Mann im Spagat: Pace, Cowboy, Pace

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Go, Freischwinger, go!

In Klappe, Cowboy! hat Timo Jacobs seine Figur filmisch etabliert, diesen großmäuligen Loser, der vom norddeutschen Kaff nach Berlin auszog, um das Filmen zu lernen. Realitätsverweigerung bei gleichzeitiger protziger Selbstdarstellung – was Cowboy ausmacht, hat er auch in seine neue Reinkarnation in Mann im Spagat übernommen. Er braucht Geld, er ist Idealist, er benutzt andere, er will die Welt retten: Als Freischwinger verkauft er levitiertes Wasser, lässt seine Seele baumeln, hofft auf Fördergelder und will der erkrankten Frau Mama einen Platz im Elvis-Seniorenheim verschaffen. Und das geht am besten mit der Agentur für Weltatem …
Timo Jacobs schert sich natürlich nicht um Handlung. Die ist völlig und dermaßen bekloppt, dass man sie guten Gewissens kaum wiedergeben kann. Es gibt den bösen Nachbarn, der Cowboy nicht in Frieden leben lassen will, es gibt eine feenartige Supervisorin von der Agentur, die olle brasilianische Schönheitskönigin heißt Angel, am Hermannplatz wohnt ein Teufel, jeden Tag winkt im Pflegeheim die Elvis-Hologramm-Show (wenn nicht gerade Greta-Garbo-Melancholieabend ist) und ein Wellensittich stirbt, weil der Nachbar Müll verbrennt. Im Übrigen wird viel gelabert, also wirklich gelabert, und eine Radfahrer-Rallye durch Berlin soll als Charity-Event Projektförderung einbringen.

Ansonsten versammelt Timo Jacobs offenbar Freunde und Bekannte aus der Klein- und Großkunstszene und lässt die Kamera laufen. Das bringt großartige Szenen hervor: Friedrich Liechtenstein piepst als Wachtmeister einen Pimmel-Song, der Teufel frisst den bösen Nachbarn (!), das Radrennen wird von einer gewittrigen Karma-Wolke aus besten Digitalpixeln begleitet. Meret Becker ist ein nymphomaner Späthippie. Und Olli Schulz quasselt Clemens Schick in Grund und Boden.

Anderes ist kompletter Schwachsinn, dilettantisch gedreht und ohne inneren Bezug: Cowboys Praktikant, der so tapfer Wasser zu verkaufen versucht, wird kurzerhand geschasst, verbündet sich mit dem Antagonisten, nur um dann, als wäre nichts gewesen, wiederum Cowboy gegen die teuflischen Mächte zu helfen. Der Teufel ebenso wie Angel, die ihn erst heraufbeschworen hat, verhelfen wiederum am Ende zum Happy End im Altenheim. Und einiges zwischendrin fällt einfach aus der Filmerzählung – wenn man sie so nennen will – raus, ohne Sinn und Verstand.

Aber jetzt mal ehrlich: Genau das macht Cowboys Welt aus. Dieses Hingeworfene und Unbekümmerte, dieses vollkommen Freie im Gestalten, diese Hingebung zum Absurden, der Sinn für Nonsens, der Wille zum Großen und das Hängenbleiben im Amateurhaften: Dies ist das Werk eines wahren Liebhabers der Filmkunst, der eifrig sein Ding durchzieht, weil er sein Hobby zum Beruf gemacht hat. So eine Einschätzung ist natürlich unfair, einerseits, weil Timo Jacobs seit einigen Jahren beim Film ist, als Schauspieler und als Filmemacher; andererseits ist es auch ein Kompliment angesichts so vieler allzu perfekter „Komödien“ aus Deutschland, die zehnmal durch den Dramaturgenwolf gedreht wurden, bis ihnen jedes Leben entzogen worden ist.

Cowboy ist ein Freischwinger, und dies ist ein Freischwinger-Film, weder kalkuliert noch berechnend, sondern einfach – da. Das ist das schöne an der deutschen Independent-Filmszene, deren prominenteste Ausformung die „German Mumblecore“-Schule ist: Hier wird einfach gemacht und tatsächlich kommen die Filme ins Kino. Und der Zuchauer kann damit anfangen, was er will. Oder, wie es Timo Jacobs ausdrückt: „Die bunten, lebensbejahenden Charaktere, die den skurrilen Zauber umarmen, die den Zuschauer hineinziehen, mitnehmen auf den bunten Jahrmarkt der Berliner Künstler, Träumer und Kirschkern spuckenden Weltverbesserer, erlauben keinen Zweifel sich amüsieren zu dürfen.“

Mann im Spagat: Pace, Cowboy, Pace

In „Klappe, Cowboy!“ hat Timo Jacobs seine Figur filmisch etabliert, diesen großmäuligen Loser, der vom norddeutschen Kaff nach Berlin auszog, um das Filmen zu lernen. Realitätsverweigerung bei gleichzeitiger protziger Selbstdarstellung – was Cowboy ausmacht, hat er auch in seine neue Reinkarnation in „Mann im Spagat“ übernommen.
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Meinungen

Ellie Maradonna · 29.07.2018

Der Mensch ist beides zugleich: eine Sackgasse und ein Ausweg.
Dieser Film ist ein Ausweg aus dem faden Deutschem Kino.
Absolutes Kinoerlebnis vom Feinsten. Tolle Bilder und einen Plott der zum Glück mal unerwartet ist, ja und die Figuren: MEGA

Dominik Friebel · 12.07.2017

⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
Ahoi, Prost. 2 doppelde Freischwingerwasser bidde. Für mich und den Herrn da drüben.