Michael Verhoeven Edition

Ritter des Rechts

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ (Ingeborg Bachmann)
Michael Verhoeven, der studierte Chirurg, ist ein Sezierer mit der Kamera – erst recht, wenn es um die dunkelste deutsche Vergangenheit geht. Geboren im Dritten Reich (Jahrgang 1938), in der Reichshauptstadt Berlin und dazu noch als Sohn des berühmten Regisseurs Paul Verhoeven, den die Nazis so gerne hofierten. Im Rückblick scheint der Weg des Münchner Filmemachers, dessen Gesamtwerk inzwischen mindestens eine Hand voll Meisterwerke umfasst, fast schon vorgezeichnet gewesen zu sein: Beginn als Jungdarsteller in populären Stoffen (z.B. in Das Fliegende Klassenzimmer), dadurch oft an den Sets in Babelsberg bzw. Geiselgasteig, aufgewachsen in einem großbürgerlichen, kulturgeschwängerten Haushalt voller illustrerer Branchengrößen – und zugleich mit den Altlasten der unrühmlichen NS-Geschichte im mentalen Koffer der Kindheit.

Später wurde er nach eigener Aussage in den US-Studentenunruhen “noch politischer sozialisiert“, wohnte und praktizierte daher auch zeitweise in Boston, während seine Ehefrau Senta Berger in den USA Fuß zu fassen versuchte. Inzwischen bald 80-jährig – auch wenn man ihm das in seinem Jungengesicht nicht ansieht – ist er zum bedeutendsten Prototyp des bürgerlichen Regisseurs in Deutschland gereift: Aufklärerisch-engagiert im Duktus, politisch allseits wachsam und insgesamt sehr aufrecht in seinem persönlichen, skandalfreien Lebenswandel. Zudem glänzte er in seiner Heimatstadt München beispielsweise im heimischen Filmmuseum schon öfter als ebenso glänzender wie charmanter Rhetor bei öffentlichen Auftritten, aber auch in Interviews ist Michael Verhoeven ein angenehmer Sparringspartner, der die Macht des Wortes schätzt – und kennt.

„Einer musste ja den Anfang machen“, schleudert Lena Stolze, Verhoevens große Schauspielerentdeckung, in seinem Erfolgsfilm Die weiße Rose (1982) dem Nazi-Pack entgegen: Quasi ein Lebensmotto Verhoevens, der auch nach 50 Jahren Kino- und TV-Arbeit immer noch hochmotiviert und akribisch versucht, seinen Zuschauern gegenüber den ganzen NS-Wahnsinn aufzudecken. Um das nötige Geld für seine engagierten Leinwandausflüge zu verdienen, ist er sich deshalb nie zu schade gewesen, so manche Fernseh-Schmonzette oder bloße Auftragsarbeiten zu inszenieren: Gelungenere (Die schnelle Gerdi) stehen dabei neben recht mauen, unpersönlichen (u.a. Brot und Spiele, Tatort, Der Kommissar).

Er hat eben etwas gegen das mitunter sehr deutsche Ja-Sagertum, gegen blinde Mitläuferschaft und rechtsradikale Hassprediger oder Holocaustleugner. Zum Dank pflastern seit 1967 zahlreiche Preise (z.B. ein Berlinale-Bär für die beste Regie) und Ehrungen (u.a. das Bundesverdienstkreuz oder der Ehrenpreis des Bayerischen Filmpreises) seinen Karriereweg als Filmregisseur wie als gesellschaftspolitisch engagierter Mensch. Dies liegt zu allererst an Verhoevens humanistisch-aufklärerischem Ansatz, der einerseits den Betrachter aufrüttelt, andererseits aber auch zum Teil auf Brechtsche Verfremdungseffekte setzt (wie in Das schreckliche Mädchen oder Mutters Courage). Nüchtern-sachlich informieren und zum Nachdenken anregen, könnte dementsprechend auf der neuen Werkedition mit fünf seiner besten Spiel- und Dokumentarfilmarbeiten des Grünwalder Filmschaffenden stehen, die soeben beim Label Arthaus erschienen ist (mit wirklich gelungenem Bonusmaterial auf jeder einzelnen DVD).

Diese enthält natürlich Die weiße Rose, den erfolgreichsten deutschen Film des Jahres 1982, über den am Ende sogar im Bundestag gesprochen wurde – mit weitreichender Wirkung: Im unmittelbaren Nachklang des Filmerfolges wurden sämtliche Rechtsurteile aus der NS-Zeit innerhalb der BRD als unwirksam erklärt, da es sich dabei in Gänze um ein schreckliches Terror-System handelte, infolgedessen auch das juristische Staatswesen zum Handlanger jenes Verbrecher-Regimes avancierte. Garniert mit vorzüglichen Schauspielern wie Lena Stolze, die für ihre Verkörperung der Sophie Scholl einen Bundesfilmpreis in Gold bekam, einem jungen Ulrich Tukur an der Seite des formidablen Martin Benrath (als Professor Kurt Huber), überzeugt Verhoevens beinahe dokumentarisch angelegter Film über das Schicksal der berühmten gleichnamigen Widerstandsgruppe gerade durch seinen Verzicht auf plakative Heroisierung. Stattdessen bietet er gesellschaftliches Politkino mit Anspruch, das zu Zivilcourage aufruft, welches der Filmemacher selbst als “Aufruf zum Mut und zum Widerstand“ verstanden wissen möchte. Seriös in der behutsamen Herangehensweise, an keiner Stelle reißerisch: Michael Verhoeven ist mit Die weiße Rose ein zeitloses, angenehm um Objektivität wie möglichst hohe Authentizität bemühtes Portrait der lange Zeit totgeschwiegenen Widerstandsgruppe gelungen.

Deutlich gewagter im Zugang (z.B. mit einer Nibelungenlied-Passage am Anfang), gewürzt mit reichlich Lokalkolorit, hochklassigen bayerischen Volksschauspielern (wie Max Griesser oder Kurt Weinzierl) im Cast und und jeder Menge Kleinstadt-Satire-Versatzstücken, konnte er Ende der 1980er Jahre mit Das schreckliche Mädchen sogar international reüssieren, wofür er Verhoeven schließlich einen BAFTA-Award, einen Deutschen Filmpreis, einen Silbernen Bären sowie eine Oscar- und eine Golden-Globe-Nominierung abräumen konnte. Die New Yorker Filmkritikerelite kürte diese spritzige Politgroteske, die in kein festes Genre passen will, 1990 obendrein zur besten ausländischen Filmproduktion des Jahres. Sicherlich nicht jedermanns Sache – und keinesfalls ein großer Publikumsfilm, aber in jedem Fall ein Stück weit experimentelles, überaus eigenwilliges Autorenkino, das eine erneute Sichtung wert ist: Alleine schon wegen Otti Fischer als Franz-Josef-Strauß-Verschnitt.

Der reale Fall der Passauer „Nestbeschmutzerin“ Anja Rasmus diente Verhoevens Film als direkte Vorlage; dazu gibt es auch einen relativ schnörkellosen, aber durchwegs informativen Dokumentarfilm (Das Mädchen und die Stadt – Wie war es wirklich?) im Bonusmaterial der DVD. Im fertigen Husarenstück wurde daraus das Schicksal der fiktiven Sonja Wegmus – man beachte das Wortspiel, die in ihrem Heimatstädtchen Pfilzig – wer denkt da nicht an Provinz, Filz und rechte Kreis? – zu den dortigen NS-Wurzeln recherchiert. Im Resultat zwar ein kruder Story-Mix, der „zugleich Fiktion und Wahrheit“ (Verhoeven) enthält – und sich trotzdem auch als weiterer Plädoyer-Film in der Vita des Münchner Regisseurs lesen lässt, weil er den Zuschauer regelrecht dazu auffordert, „sein Maul aufzureißen“, wie es Verhoeven zum damaligen Filmstart offen ausdrückte.

Mutters Courage (1995) nach George Taboris schwarz-humoriger Erzählung und dem gleichnamigen Theaterstück über seine jüdische Mutter in Zeiten des Budapester Holocausts, befindet sich ebenfalls auf dieser neuen DVD-Edition: Trotz vieler Preise und zuweilen manch gelungener Slapstick-Momente war diese Sentana-Produktion ein rechter Kinoflop, wenn auch einer, der einen zweiten Blick durchaus wert ist. Senta Berger, Verhoevens Ehefrau, erklärte noch Jahre später, dass beide aufgrund jenes finanziellen Fiaskos einige Auftragsarbeiten annehmen mussten.

Verhoeven ist zwar im Grunde kein klassischer Vertreter des Neuen Deutschen Films, aber durchaus ein Autorenfilmer, dem es um seine Themen geht, der oft seine eigenen Drehbücher schreibt: Er ist einer, der aneckt. Der unentwegt die Finger in die Wunden deutscher Geschichte legt, darin umherstochert und sie – als Chirurg – eben gerade nicht zunäht. Verhoevens gründlich recherchierte, zutiefst aufrüttelnde Dokumentarfilme Menschliches Versagen und Der unbekannte Soldat, die beide ergänzend auf der neuen Michael-Verhoeven-Edition enthalten sind, legen davon eindrucksvoll Zeugnis ab. Sophie Scholls Appell („Alle, die gegen die Nazis sind, müssen jetzt zusammenarbeiten“) in Die weiße Rose gewinnt durch beide Filme von neuem an Gewicht: Denn längst untergraben Rechtsradikale und Neonazis die bundesrepublikanische Wirklichkeit aufs Neue.

Michael Verhoevens Filme rütteln auf, stellen unangenehme Fragen, machen auf dunkle Stellen deutscher Geschichte aufmerksam. In umfangreichen Bonusmaterial zu Die weiße Rose verteidigt der Regisseur mehrfach seine Herangehensweise, gerade in punkto Fördergremien: Leo Kirch hatte sich beispielsweise spät aus der Projektphase zurückgezogen, weil beispielsweise der bayerischen CSU der Stoff um die Münchnerische Widerstandsgruppe zur damaligen Zeit immer noch zu heiß war.

Der Münchner Filmemacher ist einer, der verdrängte Wahrheiten – wie die flächendeckende „Arisierung“ in Menschliches Versagen – in Erinnerung ruft – und filmisch mit der Legende von der „sauberen“ Wehrmacht ein für alle Mal aufräumte (Der unbekannte Soldat). Es waren beileibe nicht nur die SS-Barbaren oder besonders brutale Stoßtrupps der Wehrmacht, die den Nationalsozialismus in all seiner Grausamkeit wie Genauigkeit auslebten, sondern tausendfach auch die einfachen Steuerfachangestellten und kleinen Beamten bis hinauf zu den Oberfinanzdirektoren, die den größten Enteignungsprozess der Geschichte von Beginn an aktiv unterstützten. Was sich hinter dem ebenso zynisch wie bürokratisch verschlüsseltem Begriff der „Arisierung“ verbarg, deckt Michael Verhoeven mithilfe firmer Historiker (wie Wolfgang Dreßen und Götz Aly) und prominenter Zeitzeugen (u.a. dem Enkel von Lion Feuchtwanger) in den Großstädten München und Köln konsequent auf.

So konsequent, dass dem Zuschauer regelrecht übel wird angesichts des hunderttausendfachen Unrechts: Ein präziser ausgearbeiteter Dokumentarfilm, der einem Faustschlag in den voll gefressen Nachkriegsbauch vieler ehemaliger Profiteure der so genannten „Judenvermögensabgabe“ gleicht – und angenehmerweise so gar nichts mit dem unerträglichen ZDF-Geschichtsstunden-Fernsehen der Gegenwart zu tun hat. Dramatisierende Off-Kommentare, pathetische Musik-Stücke oder Reenactment-Szenen sind an dieser Stelle nirgends vonnöten, stattdessen fallen O-Töne und kurze Zitate, die einem so rasch nicht mehr aus dem Gedächtnis gehen: „Sammelkarte für eintausend Juden, Berlin – Auschwitz, einfache Fahrt“ (Götz Aly).

Auf 15 – 20 Milliarden Reichsmark schätzen internationale Experten den finanziellen Wert jenes gigantischen Raubzugs mit breiter Unterstützung durch “Hitlers Volksstaat“ (Götz Aly), bei dem Auktionen zu Waren, Häusern oder Schmuck aus „nicht-arischem Besitz“ zu regelrechten Volksfesten wurden: Deutschland, ein Land der Schnäppchenjäger, schon anno 1933… Milch, Butter oder Säuglingsnahrung wurde in den Schweiz gegen NS-Zahngold eingekauft… Es ist stellenweise unerträglich, aber eben gerade deshalb auch so wichtig, diesen vielleicht besten Verhoeven-Film bis zum Ende zu sehen: Denn danach stellt sich nie mehr die Frage, ob man zur nächsten Anti-Nazi-Demo gehen soll.

Simon Hauck

Michael Verhoeven Edition

Michael Verhoeven, der studierte Chirurg, ist ein Sezierer mit der Kamera – erst recht, wenn es um die dunkelste deutsche Vergangenheit geht. Geboren im Dritten Reich (Jahrgang 1938), in der Reichshauptstadt Berlin und dazu noch als Sohn des berühmten Regisseurs Paul Verhoeven, den die Nazis so gerne hofierten. Im Rückblick scheint der Weg des Münchner Filmemachers, dessen Gesamtwerk inzwischen mindestens eine Hand voll Meisterwerke umfasst, fast schon vorgezeichnet gewesen zu sein:
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