Manderlay

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine ernüchternde Etappe zwischen Dogville und Washington

Hinter einem verschlossenen Tor in Alabama herrscht anscheinend unbemerkt vom Blick der übrigen Gesellschaft der längst aufgehoben geglaubte Wahnsinn einer absurden Welt. In dieser ist das offensichtliche Unrecht einer Unterdrückungspraxis wie in den Zeiten der Sklaverei vor der Emanzipations-Proklamation der Regierung Abraham Lincolns unangefochtener Alltag.

Diese Entdeckung entsetzt die junge Grace Mulligan (Bryce Dallas Howard), die zusammen mit ihrem Vater und seiner Gangstergefolgschaft auf dem Weg in eine vage Zukunft ist, so sehr, dass sie den Entschluss fasst, die Zustände auf der Plantage Manderlay mit Unterstützung einiger Gunmen zu revolutionieren, um den Menschen an diesem unerhörten Ort die Segnungen der Freiheit und der Demokratie zu bescheren — ob diese das wünschen oder nicht.

Manderlay ist nach Dogville der zweite Teil der Triologie des dänischen Regisseurs Lars von Trier, die sich provokant inszeniert und kontrovers rezipiert mit der Gesellschaft, der Politik und vor allem mit dem Klischee der USA beschäftigt.

In einem kleinen, abgeschiedenen Universum auf einer Baumwollplantage im Süden der USA herrscht die greise Mam (Lauren Bacall) als Gesetz und Hüterin einer überkommenen, längst abgeschafften Sklavenhaltergesellschaft über eine Gruppe von schwarzen Untergebenen, deren Lebensumstände mit harter, unbezahlter Arbeit, desolaten Wohnverhältnissen und Strafen körperlicher Züchtigung menschenunwürdig sind. Für die Beseitigung dieser unerhörten Zustände fühlt sich die junge Grace sofort verantwortlich und macht es sich zur Aufgabe, mit ihrem ebenso verständlichen wie naiven Rechts- und Unrechtsbewusstsein, das sie mit Hilfe der bewaffneten Schergen ihres Vaters durchsetzt, die Sklaven zu befreien, die Ernte zu retten und die Plantage in ein selbstverwaltetes, demokratisches Territorium zu verwandeln. Ein Vorhaben, das nach kleineren Umwegen in einem Drama einer gefälligeren Produktion sicherlich pathetisch gelingen mag, nicht jedoch unter der Regie des unbequemen Dogma-Dänen, der seine Protagonistin einer Fülle von heftigen Widrigkeiten aussetzt. Diese unüberwindlichen Hindernisse rühren mit eindringlicher Symbolik an die Grundfragen gesellschaftlicher Konstellationen von Demokratie und Willkür, Freiheit und Gesetz sowie nicht zuletzt an das auch durch gut gemeinte Bevormundungen vorbelastete Verhältnis von schwarz und weiß der westlichen Welten.

Grace, deren lautere Absichten sie selbst in dilettantischem Aktionismus mit gesteigerter Intensität in letzter Konsequenz zu einem Opfer ihrer eigenen Regeln werden lässt, scheitert auf allen Ebenen: Die unzulängliche wirtschaftliche Handhabung der Plantage führt zu einer Hungersnot, die künstlich zur Maxime erhobene Demokratie scheitert und katapultiert sie selbst in eine Position, in der die Retterin zur Gefangenen ihrer eigenen Befreiung wird, und nicht zuletzt verfängt sie sich in den unbewussten Stereotypen der geschlechtlichen schwarz-weiß Beziehungen.

Wer Grace (Bryce Dallas Howard) bereits aus Dogville kennt, wo die Tochter eines einflussreichen Kriminellen noch von Nicole Kidman verkörpert wurde, weiß, welch schreckliches Unrecht ihr dort widerfährt und wie grausam und nicht minder gewalttätig sie sich an ihren Peinigern rächt. In Manderlay erhebt sich die gerade aus einer persönlichen Hölle errettete Grace nun selbst zur Retterin geschundener Kreaturen, erneut protegiert von schnöder Waffengewalt als dem Gesetz über den Gesetzen.

Die Handlung des zweiten Teils der Amerika-Triologie schließt dort an, wo der erste Teil uns verließ, und ist ebenso karg und reduziert in Szene gesetzt. Lars von Trier setzt hier die Vorstellung eines bühnenhaft angedeuteten, durch nur wenige Requisiten ergänzten Spielortes fort, ebenso den Einsatz eines kommentierenden Erzählers (John Hurt), was in strenger Form die europäische Perspektive in einer geradezu andächtigen, kleinen Hommage an Brecht’sche Strukturen etabliert. Auch thematisch lässt sich eine Nähe zu Brecht kaum verleugnen, spitzt sich doch der Verlauf der Geschichte auf die nahezu banale, aber grundsätzliche Aussage nach den menschlichen Verhältnissen zu, die auch hier mit all ihren Konsequenzen zweifelsohne lautet: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

Weist Manderlay auch sicherlich Züge und ebenso Schwächen eines gesellschaftspolitischen Lehrstücks auf, so ist der Film dennoch eine zynische und eurozentristische Rezeption US-amerikanischen Rechts- und Sendungsbewusstseins, dessen minimalistischer, ambivalenter Humor kaum die assoziative Dynamik und Dichte der kühlen, ernsthaften Dramaturgie zu durchdringen vermag. Möglicherweise ist es dem selbst ernannten "Onanisten der Leinwand" Lars von Trier nach der Intensität von Dogville vorzuwerfen, bei Manderlay ein wenig zu selbstvergessen tätig gewesen zu sein und den unterhaltenden, emotionalisierenden Fluss der Geschichte für die potentielle Zuschauerschaft zu Gunsten einer dokumentarisierenden, allzu faktischen Komponente vernachlässigt zu haben. Dieser Eindruck verdichtet sich vor allem im Abspann, wo erneut, wie zuvor in Dogville zum Sound von David Bowies „Young Americans“, Photographien der wenig würdigen amerikanischen Realität der doch längst befreiten schwarzen Bevölkerung die Aktualität und Brisanz der politischen Aussage unterstreichen, deren zu kategorische Qualität den Film bei Zeiten ein wenig aufdringlich dominiert.

Dennoch ist Manderlay gerade auf Grund der ernüchternden Stringenz eine sehenswerte Station nach Dogville, und der dritte Teil des Dreier-Zykluses, Washington, der für 2007 geplant ist, darf mit Spannung erwartet werden.
 

Manderlay

Hinter einem verschlossenen Tor in Alabama herrscht anscheinend unbemerkt vom Blick der übrigen Gesellschaft der längst aufgehoben geglaubte Wahnsinn einer absurden Welt.

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Meinungen

Mike · 27.07.2006

Washington wird noch eine ganze Weile dauern, da mit dem Dreh noch nicht begonnen worden ist. Lars von Trier arbeitet momentan an zwei anderen Filmen.

Elsa Double · 27.07.2006

Hab jetzt endlich den Film gesehen und bin echt begeistert!! Kein Streifen zur Kurzweil, das ist klar, regt dafür aber die Hirnwindungen an und ist mal ein ganz anderer Beitrag zur Rassismus-Debatte vor allem zum Thema Gutmenschen und Doppelmoral. Vielleicht auch mehr was für Leute die Theater mögen. Und die Kritik von Marie Anderson passt genau, man versteht sie nur besser wenn man den Film selber gesehen hat und bei der Art von Filmen spricht man eben intellektuelle Kinofans an, ist eben nichts für die breite Masse die auf flotte aber leere Sprüche steht. Trotzdem war Dogville noch besser, dramatischer und lebendiger und ich bin total gespannt auf Washington, bin großer Lars von Trier Fan!! Ist schon bekannt, wann der raus kommt? L.G. Elsa

Rob · 08.11.2005

Was immer Frau Anderson veranlasst, jedes nominative Hauptwort mit einem beschreibenden Adjektiv geflissentlich zu versehen, wird sie doch weniger deutlich als eher schwammig bis sehr neblig in den ihr eigenen Ausführungen, die sie geliebt zu tätigen.

Danke, liebe Marie - zu kurz gelegen und dann daneben gefasst.

Na, macht nix, der Film ist eh' indifferent dogmateristisch.

Hach...

Rob

· 07.11.2005

Inhalt gut,
Kulisse zu wenig,
Autorenkino

· 07.11.2005

Inhalt gut,
Kulisse zu wenig,
Autorenkino