Meine Brüder und Schwestern im Norden

Eine Filmkritik von Simon Hauck

In einem Land vor unserer Zeit

„Im Westen bekommen wir von Nordkorea immer die gleichen Bilder zu sehen: Militärparaden, Raketen, Soldaten, Hungersnöte, dressierte Kinder – und einen Führer, der von den Massen frenetisch gefeiert wird.“ Urheberin jenes O-Tons, der gleich zu Beginn in Meine Brüder und Schwestern im Norden eingesetzt wird, um die Grundmotivation dieses Filmprojekts näher zu erläutern, ist niemand anderes als die Regisseurin. Im Anschluss wird Sung-Hyung Cho auch noch selbst als quasi zusätzliche Protagonistin vor die Kamera treten und in langen, spürbar ehrlich gemeinten Interview-Einstellungen mit wenigen Zwischenschnitten mit vielen Nordkoreanern sprechen, die ihr wiederum jedoch als O-Ton-Geber von vornherein durch das kommunistische Regime festgelegt worden waren.
Was im ersten Moment auf Seiten der Dokumentarfilmdramaturgie komisch klingen mag, sieht in den kommenden gut 100 Minuten mitunter dann auch so aus: Eine preisgekrönte Regisseurin (Full Metal Village / 11 Freundinnen) mit südkoreanischen Wurzeln und deutschem Pass erhielt für ihr neues Dokumentarfilmprojekt das, worauf Filmemacher weltweit oft Jahre warten, viele von ihnen vergebens: Eine offizielle Drehgenehmigung von der nordkoreanischen Staatsführung. Dieser wahrlich exklusive Zugang, den vorher beispielweise nur wenige Filmschaffende wie Uli Gaulke für einen Teil-Dreh von Comrades in Dreams (2008) oder zuletzt der ukrainische Regisseur Vitaly Mansky (Im Strahl der Sonne) ergattert hatten, hebt Chos Film von vornherein aus der aktuellen Masse an Dokumentarfilmen heraus, die wöchentlich in die deutschen Kinos kommen.

Zugleich bedient er den neuen öffentlichkeitspolitischen Trend seitens der nordkoreanischen Elite mit dem bizarren Machthaber Kim Jong-un an der Spitze, sich offen westlich orientierten Filmemacher-Teams zumindest ein Stück weit zu öffnen, wenngleich auch die staatliche Kontrolle über die dort entstandenen Aufnahmen niemals in toto aufgegeben wird: Nur parteiintern abgenickte Bilder überqueren die Grenze, so war es am Ende auch bei Meine Brüder und Schwestern im Norden. Eine filmpolitische Crux ist das schon! Wie soll man da als Dokumentarfilmer überhaupt halbwegs „frei“ arbeiten können? Infolge welcher Frage oder welches nächsten O-Tons wird die vorher vereinbarte Drehzeit vielleicht plötzlich beendet?

Zwischen diesen beiden Spannungspolen bewegt sich dann auch Sung-Hyung Chos dramaturgisch wenig aufregender, aber an manchen Stellen durchaus menschelnder Dokumentarfilm, der sich formal eher als loser Reisefilm in einem nun doch nicht so bitterbösen Land gebiert. Das keineswegs vollkommen überzeugende Ergebnis ist daher im Grunde bis zuletzt eine echte filmische Gratwanderung, die im Kern um folgende Frage kreist: Wie trickst man eigentlich einen Betrüger aus? Im Falle von Nordkorea, das sich im eigenen Selbstverständnis gerne im O-Ton wie bildlich als überaus potente Nation darstellt, ist das für jedes Drehteam sicherlich eine Herkulesaufgabe: Schließlich sind hier (scheinbar) alle linientreu – und zwar zu 200 Prozent. Fleißige Bürger allenthalben, gleich neben sich permanent weiterbildenden Landarbeitern, die von ihrem ersten eigenen Schwein träumen und sich derzeit – nicht ohne Stolz der Kamera gegenüber — noch von Kaninchen ernähren (müssen).

Werden also auch in Chos Film im Grunde nur gängige Stereotypen wiedergekäut? Nicht unbedingt, denn in den gelungensten Einstellungen kommt eine gegenüber Diktaturen besonders sinnkräftige Waffe zum Einsatz: Feine Ironie, gewürzt zum Teil sogar mit durchaus subversivem Humor. Wenn zum Beispiel in einer gigantischen Spaß-Bad-Anlage von der Filmemacherin – wie nebenbei und schon etwas hinterlistig – danach gefragt wird, warum denn in Nordkorea bisher keine Bikinis – die stammen ja vom Klassenfeind – gesichtet wurden. In einer anderen, durchweg brillanten Szene in einer anonymen Näherinnenfabrik, bei der Jacques Demy oder Fred Astaire mit der Zunge geschnalzt hätten, fängt die Regisseurin den ganzen grotesken Wahnsinn des immer noch weitestgehend abgekapselten Landes ein: Versteinerte Frauenminen in überraschend bunter Arbeitskluft, die sich kollektiv zu Didel-Dudel-Klängen erheben, ehe im nächsten Moment der gymnastische Tanzsportteil beginnt, bis wieder alle im Anschluss genauso versteinert wie zu Beginn überaus brav, linientreu und natürlich ohne Murren zurück an ihre Nähtische zurückkehren. Alleine für diese Szene hat sich jener deutsch-nordkoreanische Dokumentarfilmdevisenhandel vollends gelohnt!

Meine Brüder und Schwestern im Norden

„Im Westen bekommen wir von Nordkorea immer die gleichen Bilder zu sehen: Militärparaden, Raketen, Soldaten, Hungersnöte, dressierte Kinder – und einen Führer, der von den Massen frenetisch gefeiert wird.“ Urheberin jenes O-Tons, der gleich zu Beginn in „Meine Brüder und Schwestern im Norden“ eingesetzt wird, um die Grundmotivation dieses Filmprojekts näher zu erläutern, ist niemand anderes als die Regisseurin Sung-Hyung Cho („Full Metal Village“)
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