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In „Making Montgomery Clift“ wird ein neuer Blick auf den früh verstorbenen Schauspieler geworfen – und die Geschichtsschreibung der US-Filmindustrie hinterfragt.

Making Montgomery Clift (2018)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Der lachende traurige Mann

Neben Marlon Brando (1924-2004) und James Dean (1931-1955) gilt der 1920 geborene Montgomery Clift als einer der US-Schauspieler, dem es durch seine intensive, emotionale Spielweise gelang, ein neues, sensibleres Männlichkeitsbild im Hollywoodkino zu etablieren. In Howard Hawks’ Westerndrama „Red River“ (1948) verkörperte er den Adoptivsohn eines von John Wayne gespielten Ranchers – und wurde damit zum Gegenentwurf des machohaften Duke, der niemals Verletzlichkeit zeigte. Es folgten Rollen in Leinwand-Melodramen neben Olivia de Havilland und Elizabeth Taylor, in Werken großer Regisseure wie Alfred Hitchcock, Vittorio De Sica, Fred Zinnemann und John Huston sowie ein grandioser Cameo-Auftritt in Stanley Kramers „Das Urteil von Nürnberg“ (1961), der Clift eine seiner insgesamt vier Oscar-Nominierungen einbrachte, ehe er 1966 im Alter von 45 Jahren an einem Herzinfarkt starb.

In Erinnerung blieb Clift aber vor allem als tragische, zur Selbstzerstörung neigende Gestalt – nicht zuletzt deshalb, weil er (auch) Männer liebte. So wird Clifts Verkörperung eines Mannes am Rande des Nervenzusammenbruchs in Das Urteil von Nürnberg nicht selten als Selbstdarstellung gelesen – und seine künstlerische Leistung und Fähigkeit als Schauspieler somit abgewertet. Zwei Biografien, die nach Clifts Tod erschienen, verstärkten den Eindruck eines sich selbst verachtenden, unglücklichen Menschen noch, indem sie in erster Linie nach dem Skandalösen, Düsteren suchten.

Das zu Clifts 100. Geburtstag erscheinende dokumentarische Porträt Making Montgomery Clift kann daher als Neubetrachtung der Person und des Künstlers Montgomery Clift begriffen werden. Mit seiner Co-Regisseurin Hillary Demmon begibt sich Robert Anderson Clift – der jüngste Neffe Montgomerys, der erst nach dessen Tod geboren wurde – auf Spurensuche. Dabei kann das Duo auf ein umfangreiches, von Roberts Vater Brooks angelegtes Archiv zurückgreifen, das neben Zeitungsartikeln, Fotografien, Briefen und Notizen auch zahlreiche Tonbandaufnahmen enthält, auf denen Telefongespräche von Brooks mit Montgomery, aber auch mit der gemeinsamen Mutter und mit Montgomerys Biografin Patricia Bosworth zu hören sind. Hinzu kommen Interviews, die Robert mit Zeitzeug_innen führt, und Filmausschnitte.

Vieles am Vorgehen dieses Dokumentarfilms ist bemerkenswert. So werden Einstellungen aus Filmen mit Montgomery Clift so montiert, dass sich neue Bedeutungen ergeben. Etwa wenn ein schmachtender Blick von Clift, der im entsprechenden Werk der Leinwandpartnerin galt, als Gegenschuss plötzlich das Bild eines Mannes erhält – und dadurch eine Liebesform sichtbar wird, die im klassischen Hollywoodkino nicht gezeigt werden durfte. Auch wird Clifts schauspielerische Arbeit neu bewertet, indem sein Agieren in den Filmen mit seinen eigenen handschriftlichen Kommentaren in den Drehbüchern verglichen wird. Wir erfahren zudem, dass sich Clift im strengen Studiosystem eine damals höchst ungewöhnliche Selbstständigkeit bewahrt hat – und er seine Parts stets mit Bedacht auswählte.

Diverse Mythen, die über Clift kursieren, werden hier einer kritischen Prüfung unterzogen. Und ein neues, facettenreicheres Bild wird gezeichnet. Zu den schönsten Überraschungen von Making Montgomery Clift gehört, dass der Film seinen Protagonisten auch ausgelassen lachend und fröhlich herumalbernd zeigt. Der sad young man mag eine reizvolle Figur sein – doch er ist nur eine von vielen Seiten, die Clift auszeichneten.

Making Montgomery Clift (2018)

Die Geschichte des Filmstars und Queer-Heroen Montgomery Clift war immer schon eine voller Tragik und Selbstzerstörung. doch als sein Neffe in das Familienarchiv eintaucht, zeigen sich kompliziertere Zusammenhänge und Facetten.

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