Mein Leben in Rosarot

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Donnerstag, 18. Dezember 2008, ARTE, 21:00 Uhr

Auch wenn sich die Grenzen der klassischen Verhaltensmuster der Geschlechter in den letzten Jahrzehnten deutlich verschoben haben, gibt es vor allem in der Erziehung nach wie vor klare Vorstellungen und Vorbilder davon, was erwünscht ist. Die Debatten um frühe geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen reißen nicht ab, die Koedukation steht immer wieder einmal auf dem Prüfstand, und auch wenn insgesamt innerhalb der Gesellschaft mehr Toleranz herrscht, bemühen sich die meisten Familien zweifellos darum, dass das Verhalten ihres Nachwuchses sich in den vorgezeichneten schicklichen Bahnen bewegt. Mein Leben in Rosarot / Ma vie en rose von 1997 ist ein präzise beobachtender und dabei ganz zauberhafter Film über einen kleinen Jungen und seine Familie, die mit seiner hartnäckigen Vision kämpft, eines Tages ein Mädchen zu sein.
Der siebenjährige Ludovic Fabre (Georges Du Fresne) lebt mit seiner pubertierenden Schwester Élisabeth (Hélène Vincent) und seinen Eltern Hanna (Michèle Laroque) und Pierre (Jean-Philippe Écoffey) in einem hübschen Pariser Vorort. Der Familie geht es gut, sie fühlt sich wohl in der kinderfreundlichen Nachbarschaft und nimmt aktiv am sozialen Leben der Gemeinde teil. Doch der sensible, phantasiebegabte Ludovic fällt zunehmend durch allzu mädchenhafte Verhaltensweisen auf: Er trägt gern Röcke, träumt von einer Hochzeit mit seinem Schulfreund Jérôme (Julien Rivière) und besteht darauf, nicht zu einem Mann, sondern zu einem weiblichen Wesen heranzuwachsen. Was anfangs als schräge Schrulle ein wenig peinlich berührt belächelt wird, eskaliert zu tief greifenden Konflikten zwischen Ludovic und seinen Eltern, zumal sich ihr soziales Umfeld nicht nur zu wundern beginnt, sondern ganz offensichtlich auch die Fabres zu meiden. Schließlich verliert sogar Papa Pierre, dem es besonders schwer fällt, Verständnis für seinen Sohn aufzubringen, seinen Job, und die Familie muss nach Clermont-Ferrand ziehen, doch der zunächst als Niederlage empfundene Ortswechsel bringt für alle überraschende Entspannungen mit sich …

Auf beeindruckend einfühlsame Weise fokussiert der belgische Regisseur Alain Berliner die Gedankenwelt des kleinen Ludovic – ganz hervorragend von Georges Du Fresne verkörpert –, die heftig mit den gesellschaftlichen Normen kollidiert. Dabei wird deutlich, dass es vorwiegend die soziale Unverträglichkeit dieser Abweichungen ist, die zu drastischen Disharmonien innerhalb der Familie führt, die sich einem gewaltigen Außendruck ausgesetzt sieht. Mein Leben in Rosarot / Ma vie en rose ist ein berührender Film mit einem wahrhaft grandiosen Ende, für Kinder wie für Erwachsene gleichermaßen sehenswert, der den Ängsten der Eltern, dass hinter den harmlosen, unüblichen Neigungen ihrer Sprösslinge bedrohliche Abnormitäten lauern könnten, die frische Unbefangenheit und Authentizität der kindlichen Natur entgegenhält – einer der schönsten und bedeutendsten Filme für ein junges Publikum der letzten Jahrzehnte, der neben einigen anderen Auszeichnungen einen Golden Globe als Bester fremdsprachiger Film sowie den Europäischen Filmpreis für das Beste Drehbuch erhielt.

Mein Leben in Rosarot

Auch wenn sich die Grenzen der klassischen Verhaltensmuster der Geschlechter in den letzten Jahrzehnten deutlich verschoben haben, gibt es vor allem in der Erziehung nach wie vor klare Vorstellungen und Vorbilder davon, was erwünscht ist.
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