Mad Hot Ballroom

Move your ass!

Jaja, die Kids von heute… Keine Perspektive, kein Benehmen und von der lange hochgelobten Chancengleichheit redet in diesen neoliberalen Zeiten eh längst niemand mehr. Wenn man es genau bedenkt, mag angesichts der schwelenden Probleme kaum jemand heutzutage wirklich Kind sein, und schon gar nicht in den USA, wo die soziale Schere viel weiter auseinander klafft als hierzulande. Der Dokumentarfilm Mad Hot Ballroom dokumentiert ein ungewöhnliches edukatives Projekt in New York City, das seit 1994 von sich Reden macht und das die sozialen Verhältnisse im wahrsten Sinn des Wortes zum Tanzen bringt – die „Dancing Classrooms“.

Hinter diesem Projekt verbirgt sich die Arbeit der gemeinnützigen Einrichtung American Ballroom Theater (ABrT), die von den zwei ehemaligen professionellen Turniertänzern Pierre Dulaine und Yvonne Marceau gegründet wurde, nachdem diese aus dem professionellen Tanzgeschäft ausgestiegen waren, um etwas Neues zu beginnen. Nach einer Reihe von Shows in verschiedenen Theatern initiierten sie 1994 das Schulprojekt Dancing Classrooms, das über die Jahre mehr und mehr wuchs und heute aus dem kulturellen Leben der Metropole kaum mehr wegzudenken ist. Allein im Jahr 2004/2005 waren 34 Tanzlehrer damit beschäftigt, über 7000 Schülern das Tanzen beizubringen – in insgesamt 284 Kursen. In zehn anstrengenden und fordernden Unterrichtswochen wird den Kids, die aus nahezu allen sozialen Schichten und Ethnien kommen, der Gesellschaftstanz als regulärer Bestandteil des Stundenplans beigebracht. Gegen Ende des Kurses haben die Schulen die Möglichkeit, an einem New York-weiten Wettbewerb teilzunehmen, den sogenannten „Rainbow Team Matches“. Das Ziel des ungewöhnlichen Projekts formulieren die Initiatoren so: „Mit dem "Dancing Classrooms"-Programm möchten wir den Kindern ein Gefühl für soziale Verantwortung vermitteln und ihr Selbstvertrauen sowie Selbstwertgefühl stärken. Durch das Tanzen mit einem Partner lernen die Schüler, ihr Gegenüber zu achten, Rücksicht zu nehmen und im Team zu agieren“.

Die amerikanische Regisseurin Marilyn Agrelo hat zusammen mit der freien Journalistin Amy Sewell das ungewöhnliche Projekt mit der Kamera begleitet und dafür exemplarisch die Teilnehmer dreier New Yorker Schulen ausgewählt, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Kids von der Public School 150 in Tribeca stammen in der Regel aus wohlhabenden Familien und haben eine gute Erziehung und Ausbildung genossen. Ganz anders ist es bei den jungen Tänzern von der Public School 115 in Washington Heights, wo die meisten Kids aus dominikanischen Einwandererfamilien stammen. Hier leben 97 Prozent der Familien an oder unterhalb der Armutsgrenze. Und zuletzt sind da noch die Schüler der Public School 112 Bensonhurst in Brooklyn, einem traditionell italienisch beherrschten Bezirk, dessen Bevölkerungsstruktur sich in den letzten Jahren dramatisch verändert hat. Denn mittlerweile stammen dort beinahe 50 Prozent der Bewohner ursprünglich aus Asien.

Während der Dreharbeiten stellte sich schnell heraus, dass die Kinder die eigentlichen Stars des Films waren, und dementsprechend stehen sie im Mittelpunkt des Interesses. Schmunzelnd und entzückt bekommt man Einblick in die Lebenswelt der coolen Großstadtkids, die in den Kursen nicht die gutes Benehmen und die richtigen Tanzschritte, sondern manches Mal auch das erste Aufkeimen der Liebe kennen lernen. Fast bedauert man es, dass der Film sich stark auf das abschließende Finale konzentriert, denn der Leistungsgedanke, der sich dahinter verbirgt, ist der einzige Wermutstropfen in einem fantastischen Projekt. Nichtsdestotrotz transportiert der Film viel von dem Spaß und der Lebensfreude, die die Kurse vermitteln und den Kindern mit auf den Weg geben.

Mad Hot Ballroom ist die faszinierende Dokumentation eines ungewöhnlichen edukativen Projekts und beschwingt von der ersten bis zur letzten Minute, und das obwohl der Film insgesamt ein klein wenig zu lang geraten ist. Durchaus vergleichbar mit Rhythm is it! dürfte auch diesem Film eine kontinuierliche Präsenz in den deutschen Kinos gewiss sein. Zumal die Botschaft des Films keinen zeitgeistigen Strömungen unterworfen ist, sondern mehr denn je den Handlungsbedarf für die Zukunft festschreibt: Tu etwas für die Zukunft der Kinder! Akzeptiere keine sozialen oder ethnischen Ausgrenzungen! Lass Freude in dein Leben! Und: Beweg deinen Arsch!

In den USA hat sich die musikalische Doku längst zu einem regelrechten Kultfilm gemausert, der Film war einer der Überraschungshits des vergangenen Kinosommers, mittlerweile gehört Mad Hot Ballroom zu den zehn erfolgreichsten US-Dokumentarfilmen aller Zeiten.

Mad Hot Ballroom

Jaja, die Kids von heute… Keine Perspektive, kein Benehmen und von der lange hochgelobten Chancengleichheit redet in diesen neoliberalen Zeiten eh längst niemand mehr.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

CvW · 04.11.2005

Selten einen so bewegenden Film gesehen! Hier in Bremen gab's nach der Vorstelllung spontanen Applaus!

Man kann über die amerikanische Wettbewerbsmentalität denken, wie man will, aber von der Pädagogik im Film können wir uns eine Scheibe abschneiden: ein Kind beantwortet eine Frage falsch und der Lehrer sagt nur "that's a good guess".