Maos letzter Tänzer

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Fluch der Politik

Manchmal kann man der Realität nur dann entkommen, wenn man sich in die Arme der Kunst rettet. In diesem Fall, in Bruce Beresfords Maos letzter Tänzer, ist dieser etwas abgedroschene Satz völlig ernst gemeint. Denn im kommunistischen China der 1970er Jahre, in dem der 11-jährige Li Cunxin lebt, in einem kleinen Dorf im Nirgendwo des gigantischen Landes, offenbart der Alltag nur wenig Grund zur Hoffnung: Morgens muss der Junge in die Schule gehen, nachmittags muss er seinen Eltern bei der Bebauung des Ackerlandes helfen. Erst als eine Gruppe von Parteifunktionären in das Dorf gelangt – ein paar grau gekleidete, griesgrämig dreinschauende Boten der Kunst – zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Li wird ausgewählt, um in der nächsten Großstadt auf seine Eignung als Tänzer getestet zu werden. Das klingt vielleicht etwas abstrakt, doch diese Strategie des body hunting soll auch heute noch in Asien üblich sein, wo die gelenkigsten Talente nicht nur für den Tanz, sondern auch für sportliche Disziplinen ausgewählt und für den weiteren Berufsweg vorbereitet werden – einzig und allein, um für den symbolischen Kampf gegen den Staatsfeind gewappnet zu sein. Und wer wird da sagen, dass nicht auch der Tanz politisch instrumentalisiert werden kann?
Li wird also zum Tänzer bestimmt und in einer chinesischen Eliteschule in die Geheimnisse des Balletts eingeführt, wobei er nicht nur den Druck der strengen und hart strafenden Lehrer ertragen muss, sondern auch noch vor die Aufgabe gestellt wird, auf dem langen Weg zum professionellen Tänzer seine körperlichen Defizite zu überwinden. Im Hintergrund verbirgt sich immerzu die drängende Frage nach der politischen Realität, nach dem Wozu? des Tanzes, nach seiner gesellschaftlichen Bedeutung. Einprägsam lässt sich dies erfahren, wenn Bruce Beresford zeigt, wie Lis Schulgruppe eine Tanzvorführung für einen hohen Staatsdiener vorbereitet, im Verlauf der Inszenierung von ästhetischen Inhalten allerdings abrücken muss, um ideologische Standpunkte klar (und geschmacklos) darzubieten: samt rot schwenkenden Fahnenträgern und einem mit lauten Siegeshymnen untermaltem Ende, das die erfolgreiche kommunistische Revolution propagiert.

Doch knifflig wird es vor allem dann – und hier geht der Film eigentlich erst los –, wenn Li als junger Mann (Chi Cao) von einem amerikanischen Choreographen (Bruce Greenwood) dazu eingeladen wird, in die USA zu reisen und dort als Gasttänzer im texanischen Austin die Ballettwelt zu bereichern. Lis Talente blühen und gedeihen, seine Fähigkeiten treffen das Publikum ins Herz. Er wird also für die USA ausgewählt, darf sein Land im staatsfeindlichen Terrain repräsentieren und das chinesische Volk umso stolzer machen. Dort angekommen, muss er sich finden, muss erst lernen, dass seine Perspektiven auf das ansonsten immer nur als kapitalistisches Feindland vorgeführte Amerika von jahrelanger Propaganda beeinflusst sind. Der zeitlich begrenzte Aufenthalt verändert sein Leben grundsätzlich. Die Gesellschaft, der Tanz, die Liebe: alles scheint freier und ungebundener zu sein, in diesem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. An einem Abend geht Li mit einem Freund in eine Bar, wo sein Sitznachbar die Politik des aktuellen amerikanischen Präsidenten kritisiert. Li versucht ihn zum Schweigen zu bringen: „Psst! Jemand könnte Dich hören.“ Doch seine Begleitung weist ihn zurecht: „Li, ich darf sagen, was ich will. Wir sind hier in Amerika!“

Während Lis Auftritte erfolgreicher werden, während er immer positivere Resonanzen vom Publikum erhält und sich auch noch glücklich in eine Mittänzerin verliebt, rückt der Tag immer näher heran, an dem er die Vereinigten Staaten verlassen muss. Doch trotz des Heimwehs, trotz seiner Sehnsucht nach seinen Eltern will Li die USA nicht verlassen. Er will bleiben und als professioneller Ballett-Tänzer Karriere machen. Und hier kommt die Politik wieder ins Spiel: Die chinesischen Machthaber, darunter der chinesische Botschafter, verweigern ihm das Bleiberecht und rufen ihn zurück ins Heimatland. Er soll nicht widersprechen und den Weisungen seiner Vertreter gehorchen. Dabei wird er unter Druck gesetzt: Seine Eltern sind immer noch im ärmlichen Dorf in der Peripherie Chinas, wo sie unangenehme Folgen zu erwarten hätten, sollte Li nicht zurück in die Heimat kehren. Jetzt muss der Maos letzter Tänzer nicht nur künstlerisch, sondern auch menschlich eine im Grunde unlösbare Herausforderung bewältigen. Er muss eine Entscheidung treffen, die nicht nur für ihn, sondern auch für seine Familie Konsequenzen hat.

Burce Beresford erzählt eine bewegende Geschichte, die sich tatsächlich so ereignet haben soll: Der Stoff ist der Autobiographie Li Cunxins entnommen und kann jetzt, im Zuge der Verleihung des Friedensnobelpreises an den Aktivisten Liu Xiaobo, als Kommentar auf das heutige Chinca gelesen werden. Dabei zeigt die Verschränkung von Kunst und Politik die bedrohliche Tragweite einer ideologisch durchsetzten Gesellschaft. Auch wenn Maos letzter Tänzer stellenweise unter klischeehaften Darstellungen leidet, fühlt man sich bewegt, überwältigt und mitgerissen von den immer wieder paradox hereinfallenden Herausforderungen, vor die der chinesische Balletttänzer gestellt wird. Die phänomenalen Tanzeinlagen sind ein weiterer Grund, warum sich ein Kinobesuch lohnt.

Maos letzter Tänzer

Manchmal kann man der Realität nur dann entkommen, wenn man sich in die Arme der Kunst rettet. In diesem Fall, in Bruce Beresfords „Maos letzter Tänzer“, ist dieser etwas abgedroschene Satz völlig ernst gemeint. Denn im kommunistischen China der 1970er Jahre, in dem der 11-jährige Li Cunxin lebt, in einem kleinen Dorf im Nirgendwo des gigantischen Landes, offenbart der Alltag nur wenig Grund zur Hoffnung.
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Meinungen

Benno Paulitz · 26.01.2011

Überwältigender Film,
hat mich mehrfach zu Tränen gerührt.
Wurde oft in mein eigenes Leben zurück versetzt.
Auch in unserem land (Ländern) gibt es analoge Geschichten, die offenbar leider keiner versteht zu schreiben oder zu verfilmen.
Ich danke den Machern und warte auf die DVD in deutscher Sprache!!!

Loewenherz · 06.12.2010

Ein toller Film: fast nicht zu glauben, was das Leben so für Geschichten schreibt!!

Jay Jay · 02.12.2010

Mein Kommentar entspricht dem von chrissi

chrissi · 21.11.2010

dieser film war einfach wunderschön,schade,daß so wenig leute drin waren!