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Sie schimpft, sie trällert, sie spricht voller Stolz über ihre Errungenschaften. Maria del Carmen Torrescano ist eine leidenschaftliche Protagonistin, der Film über sie ihr persönlicher Triumph. Doch hinter der Fassade ihrer großbürgerlichen Familiengeschichte liegen dunkle Geheimnisse.

Mamacita (2018)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Eine Frau voller Schmerz

Maria del Carmen Torrescano ist eine Matriarchin, wie sie im Buche steht: Sie könnte wunderbar die Hauptrolle in einem Roman von Gabriel García Márquez übernehmen. Aus einfachen Verhältnissen hat sie in Mexiko ein Schönheitsimperium aufgebaut, hat acht Kinder großgezogen und 23 Enkelkinder aufwachsen sehen. Der Dokumentarfilm „Mamacita“ erzählt ihre Familiengeschichte, zeigt aber auch die Widersprüchlichkeiten ihrer Person und deckt so manches Familiengeheimnis auf.

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Als Enkelsohn José Pablo zum Filmstudium ins Ausland ging, versprach er seiner Großmutter, die alle nur „Mamacita“ nannten, einmal später einen Film über sie zu machen. Als er dann zu diesem späteren Zeitpunkt von Europa aus bei ihr anruft, rührt er sie mit seiner Ankündigung zu Tränen, denn der Film ist ihr wichtig, wie sie in ihrer theatralischen Art betont: Denn man müsse verstehen, dass „eine Frau wie ich, die ich als Kind viel gelitten habe, Erfolg haben muss“.

Die Bedeutung eines Films an seinen Anfang zu stellen, ist mutig. Und es funktioniert: Denn es zeigt von Beginn eine ambivalente Frau, die einerseits stolz ist, autoritär und bisweilen verachtend ihren Mitmenschen gegenüber, die andererseits aber auch extrem verletzlich und „eine Frau voller Schmerz“ ist, eben weil sie schon oft in ihrem Leben sehr verletzt worden ist.

Zusammen mit ihren Töchtern hat sie das Familienunternehmen Maria del Carmen Torrescano  e Hijas (‚und Töchter‘) gegründet und betrieben: Schönheitskliniken, die mit unterschiedlichen Methoden und (Natur-) Produkten die Schönheit des weiblichen Körpers aufrechterhalten und lobpreisen. Immer wieder erklärt die fast 100-Jährige, wie wichtig es für sie als Frau war, gut auszusehen. Dieses Gefühl wolle sie auch anderen Frauen geben. Wenn sie zusammen mit José Pablo in alten Fotos kramt oder ihm von früher berichtet, betont sie mit vollem Stolz, dass sie im Kreis ihrer Töchter – auch im hohen Alter – immer am besten ausgesehen habe.

José Pablo Estrada Torrescano lässt sich auch von anderen Familienmitgliedern Geschichten erzählen und durchs Haus führen. Er ist dabei, wenn Pflegepackungen hergestellt werden und sich seine Großmutter am Herd recht herrisch einmischt und über alle anderen schimpft, die das Verrühren der Zutaten nicht so gut beherrschten wie sie selbst. Doch auch wenn die Bediensteten oder ihre Töchter unter ihr leiden, behandeln sie Maria del Carmen Torrescano mit großem Respekt.

Sie erzählen dem Dokumentarfilmer auch von den Rückschlägen und Kindheitserzählungen seiner Großmutter, von Geheimnissen und Gerüchten. Und allmählich beginnt das Bild für José Pablo Form anzunehmen. Aber erst als er sich in eine alte Uniform wirft und seinen Ururgroßvater mimt, trifft er den richtigen Nerv.

Mamacita ist auch ein Film über seinen Macher, José Pablo Estrada Torrescano, über seine Kindheit, seine Einsamkeit und seine Enttäuschungen. Als seine Mutter starb – José Pablo war zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alt –, war seine Großmutter nicht für ihn da. Er durfte bei seinen Cousins leben, die aber den ganzen Tag unterwegs waren. Er erinnert sich vor allem daran, dass er tagelang alleine war. Auch dieses Gefühl bricht sich während der Dreharbeiten seine Bahnen. Der Film aber lebt von seiner schillernden Protagonistin: Wie sie in ihrem herrschaftlichen Haus herumwandelt, in ihre Kissen weint, über das schimpft und wettert, was sie nicht leiden kann, und das lobpreist, was sie ist: eine ewige Schönheitskönigin.

Mamacita (2018)

Als der Regisseur José Pablo Estrada Torrescano einen Film über seine 98-jährige Großmutter „Mamacita“ beginnt, hat er keine Ahnung, auf welche Familiengeheimnisse er stoßen wird. Denn sie ist das ungeliebte Kind aus einer inzestuösen Beziehung und schaffte es trotz dieser Geschichte, im Laufe ihres Lebens ein Beautycenter-Imperium zu erschaffen. Dennoch hat sie die Trauer darüber, dass ihre Familiengeschichte so unversöhnlich war, niemals ganz verwunden.

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