Mathilde (2017)

Eine Filmkritik von Olga Galicka

Aber der Zar ist nackt!

Was passiert, wenn aus einem Film ein Politikum wird, noch lange bevor er es auf die Leinwand geschafft hat? Wie geht man als Staat damit um, dass sich die Gesellschaft über einen Film echauffiert, den noch niemand gesehen hat? Und von was muss ein Film handeln, der so starke Reaktionen hervorruft? In Russland, so scheint es, gibt auf diese Fragen ganz besondere Antworten. Denn im neuesten Film-Polit-Produkt Russlands, Mathilde, geht es um die Ehre des Zaren Nikolaus II. Die im Jahre 2000 heiliggesprochene Familie des letzten russischen Imperators werde durch die Darstellung des jungen zukünftigen Zaren als romantischen und zarten Lebemann in ihrer Ehre verletzt, so zumindest die Ansicht der Duma-Abgeordneten Natalja Poklonskaja. Einst bekannt geworden als Generalstaatsanwältin der Krim, profiliert sich Poklonskaja nunmehr als Verehrerin des Zaren. Ihre Aufgabe: die Projektion des Films verhindern. Tatsächlich haben ihre verbalen und rechtlichen Angriffe auf den Film schon bald auch eine bis dahin noch unbekannte militante Organisation orthodoxer Gotteskrieger, Christlicher Staat — Heilige Rus, auf den Plan gerufen. Ein unerwartet schwieriges Unterfangen, das sich Regisseur Alexei Uchitel mit Mathilde aufgebürdet hat.
Während Poklonskaja von russischen Filmkritikern verlacht wird, hat sie es dennoch geschafft, aus einem harmlosen Kostümdrama ein politisches Event zu machen. Ob man nun will oder nicht, Mathilde und ihre politische Bedeutung sind nur noch schwer voneinander zu trennen. Dabei hat sich der Film keineswegs politischer Provokation schuldig gemacht. Mathilde erzählt von der historisch belegten romantischen Beziehung zwischen dem jungen Nikolai Romanov, liebevoll Niki genannt, und der Balletttänzerin Matilda Kschessinskaja bis zum Zeitpunkt von Nikolais Krönung zum Zaren Nikolai II. im Jahr 1896.

Uchitels Film ist ein Coming-of-Age-Drama im historischen Kostüm, nicht weniger, aber auch ganz sicher nicht mehr. Natürlich hat Mathilde tatsächliche historische Begebenheiten stark zugunsten des Erzählbogens interpretiert. Einige Geschehnisse sind chronologisch falsch aufgestellt, die Charaktere klar auf die romantische Stimmung des Films ausgelegt. Doch handelt es sich dabei um einen klassischen Handgriff im Umgang mit Kostümdramen. Terence Youngs Mayerling zum Beispiel hatte ebenso historische Tatsachen größtenteils hinter sich gelassen, als er die Liebesgeschichte zwischen dem österreichischen Kronprinzen Rudolf (Omar Sharif) und seiner Geliebten Maria Vetsera (Catherine Deneuve) nacherzählte (man bemerke die Ähnlichkeiten der beiden Plots).

Verwunderlich ist hingegen der Titel des Films. Denn um die berühmte Balletttänzerin Kschessinskaja, die nicht nur eine der wichtigsten Figuren für das zeitgenössische Ballett gewesen ist, sondern auch eine Generation von Tänzern geprägt hat, darunter Anna Pavlova, scheint es nun wirklich nicht zu gehen. Matilda wird kaum als die große Künstlerin gezeigt, viel lieber inszeniert sie Uchitel bei Sexszenen in Spitze gehüllt. Wie wohl in klassischen Kostümdramen üblich, geht es nicht um die Person von Matilda. Vielmehr geht es um das Ringen zahlreicher Männer um dieselbe Frau. Diesen Konflikt fand Uchitel so wichtig, dass er eigens dafür die Figur von Nikis Gegenspieler, Vorontsev (Danila Koslowski), erfand. Doch auch die Dialoge zwischen Nikolai und Matilda sind mitunter so steif, dass selbst die schauspielerischen Leistungen von Lars Eidinger und Michalina Olszanska diese nicht zu retten vermögen.

In erster Linie ist Mathilde eine eskapistische Fantasie von einem Russland, das es hätte geben können, hätte ebendieser Niki in seinem Leben möglicherweise einen anderen Weg eingeschlagen. Eine Frage, die zum hundertsten Jubiläum der Oktoberrevolution jedoch besonders explosiv in russischen Ohren anklingt. Umso bedenklicher ist die Tatsache, dass es sich bei Mathilde um die einzige russische Produktion zu diesem Themenkomplex handelt. Zwar wird schon bald auch eine russische Fernsehproduktion über Trotzki die Welt erblicken, aber bei der Gleichschaltung des russischen staatlichen Fernsehens ist diese mit Sicherheit kaum der Rede wert.

Am Ende bleibt die Frage, was man von einem Kostümdrama im Gewand eines politischen Eklats erwartet. Wunderschöne und mit Detail ausgearbeitete Kostüme und schöne Schauspieler bietet der Film allemal. Auch vermag er den Glanz vergangener Zeiten, ja vielleicht auch ein bisschen den gruseligen Zauber dieser Zeit, die schon bald für viele der Beteiligten in einem Blutbad enden wird, zu vermitteln. Ob diese Elemente den Film über zwei Stunden hinweg auch wirklich tragen können? Natalja Poklonskaja hätte mit Sicherheit Spaß gehabt.

Mathilde (2017)

Was passiert, wenn aus einem Film ein Politikum wird, noch lange bevor er es auf die Leinwand geschafft hat? Wie geht man als Staat damit um, dass sich die Gesellschaft über einen Film echauffiert, den noch niemand gesehen hat? Und von was muss ein Film handeln, der so starke Reaktionen hervorruft?
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Meinungen

Cornelia Schmitt · 26.02.2018

Mir geht es so, dass ich diesen Film, der soviel Staub aufwirbelte gerne gesehen hätte, aber leider scheint er in keinem Hamburger Kino zu laufen. Warum eigentlich nicht? Hat man Angst vor der russischen orthodoxen Kirche? Oder sind die Kinos zu leer?
Ich verstehe es jedenfalls nicht. Ich war der Annahme, dass dieser Film hier noch länger läuft, gerade weil er einfach ein Kostümfilm zu sein scheint und es ja hinreichend bekannt ist, dass der Werte" Nicki" nie so richtig Lust auf seinen späteren Job als Zar hatte. Der Film zeigt aber schon auch in den Trailern den unermesslichen
Reichtum der Zarenfamilie und vielleicht sollte der mal mehr in den Focus gerückt werden, denn auf der anderen Seite war die grenzenlose Armut.Er der Zar symbolisierte nunmal den Reichtum und die russische Seele verfügt zwar über eine grosse Leidensfähigkeit, aber es gibt eben Zustände, die nicht mehr auszuhalten sind.
Daß sich aber doch etwas verändert hat zeigtt m.E. , dass das russische Fernsehen Trotzi thematisiert.
Ich war 1986 im Revolutionsmuseum , ich glaube es war iin Moskau, da gab es Trotzki überhaupt nicht. Er wurde totgeschwiegen ,insofern bin ich gespannt auf diese Serie, denn für mich ist es ein Fortschritt, dass sich mit der Person und dem politischen Wirken von Trotzki auseinandergesetzt wird.
C.S.