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Sich filmisch der weiblichen Lust anzunehmen – das kann gelingen. Oder nicht. Zwischen Experiment und Erfahrung, zeigt „Lust auf unserer Haut“ eine Konstellation von Figuren und Ereignissen, die aufgrund einer eigenwilligen Ästhetik größtenteils kalt lassen.

Lust auf unserer Haut (2018)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Kalt gelassen

Renée Beaulieu hat sich mit „Lust auf unserer Haut“ an die filmische Erforschung weiblicher Lust gewagt. Im Zentrum steht Marie-Claire (Brigitte Poupart), die als Professorin im Bereich Dermatologie arbeitet. Das wird schon in den Opening-Credits deutlich, wenn ihr Name als einziger in Rot kontinuierlich stehen und zu lesen bleibt, während sich die restlichen um sie herum gruppieren, in Weiß, aufflackern und nach kurzer Bewegung wieder abtauchen. Wie die Namen der Titelsequenz, so werden auch die Ereignisse und Konstellationen des Films angeordnet: Freundschaften, sexuelle Begegnungen mit Männern, ihre Ehe, Familien- und Berufsleben.

Das französische Wort expérience bedeutet Experiment und Erfahrung – die doppelte Bedeutung geht bei der Übersetzung ins Deutsche verloren. Aus expérience wird im Film Experiment und damit der (Er)Forschung das Schillern zwischen Wissenschaft und persönlicher Motivation genommen. Doch genau darum geht es in Lust auf unserer Haut: Marie-Claire, angefacht vom Dissertationsexposé einer ihrer Studentinnen, führt Selbstexperimente zum Erfahrungsgewinn durch: Verändern sich Hautzellen während dem Sex, abhängig davon, ob man Lust oder Liebe empfindet? Das Experiment scheint aber mehr die Kirsche als der Kuchen zu sein: denn Marie-Claire lebte ihre Sexualität, ihre Lust schon vorher unabhängig von ihrem Ehemann mit anderen Männern aus. Wie die Zuschauer*innen bereits in der ersten Szene des Films zu sehen bekommen.

Lust auf unserer Haut versucht, das Thema der weiblichen Lust aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Es gibt die der glücklich verheirateten Frau, die Sex von Liebe und Partnerschaft, Lust von Nähe und Zuneigung trennen kann. Die ihres Ehemanns, der vorgibt „offen“ zu sein, aber nicht daran glaubte, dass seine Frau es „wirklich tun“ würde und dann seine eigene Frau als Schlampe bezeichnet und der somit die romantisch-patriarchale Idee von Liebe verkörpert. Mit Mathilde lernen wir eine Frau kennen, die sich nicht von ihrem Ex losreißen kann und wie ein Wirbelsturm immer wieder plötzlich auftaucht, zu viel trinkt und das impulsive Gegenstück zu Marie-Claires Kühle und Rationalität darstellt. Selbst Marie-Claires Tochter Katou (Romane Denis) wird zu einem Austragungsort von widerstreitenden Vorstellungen von körperlicher und sexueller Selbstbestimmung, von Erwartungen und Überzeugungen und der komplexen Frage, wann ein Kind „kein Kind mehr ist“ und sexuell aktiv sein darf. Und schließlich ist da der Skandal der sexuellen Belästigung.

Während die Konfrontation mit eigenen Vorurteilen und die Grenzüberschreitung dessen, was man gemeinhin als ein angemessenes Alter für erste, sexuelle Erfahrung von Mädchen und Jugendlichen hält, anhand Katou noch recht gut gelingt; die Reaktion der Mutter zwischen Schock, Akzeptanz und Unglauben überzeugend eingefangen wurde; so ist es der Skandal, der zum eigentlichen Problem des Films wird. Denn er fühlt sich instrumentalisiert an. Die Promotionsstudentin Sofia Bukowski (Charlotte Aubin) zeigt einen Arbeitskollegen und Freund Marie-Claires, mit dem diese selbst schon Texte hinter heruntergelassenen Jalousien „korrigiert“ hat, der sexuellen Belästigung an. Marie-Claires Erklärung: die junge Frau hätte Angst vor ihrer eigenen Lust bekommen, sie wusste nicht, was sie eigentlich wollte, auch weil sie einen Freund hat und ist dann auf dieses Mittel verfallen. Durch Marie-Claires Bewertung der Lage scheint zum einen die Regisseurin selbst zu sprechen, die auch das Drehbuch verfasst hat, um einen Punkt über die sexuelle Befreiung von Frauen aus dem patriarchalen Korsett des „Sex geht nur mit Liebe“ (an das auch Sofia glaubt) zu machen.

Die Bilder, die Farben, die gesamte Ästhetik des Films sind recht kühl gehalten, selbst die Kleidung – alles bewegt sich in einer Palette von grau, weiß, silber, schwarz und beige. Der Sound ist überzeugend, setzt jedoch nur ein, wenn sexuelle Handlungen auf der Leinwand stattfinden. Dieser rahmt die Lust und wenn man die einzelnen Sequenzen zusammenschneiden würde, hätte man sicherlich eine recht anregende Soft-Porno-Kompilation geschaffen. Schwieriger und geradezu klischeehaft sind da einige Stilmittel, die eingesetzt werden: ein zu langer Blick auf ein Treppengeländer, das Schnurren einer Katze, das direkt am Beginn des Films einsetzt. Brauchen wir wirklich eine Pussy als Leitgedanken?

Beaulieu hat ernsthaft versucht, uns unter die Haut zu gehen und ihre politischen Überzeugungen ästhetisch anregend zu verpacken. Doch genau letzteres, die Kühle der Bilder und der Motive (Wasser, Schnee, Glas), geben den Eindruck einer Oberflächlichkeit und Rationalität wieder, der sich dann auch in der Behandlung der Figuren und Geschehnissen widerspiegelt. Dem Drama zwischen den Personen hätte man mehr Raum zur Entfaltung geben können und dafür die auf Kunstwerke, wie etwa Gerhard Richters Ema-Akt auf einer Treppe (1966), referierende Ästhetik den Kunstfilmen überlassen sollen. Letztlich führen die Experimente zu einer eher kalt lassenden Filmerfahrung.

Lust auf unserer Haut (2018)

Unkompliziert und freimütig erlebt Dermatologin Marie-Claire mit verschiedenen Männern erotische Abenteuer und beweist, dass Liebe und Lust nicht unbedingt voneinander abhängig sind. Das Experiment wird jedoch zur Nebensache, als ein Skandal, in den Marie-Claire und einer ihrer Lover verwickelt sind, das prekäre Gleichgewicht ihrer „offenen“ Ehe bedroht.

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