Michelangelo Antonioni - Arthaus Close-Up

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Zum 100. Geburtstag

Ende der 1930er Jahre zog es einen nicht mehr ganz jungen Mann von seiner Geburtsstadt Ferrara nach Rom, um Filmemacher zu werden. Während Michelangelo Antonioni (1912-2007) hier als oftmals umstrittener journalistischer Autor überwiegend in Sachen Film sowie als Assistent bei einigen Filmprojekten tätig war, entstanden erste Drehbuchentwürfe, bis 1947 schließlich mit Gente del Po sein erster kurzer Dokumentarfilm erschien.
Sein Spielfilmdebüt Chronik einer Liebe / Cronaca di un amore von 1950 trug ihm das „Silberne Band des Sindacato Nazionale Giornalisti Cinematografici Italiani“ für seine humanen und stilistischen Werte ein, und obwohl seine Filme selten kommerzielle Erfolge darstellten, entwickelte sich der marxistisch orientierte Visionär zu einem einflussreichen Meister der Filmkunst, dessen Lebenswerk 1995 mit einem Ehren-Oscar gewürdigt wurde. In diesen Tagen jährt sich sein Geburtstag zum hundertsten Mal, und zu diesem Anlass erscheint bei Arthaus ein Close-Up mit zwei bedeutenden Filmen des italienischen Regisseurs aus den 1960er Jahren (Liebe 1962 / L’eclisse und Die rote Wüste / Il deserto rosso, zu denen sich ausführliche Besprechungen auf kino-zeit.de befinden) sowie der Episodenfilm Liebe in der Stadt / L’amore in città von 1953, zu welchem Michelangelo Antonioni das Segment Tentato suicido beisteuerte.

Da berichten ein paar junge Römerinnen (Rita Josa, Rosanna Carta u.a.) unterstützt von szenischen Darstellungen von verzweifelten Momenten in ihrem Leben, als sie versuchten, sich umzubringen. Nüchtern nennen sie ihre damaligen Gründe, die von enttäuschter Liebe und Einsamkeit handeln, und keine der Frauen vermittelt viel mehr als Gleichgültigkeit darüber, überlebt zu haben. Diese pessimistische Perspektive auf das Leben und die Liebe im urbanen Raum Roms hat Michelangelo Antonioni in kühler Manier als fiktive Reportage inszeniert, und in diesem scheinbar sachlichen Stil eines filmischen Magazins, wie der Film eingangs vorgestellt wird, erscheinen neben Tentato suicido („Versuchter Selbstmord“) auch die fünf anderen Episoden von Liebe in der Stadt, die zuvorderst durch ihren dokumentarisch gestalteten Stil und das dort repräsentierte Motiv der Stadt eine gelungen komponierte Einheit darstellen.

Den Auftakt dieses Projektes italienischer Filmemacher bildet das Segment L’amore che si paga („Käufliche Liebe“) von Carlo Lizzani, das sich dem alltäglichen Leben der römischen Bordsteinschwalben widmet, deren unspektakulär und nüchtern beschriebenes Geschäft sich in ausgewählten Straßen und Lokalen der Stadt ereignet, wo die unpathetisch auftretenden Prostituierten auch ihre Wartezeiten verbringen und angelegentlich über die Banalitäten ihres Jobs plaudern, durch welchen sie sich und teilweise auch ihre Familien ernähren. Wahre Liebe könnte sie aus ihrer Situation erretten, bemerkt der Kommentator aus dem Off abschließend, nicht ohne den milden Zynismus, der den gesamten Film durchwebt.

An Tentato suicido von Michelangelo Antonioni, der im Vorspann als „Umfrage“ hervorgehoben wird, schließt sich die Episode Paradiso per 3 ore („Paradies für 3 Stunden“) von Dino Risi an, die ein konventionelles, sonntagnachmittägliches Tanzvergnügen schildert, das durch seine rasante Dynamik und krude Komik besticht. Die Pfade einer Heiratsagentur verfolgt Federico Fellini in Agenzia matrimoniale („Ehevermittlung“) mit einem wissbegierigen Journalisten, der sich mit einer angeblich eigens für ihn auserwählten potenziellen Gattin trifft, deren naive Weltsicht ihn letztlich komplett überfordert.

Storia di Caterina („Caterinas Geschichte“) von Francesco Maselli und Cesare Zavattini, Initiator und Produzent von Liebe in der Stadt, berichtet von einer jungen, alleinstehenden Frau mit Kind und ohne Papiere, die eines Abends am Rande von Armut und Verzweiflung ihren kleinen Sohn in einem Park aussetzt und auf der Anklagebank landet. Als sechstes und letztes Segment präsentiert Alberto Lattuada seinen Beitrag Gli Italiani si voltano („Die Italiener drehen sich um“) als fröhliches Finale der städtischen Betrachtungen mit charmanten Impressionen aparter Weiblichkeiten und ihrer offensichtlichen Reize: Begehrlich-schamlose Männerblicke auf Frauenbrüste-, -hintern und -beine prägen musikalisch untermalt und wortlos das Ausgangsszenario der urbanen Bilder zum Thema Liebe.

Alles seien wahre Geschichten mit ihren authentischen Darstellern, betont mehrfach der Kommentator der „Rivista Cinematografica“, deren thematische Episoden in einen journalistisch anmutenden Rahmen eingebettet sind, der fragmentarische Situationen von Liebespaaren zeigt, bevor die Beiträge der einzelnen Regisseure folgen. „Stein, Stahl und Menschen“ – das sei die Stadt, innerhalb welcher die drei Gesichter der Liebe hier erscheinen, erläutert die begleitende Stimme: Erwartung, Begegnung und Abschied. In diesem Sinne entwirft Liebe in der Stadt als erste Ausgabe eines filmischen Magazins, das niemals fortgesetzt wurde, einen gleichermaßen kritischen wie schelmischen Blick auf unterschiedliche Aspekte des Komplexes der Liebe im Rom der frühen 1950er Jahre, der amüsant unterhält und dennoch eine gewaltige Tristesse transportiert, die den Menschen im Fluss der Zeit und Stadt als letztlich abgrundtief einsames Wesen verortet.

Das Arthaus Close-Up zum hundertsten Geburtstag von Michelangelo Antonioni versammelt drei starke Filme, die jenseits vom kommerziellen Kino den avantgardistischen Geist eines Filmemachers zum Ausdruck bringen, dessen Erfolg sich zuvorderst in seinen eigensinnigen Werken und seinem bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklungen innerhalb der Filmgeschichte spiegelt, die er um einige innovative Impulse bereichert hat.

Michelangelo Antonioni - Arthaus Close-Up

Ende der 1930er Jahre zog es einen nicht mehr ganz jungen Mann von seiner Geburtsstadt Ferrara nach Rom, um Filmemacher zu werden. Während Michelangelo Antonioni (1912-2007) hier als oftmals umstrittener journalistischer Autor überwiegend in Sachen Film sowie als Assistent bei einigen Filmprojekten tätig war, entstanden erste Drehbuchentwürfe, bis 1947 schließlich mit „Gente del Po“ sein erster kurzer Dokumentarfilm erschien.
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