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Wie porträtiert man einen Designer, der auf Anonymität bedacht ist? Man fokussiert sich auf seine Hände und seine Stimme. 

Martin Margiela - Mythos der Mode (2019)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Handarbeit

Es sind ruhige, präzise Handbewegungen, die ein Dossier nach dem anderen, Karton nach Karton öffnen. Alle sind außen weiß, so weiß wie das persönliche Atelier Martin Margielas. So weiß wie alle Objekte in den ersten Margiela-Stores, vom Sofa bis zum Telefon. Die zu sehenden sich bewegenden Hände, dazu die erklärenden Worte sind eine Sensation: Martin Margiela spricht selbst, berührt selbst. Es sind seine Hände, die sein Archiv öffnen, seine Stimme, die erklärt. Sein Gesicht bleibt weiterhin verborgen. Doch genau in den Händen liegt die Kraft, seine so konzeptionellen, Ende der 80er Jahre noch radikalen und die damalige Modewelt verändernden Ideen zu vermitteln: Alles Handarbeit, Präzision, Gefühl und Intellekt. 

Mit Martin Margiela als zu porträtierendem Designer stand das Team rund um Regisseur Reiner Holzemer (Dries) vor einer scheinbaren Unmöglichkeit: Wie ihn und sein Werk zeigen, ohne ihn zu zeigen? Denn Margiela hatte schon früh in seiner Karriere beschlossen, dass er keine Interviews geben, keine Fototermine wahrnehmen, sich nicht auf den Schauen zeigen würde. Anonym bleiben; seine Mode sollte für ihn sprechen.  

Dem Wunsch der Anonymität des Designers zu entsprechen verlegte man sich darauf, seine Hände zu zeigen, seine Stimme erzählen zu lassen. Das Bedürfnis, sich nach all den Jahren selbst zu erklären, war echt, sagt der Regisseur. Ergänzt wurden die Aufnahmen aus dem persönlichen Atelier Margielas um Videoaufnahmen vieler seiner Modenschauen, meist in chronologischer Reihenfolge; Interviews mit Zeitgenoss*innen wie seinem ersten Pressesprecher Pierre Rougier, seiner Assistentin Nina Nitsche, aber auch mit Größen der Modewelt wie beispielsweise Anna Wintour, Carla Sozzani, der Modejournalistin Cathy Horyn und der Trendforscherin Lidewij Edelkoort.

In mehr oder weniger chronologischer Abfolge zeigt der Film die Stationen Margielas Lebens auf, von seiner Kindheit über seine Ausbildung in Antwerpen bis hin zur Gründung seines eigenen Modelabels. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die ersten Jahre, die ersten Shows, die Radikalität seiner Ideen gelegt. In den Worten Margielas, in der Öffnung seines persönlichen Archivs dieser Jahre im Zusammenschnitt mit den Videoaufnahmen der Shows wird der Geist dieser Zeit förmlich spürbar. Und bei all dem bleibt Margiela selbst bescheiden, ruhig und bedacht und stellt geradlinig dar, was er wollte. Im Zuge dessen räumt er auch mit so manchem Missverständnis auf. Denn der Wunsch nach Anonymität war keineswegs Kalkül, um dann wirklich zu einem Mythos der Mode zu werden, es war vielmehr Notwendigkeit, um sich in diesem System nicht selbst zu verlieren. In diesen Momenten ist Martin Margiela – Mythos der Mode am stärksten: Wenn der Soundtrack von dEUS, die Aufzeichnungen der Modenschauen oder Fotografien, Margielas Hände und Worte darüber und dazwischen, gemeinsam den Zuschauer*innen seine Ideen wirklich nahezubringen vermögen. Ganz ohne ein Gesicht.

Martin Margiela schafft es, eine Modedokumentation zu sein, die für Laien wie für Expert*innen gleichermaßen gut funktioniert: Zum einen bietet der Film einen bisher fehlenden Einblick in die Gedankenwelt Margielas; zum anderen ordnet er sein Schaffen historisch ein, kontextualisiert es und macht es so auch für Personen zugänglich, die bisher wenig Berührungspunkte mit seiner Arbeit hatten. Kontroverse Ideen und warum sie es sind, werden hier anschaulich mit Konventionen der Mode und Modegeschichte verknüpft, mit einer individuellen Geschichte und dem Modesystem als Ganzem. Das macht eine der weiteren Stärken des Films aus. 

Martin Margiela – Mythos der Mode weist dann Schwächen auf, wo man zu eher klassischen Dokumentarfilmstilmitteln greift und Straßenszenen, Ansichten und Interieurs zeigt, die letztendlich ein wenig verloren wirken. Auch ist die Dramaturgie des Films ein Problem, da man sowohl die Person, den Designer Margiela versucht greifbar zu machen, wie auch die Marke. Das Ende des Films zeugt dann auch eher von den Prozessen, die Film, Mode und Kunst gemein sind: Dass Ideen und Personen, egal wie kontrovers, subversiv oder schlicht gegen das Establishment positioniert sind, nach einer gewissen Dauer von eben jenem System absorbiert, transformiert und sich zu eigen gemacht werden. Was als Feier des Designers und seines Lebenswerks gedacht ist, wird letztendlich – leider – zu einer Perversion. Und kratzt an dem zentralen Dilemma dessen, was Mode heute ist und Mode sein könnte. Man hätte den Film noch stärker mit den konzeptionellen Ideen Margielas arbeiten lassen können – denn die Überschneidungen zwischen Film und Mode, ihre Gemeinsamkeiten zeigen sich besonders in diesen Szenen wie auch in Margielas eigenen Filmen (eine weitere, kleine Sensation) am deutlichsten. 

Als Haute Couture, als zu Deutsch exzellente Handarbeit wird die Mode bezeichnet, die in den Salons der Modehäuser aus luxuriösen Materialien handgeschneidert wird; eine Praxis, die Unikate erzeugt. Margiela wurde erst recht spät eingeladen, während den Haute Couture-Schauen zu präsentieren. Entgegen der Tatsache, dass seine Mode schon immer präzise Handarbeit war. Hohe Schneiderkunst, die perfekte Schnitte zwischen Vergangenheit und Gegenwart setzte, sie wusste aufzutrennen und zusammenzufügen. Margielas Handarbeit wirkt noch heute fort, ihr Einfluss ist mannigfaltig spürbar. 

Martin Margiela - Mythos der Mode (2019)

Mehr als ein Jahrzehnt, nachdem er sein Modehaus verlassen hat, unternimmt der Designer Martin Margiela mittels der Archive eine Reise durch die bewegte Geschichte des Hauses und seine eigene Karriere.

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