Mahler auf der Couch

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Dienerin eines Genies

Unglaublich, aber wahr: Da schickt der Liebhaber einer verheirateten Frau einen erotischen Brief – und adressiert ihn aus Versehen an den Ehemann. Sigmund Freud lässt grüßen, könnte man sagen. Aber damit würde man der Vielschichtigkeit der verrückten Ehe zwischen Alma und Gustav Mahler und dem Dreieck mit dem schusseligen Lover nicht gerecht, über die Felix und Percy Adlon einen wundervoll leichten, atmosphärisch dichten Film gedreht haben.
Der Komponist, Dirigent und Operndirektor Gustav Mahler (Johannes Silberschneider) war schon 41, als er 1902 die 22-jährige Alma Schindler (Barbara Romaner) heiratete. Sie ist nicht nur seine große Liebe, sondern auch Muse seiner Musik, Mutter seiner Kinder und einfühlsame Gesprächspartnerin, da sie selber Komponistin werden wollte. Für Mahler gibt Alma ihre künstlerischen Ambitionen auf. Der Komponist mit zwangsneurotischen Anwandlungen erträgt es nicht, eine „Kollegin statt eines Weibs“ zu haben, wie er es selbst formuliert. Fast neun Jahre schafft es die lebenshungrige Alma, lediglich die Dienerin eines Genies zu sein. Dann rettet sie sich in die Arme des 26jährigen Walter Gropius (Friedrich Mücke) — später ein weltberühmter Architekt und Begründer der „Bauhaus“-Bewegung. Gustav Mahler leidet unter dem Ehebruch so sehr, dass er die Hilfe von Sigmund Freud (Karl Markovics) sucht, des Begründers der Psychoanalyse.

Einiges von dieser Geschichte ist historisch verbürgt, das andere haben sich Felix und sein Vater Percy Adlon (Out of Rosenheim) ausgedacht. Gerade beim Erfinden der Gespräche zwischen Mahler und Freud beweisen die Autorenfilmer eine meisterhafte Fantasie und Einfühlungskraft. Ihnen geht es offenbar nicht darum, wie es tatsächlich war – das kann niemand wissen -, sondern wie es gewesen sein könnte. Dadurch erzählen sie eine höchst moderne Geschichte, mit einem Interesse an Beziehungsgeflechten, die aus aktuellen Erkenntnisinteressen und persönlichen Fragen gespeist werden. Wie schafft es eine Frau, die eigene Karriere zu leben und gleichzeitig eine Vaterfigur zu lieben? Wie kriegt es ein Künstler hin, alles dem Werk unterzuordnen und sich zugleich ins Familiennest zu kuscheln? Und was muss alles geschehen, bevor man in die Abgründe der eigenen Seele schaut?

Mahler auf der Couch nimmt die Psychoanalyse ernst und wahrt zugleich eine erfrischende Distanz. Der Schlagabtausch zwischen Mahler und Freud gehört zu dem Lustigsten, was das Kino über diese eigenwillige Methode der Seelenheilkunst je hervorgebracht hat. Aber es macht sie auf indirekte Weise auch ein Stück verständlicher. Denn der Zuschauer sieht sozusagen mit den Augen von Freud, wie sich das Geheimnis dieser Ehe nach und nach enthüllt. Das heißt: Weder der Seelendoktor noch wir Zuschauer wissen, was sich da abspielt. Wir stellen Fragen, gehen in die Irre, nehmen einen neuen Anlauf und stoßen allmählich in die Tiefe, ohne je den Anspruch zu erheben, das Rätsel endgültig ergründen zu wollen. Das ist auch für die Spannungsdramaturgie ein genialer Kniff: Es ist eine Reise ins Ungewisse, unterstrichen durch eine fantasievolle Bildwelt, surreale Farben und kippende Linien. Und damit wir die nötige Distanz wahren, tauchen immer mal ein paar Figuren auf, die die Illusion brechen und den Zuschauer direkt ansprechen, um ihre Sicht der Dinge zum Besten zu geben, etwa die teuflisch-verschmitzte Eva Mattes als Almas Mutter.

Glaubwürdig wird die ganze Komplexität dieses Künstler- und Ehedramas aber nur, wenn die Figur der Alma die richtige Balance hält und weder in das Klischee eines sexbesessenen Künstler-Groupies abgleitet noch in die reine Opferrolle des unterdrückten Muttertiers. Barbara Romaner, die bislang vor allem als Theaterschauspielerin Erfolge feierte, löst diese Aufgabe mit Bravour. Unglaublich, aber wahr.

Mahler auf der Couch

Unglaublich, aber wahr: Da schickt der Liebhaber einer verheirateten Frau einen erotischen Brief – und adressiert ihn aus Versehen an den Ehemann. Sigmund Freud lässt grüßen, könnte man sagen. Aber damit würde man der Vielschichtigkeit der verrückten Ehe zwischen Alma und Gustav Mahler und dem Dreieck mit dem schusseligen Lover nicht gerecht, über die Felix und Percy Adlon einen wundervoll leichten, atmosphärisch dichten Film gedreht haben.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Ziehm · 26.07.2010

Bin überrascht, mit welcher humorvollen und doch ernsten Weise sich der Film des komplexen Themas:Mann/Frau und deren - nach Emanzipation d. Frau(!) wiederkehrenden - verkrustetes Rollenverhaltens bedient!Aktuell und mit bildgewaltiger "Sprache" umgesetzt.Ein Bravo auch an die Darsteller, Regie, Kamera.Ein nachhaltig schöner Kinofilm, der zum innehalten anregt.M.f.G.,Reinhard Ziehm

E. v. Eickstedt · 15.07.2010

Ich finde es unmöglich, dass dieser Film mit heftigen erotischen Szenen ab 12 Jahre freigegeben ist!! Ansonsten finde ich es einen sehr guten Film.