Michael Jackson's Journey from Motown to Off the Wall

Eine Filmkritik von Thorsten Hanisch

Auf der Suche nach dem Ich

Michael Jackson, die ewige Kuh, die Geld bringt: Off The Wall ist mal wieder veröffentlicht worden. Die Demoaufnahmen und die Audiokommentare von Quincy Jones und Rod Temperton der vorherigen Special Edition fehlen nun, dafür gibt’s aber einen brandneuen Dokumentarfilm von Spike Lee und… ein Stück Kreide. Mit dieser Kreide darf man sich an der Wall, die beim Aufklappen des Digipacks erscheint, austoben und das Ganze dann im Internet veröffentlichen. Offenbar sind den Verpackungsdesignern mal wieder die Gäule durchgegangen, es darf doch stark bezweifelt werden, ob die Zielgruppe tatsächlich bereit ist, ihr für knapp 20 Euro erworbenes Produkt mit Kreide zu beschmieren.
Nebenbei bemerkt: Interessant auch, dass man der DVD beziehungsweise Blu-ray eine Extra-Papphülle spendiert hat, während die CD lose beiliegt. Angesichts der Tatsache, dass es sich eigentlich um eine Neuveröffentlichung des Albums handelt und der Film eher als Bonus zu werten ist, eine etwas merkwürdige Entscheidung. Genauso: Warum jetzt? In drei Jahren feiert Off The Wall sein 40-jähriges Jubiläum, dann wird’s mit Sicherheit eine weitere Edition geben. Nun ja. Money rules the world.

Erfreulicherweise entpuppt sich der Film Michael Jackson’s Journey from Motown to Off the Wall als durchaus sehenswert. Spike Lee, der sich bereits für den Jackson-Dokumentarfilm Bad 25 verantwortlich zeigte und auch zwei Musikvideos des King Of Pop dirigierte, schildert hier den Weg des tragischen Megastars von den frühen Anfängen mit den Jackson Five bei der Plattenfirma Motown bis hin zu seinen ersten Erfolgen als Solokünstler mit dem Album Off The Wall bei Epic Records, denen er bis zum Ende seiner Tage treu bleiben sollte.

Zu diesem Zweck fährt Lee eine beachtliche Anzahl an talking heads auf (unter anderem Kobe Bryant, Pharell Williams, Rob Cohen, Lee Daniels, John Leguizamo, Rosie Perez, Joel Schumacher), von denen allerdings diejenigen, die nicht unmittelbar mit dem Multitalent zu tun hatten, auch nicht unbedingt notwendig gewesen wären — die Info, dass Jackson großen Einfluss auf die Karriere von Promi XYZ hatte, zeugt zwar von der Macht des Titanen, ist aber auch nicht gerade weltbewegend — jemand, der ungefähr 750 Millionen bis 1 Milliarde Tonträger verkauft hat, verhallt mit Sicherheit nicht so ohne Weiteres.

Interessant wird’s immer dann, wenn Leute aus dem unmittelbaren Umfeld zur Sprache kommen, vor allem Leute, die mit der Produktion der Musik zu tun hatten, wie zum Beispiel der für den Sound bei Off The Wall, Thriller, Bad oder Dangerous verantwortliche Toningenieur Bruce Swedien — hier wird, auch wenn man den ein oder anderen Aspekt durchaus noch hätte vertiefen können, deutlich, dass der ‚Mythos Jackson‘ nicht nur das Ergebnis von Talent, sondern auch von harter Arbeit war.

Apropos „harte Arbeit“: Erwartungsgemäß werden sämtliche negativen Aspekte weggelassen. Natürlich kein Wort vom drakonischen Drill des Vaters, kein Wort von den Missbrauchsvorwürfen gegen Jackson oder anderen weniger erfreulichen Details aus seinem Leben.

Das Erstaunliche ist aber, dass Lee, wenn auch wohl nicht gerade beabsichtigt, es trotzdem schafft, einen die große Tragik hinter dem weltweit gefeierten Künstler spüren zu lassen. Vom Menschen an sich erfährt man hier genauso wenig wie in so vielen anderen Aufarbeitungen, allerdings konnte der Regisseur auf viel unveröffentlichtes Film- und Bildmaterial aus jungen Jahren zurückgreifen — und das lässt ahnen, dass die spätere, äußere Verwandlung in das Kunstprodukt wohl nur eine Frage der Zeit war, denn der junge Michael wirkte (und das tritt gerade in dieser Geballtheit früher Aufnahmen hervor) schon damals, selbst im Kreise seiner Brüder, seltsam verloren.

Und wenn dann noch ein in krakeliger Handschrift abgefasster Brief des damals 21-Jährigen vorgelesen wird, der kurz vor seinem Start als Solokünstler geschrieben wurde und die Abkehr von seinem einstigen Ich und die Verwandlung in eine andere Person ankündigt, in „einen neuen, tollen Schauspieler, Sänger, Tänzer, der die Welt schockiert, der magisch und ein Perfektionist sein wird, ein Forscher, ein Trainer, ein Meister, der besser sein wird als alle großen Schauspieler zusammengenommen, der die Unterhaltungsindustrie perfektionieren und dort weitermachen wird, wo die Größten der Großen aufgehört haben“, dann ahnt man, dass das große Unglück des Michael Jackson wohl darin lag, ausgerechnet in der Unterhaltungsindustrie mit maßlosem Ehrgeiz zur eigenen Identität finden zu wollen.

Michael Jackson's Journey from Motown to Off the Wall

Michael Jackson, die ewige Kuh, die Geld bringt: „Off The Wall“ ist mal wieder veröffentlicht worden. Die Demoaufnahmen und die Audiokommentare von Quincy Jones und Rod Temperton der vorherigen Special Edition fehlen nun, dafür gibt’s aber einen brandneuen Dokumentarfilm von Spike Lee und…ein Stück Kreide.
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