Michael Kohlhaas - Der Rebell

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Der mit dem Ross handelt

„Der ganze Terrorismus und die ganze Gewalt kommt daher, dass es nicht genug Kultur gibt.“ Dieses Zitat Schlöndorffs zu den blutigen Terroranschläge vom 13.11.2015 in Paris zeigt bis heute vor allem eines: Die seltene Spezies „politischer Regisseur“ gibt es nach wie vor im Filmgeschäft. Einer davon heißt Volker Schlöndorff, der in seinen zahlreichen Literaturverfilmungen (z.B. im grandiosen Baal von 1970) immer auch geschickt den Zeitgeist wie das gesellschaftliche Klima der jeweiligen Produktionszeit einfließen lassen konnte. Ideale Voraussetzungen also für eine zeitgemäße Aufbereitung eines deutschen Über-Werks: Michael Kohlhaas nach der berühmten Novelle von Heinrich von Kleist, seit Jahrzehnten Schullektüre.
Nicht nur in deutschen Gymnasien – wie beispielsweise in Baden-Württemberg oder in Sachsen – steht jene Historie, oder präziser gesagt die eigenwillige Handlungsweise des Protagonisten, im Mittelpunkt der Lehrpläne wie der Diskussionen im Klassenraum. Woran liegt das? Und warum wird der namensgebende Held bis heute so gern als Revoluzzer zitiert, nicht allein in Abiturprüfungen, Opernbühnen (z.B. bei Marc-Olivier Dupin) oder auf sämtlichen Theaterbrettern dieser Welt? „Wo ist mein Knecht? Wo sind meine Pferde?“ Einmal gelesen, gesehen oder gehört – und niemals vergessen. Das Ausschlachten jener schon beinahe magischen, immer noch imposanten Worte („Pferde, will ich! Gesunde – keine Skelette!“) ließ sich daher bis jetzt noch keine Stoff-Adaption entgehen.

Auch Volker Schlöndorffs Bearbeitung Michael Kohlhaas – Der Rebell zitiert natürlich obendrein den famosen Textbeginn aus der Kleist’schen Feder: „An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Rosshändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.“ Soweit, so konventionell. Dann folgen pittoreske, wohl genährte Pferde in Weidelandschaft. Eine zauberhafte Einstellung, die nahtlos ebenso in Werner Herzogs Jeder Für Sich – Und Gott Gegen Alle (1974) gepasst hätte. Oder sollte es seitens Schlöndorff gar eine bildliche Verneigung vor der bekannten Anfangssequenz aus Andrej Tarkowskijs Iwans Kindheit (1962) sein? In jedem Falle interessiert ihn die Verbindung Mensch-Tier-Natur, die in Kleists Novelle zentral verhandelt wird, so scheint’s jedenfalls.

Kein Wunder: Denn natürlich hat sich auch die siebte Kunst – wenig überraschend – mit jener berühmten Vorlage zigfach auseinandergesetzt, jedoch mit sehr unterschiedlichen Resultaten. Zum Beispiel Wolf Vollmar in seinem, schlicht Michael Kohlhaas (1967) genannten, Fernsehstück in sieben Teilen – und immerhin Theaterlegende Rolf Boysen in der Hauptrolle. Ganz anders dagegen beispielsweise John Badhams Western-Adaption (The Jack Bull) der Kleist-Vorlage mit John Cusack aus dem Jahr 1999, die in Deutschland unter dem hanebüchenen Verleihnamen Reiter auf verbrannter Erde in Umlauf gebracht wurde. By the way: Gibt es eigentlich eine Art Extra-Fegefeuer für diejenigen innerhalb der Branche, die dermaßen unpassende Titel initiieren? Warum kann man es nicht einfach beim Originaltitel, gerade wenn er englisch ist, belassen?

Doch zurück zur Kleist-Phänomenologie des Kinos, besonders innerhalb der letzten Jahre: Extrem innovativ – produktionstechnisch wie inhaltlich – gestaltet, mitunter herrlich grotesk inszeniert (z.B. die Szenen mit der örtlichen Feuerwehrtruppe) und mit einer insgesamt wahrlich herzerwärmenden Anmutung auf die Leinwand gebracht, sticht dabei gerade Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel (Regie: Aron Lehmann) hervor. Ohne Rücksicht auf persönliche wie finanzielle Verluste hatte der HFF-Konrad-Wolf-Absolvent Lehmann einen der besten neuesten deutschen Filme nach 2000 frech-freimütig in Szene gesetzt: Als Debütant wohlgemerkt. Gut, dass er damals für seinen Film keine Pferde stehlen musste, sondern stattdessen Rindern und Ziegen den Vortritt gab: Monty-Python-Charme in deutscher Sprache? Ja, das geht, sogar hervorragend.

Für einen ganz anderen Weg der Inszenierung entschied sich schließlich vor zwei Jahren noch der Franzose Arnaud des Pallières, der die Kohlhaas-Novelle – entgegengesetzt zu Lehmann und in der Tradition der vorangegangenen Verfilmungen – bewusst um einen echten Star herum erzählte: Mads Mikkelsen. Als groß promotete Ko-Produktion mehrerer Länder und gespickt mit einer illustren Riege hervorragender Darsteller (wie Bruno Ganz, Denis Lavant, David Bennent oder Amira Casar), konnte Pallières‘ archaisch inszenierter Film (schlicht Michael Kohlhaas getauft) durchaus punkten. Mime Mikkelsen durfte ein weiteres Mal – mehr stumm als sprechend – agieren und sich als einsamer Rächer in einem stark mythisierten, bildgewaltigen Setting aufs Neue beweisen. Denn jene Kameraästhetik verweist nicht nur referenziell mehr als nur einmal auf Nicolas Winding Refns filmisches Ur-Natur-Gewalten-Experiment namens Walhalla Rising (2009), ohne sie je übertrumpfen zu können.

Von wuchtigen Bildern (wie bei Badham), roher Gewalt (wie bei Pallières) oder intelligent-diskursiver Methodik (wie bei Lehmann) ist bei Schlöndorff nichts zu spüren bzw. zu sehen: Zum Auftakt ein müder auktorialer Erzähler aus dem Off. Dazu im Hintergrund übersüße, deutlich zu pathetische Westernklänge von Stanley Myers, der beim Partiturschreiben wohl eher an John Wayne denn an David Warner, den seltsam blutleeren, schlaksigen Helden in Schlöndorffs Film, gedacht hatte. Unterbrochen nur manchmal von nicht minder schwer erträglichen Flöten- und Streicherarrangements.

Einzig Anna Karinas (!) Liebfrauenblick in den ersten Minuten ist ein kleines visuelles Trostpflaster für die kommenden gut 90 (internationale Fassung) bzw. 95 (deutsche Kinofassung) Minuten, die beide auf der erstmals überhaupt erschienenen DVD-Fassung des Films (bei Sony und Winkler Film) zu finden sind. Unglaubwürdiges Sprach-Spiel in der englischen Originalversion trifft auf mau synchronisierte Schauspieler auf deutsch. Mehrfach billig wirkende Blut- und Regeneffekte lassen den Zuschauer zudem ganz andersartig erschaudern, als von der wahrlich universellen Lebens- und Liebesgeschichte des aufrichtigen Rosshändlers: Vitalität? Nirgends.

Selbst die Brandschatzungs- und Vergewaltigungsszenen in der Burg des Junkers Wenzel von Tronka (Inigo Jackson), zum Teil von E-Gitarren-Akkorden „unterstrichen“, wirken wie aus einem C-Movie der Filmgeschichte. Einzig die kurze Einstellung mit dem Signalwort KOHLHAAS, in kräftigem Weinrot auf das Rathaus geschrieben, sorgt zumindest übergangsweise für ein visuelles Aha-Erlebnis. Trotzdem will nicht einmal in der Todesszene mit den Henkern so etwas wie tatsächliche Spannung – oder wenigstens etwas mehr Ergriffenheit – aufkommen. Dort stellt der berühmte Angeklagte schließlich seine nicht minder berühmte Schlussfrage: „Sind die Pferde noch in meinem Besitz? – Ja – Dann bindet er sie los!“

Auch diese finale, recht mühselige Szene kann nicht für einen runden Abschluss in Schlöndorffs Neo-Western-Adaption sorgen: Die Mittelalter-Gewänder passen David Warner im übertragenen Sinne einfach nicht. So ist hier – trotz amüsanter Farbtupfer im Cast (u.a. Keith Richards und Anita Pallenberg) – nie wirklich etwas vom direkten Anarchistentum gegen die Staatsmacht oder gar einem echten, universalen Aufbegehren gegenüber der Ungerechtigkeit in der Welt zu spüren. Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass er – Ironie der Geschichte? – gerade ein Jahr nach dem Höhepunkt der ‚68-Proteste gedreht worden ist: in der beschaulichen Bergwelt der Slowakei anstatt auf den Straßen von Paris, Berlin oder Berkeley, den Hochburgen der damals immer radikaler werdenden Studentenschaft. Vielleicht war gerade dies das eigentliche Problem. „Ein freier, denkender Mensch, bleibt nicht da stehen, wo der Zufall ihn hinstößt“ (Heinrich von Kleist).

Michael Kohlhaas - Der Rebell

„Der ganze Terrorismus und die ganze Gewalt kommt daher, dass es nicht genug Kultur gibt.“ Dieses Zitat Schlöndorffs zu den blutigen Terroranschläge vom 13.11.2015 in Paris zeigt bis heute vor allem eines: Die seltene Spezies „politischer Regisseur“ gibt es nach wie vor im Filmgeschäft.
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