Manh(A)ttan (Staffel 1)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die 13 Episoden der ersten Staffel auf DVD

Mit den unsagbar zynisch vermenschlichten Namen „Little Boy“ und „Fat Man“ versehen, wurden im August 1945 die ersten beiden kriegerisch-zerstörerisch eingesetzten Atombomben der Vereinigten Staaten von Amerika auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Diese akute wie nachhaltig und anhaltend schwelende humane und ökologische Katastrophe ist zu einer grausamen Interpunktionsmarke innerhalb der übelsten Weltgeschichte avanciert und hat zudem eine beklemmende Bedrohung hinein implantiert, deren Schrecken entgegen der politischen Vision von Global Zero unverändert und berechtigt Bestand haben.

Sind die historischen Hintergründe des Zweiten Weltkriegs mit seinen tod- und leidbringenden Verwicklungen in diesem Zusammenhang auch weithin bekannt, ist die komplexe und im schlimmsten Sinne kuriose Entwicklungsgeschichte der Atombombe an sich recht wenig zugänglich. Der Aufgabe, diesen verborgenen Komplex detailliert und gleichzeitig auch stilecht, unterhaltsam sowie als markante Fiktion zu beleuchten und zu präsentieren, hat sich der US-amerikanische Fernsehsender WGN America gestellt. Mit Manh(A)ttan wurde ab Juli 2014 eine vom Publikum satt frequentierte erste Staffel der Serie von 13 Episoden ausgestrahlt, die unter anderem mit dem Primetime Emmy und dem Preis der American Society of Cinematographers ausgezeichnet wurde.

Als eine Art düstere Legende ist der Ort Los Alamos in New Mexico längst zu trister Bekanntheit gelangt, und hier ereignet sich überwiegend die Geschichte des so genannten Manhattan Projects, jenes einst geheimen Forschungsvorhabens, das unter der Leitung des Physikers J. Robert Oppenheimer letztlich zum Bau der ersten Atombombe geführt hat. Die meist abwesende Figur Oppenheimers selbst – gespielt von Daniel London – kommt innerhalb der Serie direkt nur recht geringfügig zum Tragen, auch wenn dieser Name machtvoll und beinahe omnipräsent über dem Ort und seinen Bewohnern schwebt. Es sind vielmehr die zahlreichen Wissenschaftler mit ihren Familien, deren Befindlichkeiten und Entwicklungen in den Fokus von Manh(A)ttan gerückt sind, mit all ihren persönlichen und professionellen Interaktionen, Haltungen und vor allem Konflikten.

Es ist eine eigene kleine, brisante und brodelnde Gesellschaft von fachlichen Koryphäen, wissenschaftlichen Mitarbeitern und diversen Hilfskräften, die in Los Alamos zu einem ganz besonderen Projekt zusammengebracht worden ist, über welches allerdings striktes Stillschweigen zu herrschen hat, was auch den Ehepartnern und den Familien gegenüber gilt. Der Zeitpunkt der Handlung ist signifikanterweise auf „766 Tage vor Hiroshima“ datiert und referiert damit unmittelbar auf diese geschichtliche Grauensgrenze, auf welche sich die Dramaturgie der Episoden so allmählich wie unaufhaltsam zubewegt. Noch fehlen einige wichtige Daten und Versuche, um das Ziel des Projekts – für den Einsatz im Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland eine Bombe mit enormer, nie zuvor erreichter Sprengkraft herzustellen – zu realisieren, doch die Entwicklung läuft auf Hochtouren, zumal der Kenntnisstand anderer Forschergruppen offensichtlich eine gefährliche Konkurrenz darstellt.

Unter der Leitung des ambitionierten Dr. Frank Winter (John Benjamin Hickey), der gemeinsam mit seiner klugen Frau Liza (Olivia Williams), ebenfalls Wissenschaftlerin, und seiner jugendlichen Tochter Callie (Alexia Fast) in der eigens dafür errichteten Forschungsstadt mehr arbeitet als lebt, können erhebliche Fortschritte erzielt werden. Doch in diesem Mikrokosmos der verborgenen Wahrheiten und unterdrückten Lügen toben eben auch die Emotionen und Animositäten innerhalb der unfreiwillig eingepferchten Schar der Bewohner, die ihr Dasein in einem dauerhaften Ausnahmezustand einer Lageratmosphäre fristen. Als einer der Forscher und Geheimnisträger des Verrats wichtiger Informationen verdächtigt und aus dem Verkehr gezogen wird, kann auch Winter ihn nicht beschützen, und unterschwellige Machtverstrickungen drängen ans Licht …

Innerhalb dieser immens aufwändigen, sorgfältig gestalteten und detailgetreu geradezu prächtigen Produktion, die sichtbar aus dem Vollen geschöpft hat, um das Ambiente und die Stimmungen dieser Kriegszeiten authentisch widerzuspiegeln und dem Publikum auf dieser langen Strecke von 13 Folgen auch noch einen nostalgischen Augenschmaus zu bieten, tummeln sich derart differenzierte und spannende Frauenfiguren, dass allein diese Charakterschau eine Sichtung wert ist. Doch diese charmanten Nebeneffekte flankieren und betonen lediglich die fesselnde Intensität des Sprengstoffbündels der Haupthandlung mit ihren moralischen, strategischen und auch technischen Fallstricken vor historischem Hintergrund, dessen Entwicklungen zwar bekannt sind, aber hier nichtsdestotrotz mitunter unauslotbar erscheinen.

Der Stoff nach einer Idee von Drehbuchautor und Produzent Sam Shaw, dessen Episoden insgesamt von elf unterschiedlichen Regisseuren inszeniert wurden, ist an sich schon spektakulär und sehr ausdifferenziert gestaltet, während das eingängige Stamm-Ensemble, die Stimmungen in Los Alamos sowie die kuriosen Kleinigkeiten des Sets praktisch einen eigenen kleinen konsistenten Kosmos entstehen lassen, in den das Publikum zu jeder weiteren Folge erneut gern zurückkehrt. Selbst die Bleistifte in den Schubladen der Laborräumlichkeiten sind authentische Relikte aus den frühen 1940er Jahren, die eigens für den Dreh organisiert und teilweise gar bei eBay ersteigert wurden, wie aus dem informativen wie spannenden Bonusmaterial hervorgeht, das auf den vier DVDs der ersten Staffel von Manh(A)ttan enthalten ist.

Bei aller Stilisierung und sorgfältigen Eitelkeit, die von diesem erfolgreichen Projekt in doppeltem Sinne ausgeht, ist es diesen ersten 13 Episoden der TV-Produktion zweifellos gelungen, sich innerhalb des Trends und auf dem Markt der ausführlichen Intensiv-Serien sehenswert zu behaupten. Die Krimi-Qualitäten und der niveauvolle Seifenoper-Habitus der Dramaturgie in Kombination mit dem schwelend ernsthaften historischen Thema bereitet dem kritischen Zuschauer zwar mitunter bittere Beklemmungen. Doch überwiegt hier dennoch insgesamt das Resultat der längst fälligen ausführlichen Beschäftigung mit diesem tragischen Territorium, das nach wie vor als zeitgeschichtliche Meta-Katastrophe eine unwiderrufliche Verseuchung ausstrahlt, zumal das weltweite Hegen des atomaren Wahnsinns weit entfernt von Global Zero gar gesteigert andauert.
 

Manh(A)ttan (Staffel 1)

Mit den unsagbar zynisch vermenschlichten Namen „Little Boy“ und „Fat Man“ versehen, wurden im August 1945 die ersten beiden kriegerisch-zerstörerisch eingesetzten Atombomben der Vereinigten Staaten von Amerika auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Diese akute wie nachhaltig und anhaltend schwelende humane und ökologische Katastrophe ist zu einer grausamen Interpunktionsmarke innerhalb der übelsten Weltgeschichte avanciert und hat zudem eine beklemmende Bedrohung hinein implantiert, deren Schrecken entgegen der politischen Vision von „Global Zero“ unverändert und berechtigt Bestand haben.

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