Madonnen

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Mutterrolle zwischen Anspruch, Verweigerung und Verzweiflung

Unverständlich, unverzeihlich und unerhört ist die Haltung und das Verhalten dieser jungen Mutter, die vor kurzem ihr fünftes Kind geboren hat, ihre Nachkommen immer wieder allein lässt und gerade mit ihrem Baby auf der Flucht vor der Polizei ist. Man meint geradezu, den empörten Aufschrei der Öffentlichkeit sowie der Medien gleichermaßen lautstark zu vernehmen, werden doch Kinder nur allzu gern und häufig wieder vehement als das höchste Gut einer Gesellschaft gepriesen, die sich von der Funktionalität des so genannten Generationenvertrags verabschieden musste. Obwohl oder weil die Zahl der Kinder, die ohne ihren Vater aufwachsen, stetig gestiegen ist, fällt der mitunter glorifizierten Rolle der Mutter immer mehr Bedeutung zu – und damit auch mehr an Engagement, Verantwortung und nicht selten auch an Belastungen auf unterschiedlichen Ebenen. So unzulänglich dabei die staatlichen und gesellschaftlichen Unterstützungen auch in der Regel noch sind, wird doch als selbstverständlich vorausgesetzt und gar gefordert, dass die Mütter nicht nur dem Habitus ihrer traditionellen Position gerecht werden, sondern zusätzlich mit den immensen sozialen Veränderungen dieser Zeiten zurechtkommen – ein realitätsfernes Ideal, dessen Fassade heftig zu bröckeln beginnt und dem sich eine wachsende Zahl von überforderten Frauen zunehmend mehr oder weniger bewusst verweigert. Inmitten dieser brandaktuellen Thematik um den Komplex „Mutter“ setzt der Spielfilm Madonnen / Madonnas von Maria Speth ein, dessen Titel ohne seine vielschichtige, herausfordernde Verzerrung auch „Rabenmütter“ oder ähnlich hätte lauten können.
Die junge, ungezähmte Rita (Sandra Hüller, Requiem) führt ein unstetes Leben, das sie immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt bringt, und die zahlreichen Beziehungen zur Männerwelt gestalten sich letztlich auch wenig erfreulich. Gerade steht sie in Deutschland auf der Fahndungsliste, und so entschließt sie sich spontan, ihren Vater in Belgien aufzusuchen, den sie allerdings noch nicht kennt und in dessen Familienalltag sie einer bösartigen Heimsuchung gleich einfällt. Das Brisante an Ritas Umständen ist jedoch, dass sie mit ihrem frischen Baby auf der Flucht ist, während ihre anderen vier Kinder derweil bei ihrer Mutter Isabella (Susanne Lothar) untergebracht sind, obwohl die Tochter deren Qualitäten als Mama so gar nicht schätzt. Die Situation in Belgien eskaliert, bis Rita verhaftet wird und schließlich doch im deutschen Mutter-Kind-Strafvollzug landet.

Nach ihrer Entlassung scheinen neue Zeiten anzubrechen, denn Rita schafft trotz einigen Widerstands auch von Seiten ihrer Mutter für all ihre Kinder ein Zuhause, um wieder mit ihnen zusammenzuleben. Auch der neue Mann in ihrem Leben, der in Deutschland stationierte US-Soldat Marc (Coleman Orlando Swinton), erweist sich dabei als zuverlässig und förderlich, doch weitgehende, wahrhaftige Veränderungen sind nicht aus dem Hut zu zaubern, und trotz der positiven Wendungen driftet Rita erneut in ihre alten Gewohnheiten ab, was vor allem für ihre älteste, sehr früh erwachsenen wirkende Tochter Fanny (Luisa Sappelt) eine starke Belastung darstellt. Die Katastrophe naht heran, als Marc in die USA zurückkehren soll …

Vom Titel über die eigenwillige Hauptfigur und die unbequeme Thematik bis zur recht kühlen Machart, die gerade nicht auf emotionalisiertes Zurschaustellen der Charaktere abzielt, ist Madonnen / Madonnas der Regisseurin Maria Speth (In den Tag hinein) ein äußerst provokativer Film, dessen mitunter schwer erträgliche Härte den Zuschauer bisweilen schmerzt, vor allem angesichts des Elends der Kinder, das für diese ihre ganz gewöhnliche Wirklichkeit darstellt. Liegt der Fokus auch deutlich auf dem extremen Einzelschicksal von Rita und ihrer Familie, wird doch deutlich, dass es um Befindlichkeiten geht, die Generationen von Müttern, die wiederum Mütter hervorbringen, innerhalb ihrer gesellschaftlichen Konstellationen nicht selten reproduzieren.

Madonnen / Madonnas war auf dem Internationalen Forum des jungen Films der Berlinale 2007 sowie auf weiteren internationalen Festivals zu sehen und gewann den „Silbernen Astor“ für Sandra Hüller als Beste Hauptdarstellerin beim Mar del Plata Filmfest in Argentinien. So streitbar der Film in vielerlei Hinsicht auch sein mag, berührt er doch zweifellos, und manchmal ist man beinahe versucht, der ungestümen Rita eine Erkenntnis zuzuflüstern oder gar zuzuschreien, die manch verzweifelte Mutter schon gewonnen hat: Heb dein Kind hoch, und es hebt auch dich!

Madonnen

Unverständlich, unverzeihlich und unerhört ist die Haltung und das Verhalten dieser jungen Mutter, die vor kurzem ihr fünftes Kind geboren hat, ihre Nachkommen immer wieder allein lässt und gerade mit ihrem Baby auf der Flucht vor der Polizei ist.
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