doch Inga weiß sich zu wehren: da gibt’s schon mal ‘ne Schaufel Mist auf die Haube oder als sie die Milchabgabe stoppt, wird mit dem weißen Gold das Gewerkschaftshaus besprüht. Ungebetene Besucher vertreibt sie mit der Flinte.
Nach einer erfolgreichen Versammlung der Milchbauern bricht Regisseur Hakonarson den Plot ab. Erstaunt verfolgen wir gerade noch die Zustellung eines Insolvenzantrages an Inga (?!) Bis dahin wurde schnörkellos gradlinig erzählt ohne Selbstbeweihräucherung und ohne Eigenlob. Aber mit einer kleinen Prise Emotionen. Ein “dramatischer Vorhang“ macht etwaige weiterführende Erläuterungen zunichte. Auch andere Handlungsstränge versanden: wie z.B. eine Reporterin interviewed Inga… Sie schreibt Artikel auf Facebook… Der Tod ihres Mannes bleibt unklar… Dabei hatte alles doch so eindrucksvoll begonnen: erste Szene zeigt Inga als Geburtshelferin bei einer Kuh.
Abgesehen von kleinen Unstimmigkeiten kann man diese Nachwuchsarbeit so lassen.