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Roger Avary ist zurück – mit seinem ersten Kinofilm seit 17 Jahren. Was treibt den einstigen Kompagnon von Quentin Tarantino heute um? Und ist „Lucky Day“ ein Glücksfall für das Kino?

Lucky Day (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Pulp Friction

Wenn ein Film in seinem Herkunftsland nur eine eingeschränkte Kinoauswertung erhält, zeitgleich online zu haben ist und es hierzulande erst satte vier Jahre später in die Lichtspielhäuser schafft, dann ist das kein gutes Zeichen. Coronabedingte Markterschütterungen spielten bei der Verzögerung sicherlich ebenso eine Rolle, die Hauptrolle hat jedoch der Film selbst inne. Denn der ist so oldschool, dass man beim Zuschauen nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Friktion ist also garantiert.

Appetit auf kultverdächtige Krimikost? Einen Thriller à la Pulp Fiction (1994) gefällig? Et voilà, Roger Avary, seines Zeichens Co-Autor des Klassikers, hat angerichtet und seine Geschichte mit allen dafür nötigen Zutaten verquirlt. Vom safeknackenden Ex-Knacki namens Red (Luke Bracey), der frisch auf freiem Fuß eine ruhige Kugel mit Künstlerinnen-Freundin Chloe (Nina Dobrev) und dem gemeinsamen Töchterchen Beatrice (Ella Ryan Quinn) schieben will, dabei aber den Kugeln eines skrupellosen Auftragskillers (Crispin Glover) ausweichen muss, ist alles vertreten. Und auch er Rest wirkt so, als sei man geradewegs in die 1990er gestolpert.

Der Killer nennt sich Luc, klaut mit Vorliebe alte aufgemotzte Autos und spricht mit französischem Akzent, weil er sich für einen Franzosen hält, obwohl er gar keiner ist. Reds Tochter Beatrice, die wie ihre Mutter eine Mia-Wallace-Gedächtnisfrisur auf dem Kopf trägt, spricht derweil nur Französisch. Und Reds bester Kumpel und Ex-Partner-in-Crime Leroy (Clé Bennett) hat sich selbst in „Leroi“ (französisch für „der König“) umgetauft. Wieso, weshalb, warum? Zum einen, weil Lucky Day eine Art Quasi-Fortsetzung von Avarys Regiedebüt, dem in Paris angesiedelten Bankraub-Thriller Killing Zoe (1993), ist. Hauptsächlich aber deshalb, damit Avary mehr Gaga-Dialoge unterbringen kann (der Viertelpfünder mit Käse lässt grüßen).

Gerade an Gaga-Momenten ist Avarys jüngstes Hirngespinst reich. Dass ein Barkeeper, der nebenbei vom Hausdach seiner Bar aus Waffen verscherbelt, ausgerechnet ein Hitler-Bärtchen trägt, zählt ebenso dazu wie der aufgemalte Schnurrbart von Chloes übergriffigem Galeristen und ein von einer abgesägten Schrotflinte Enthaupteter, dessen Körper wie der eines geköpften Hühnchens einfach wild weiterläuft, bevor er tot zu Boden fällt. Im Showdown vor dem eigentlichen Showdown färbt der humorlose Möchtegern-Franzose während einer Vernissage die Leinwände der dort ausgestellten Gemälde schließlich buchstäblich blutrot. Hier nimmt Avary das Diktum seines alten Kumpels Quentin Tarantino, dass Blut nur eine Farbe sei, um sich künstlerisch auszudrücken, mit einem kräftigen Augenzwinkern wörtlich.

Viel mehr als diese nostalgisch eingefärbten Querverweise auf Tarantinos und das eigene Werk bietet Lucky Day leider nicht. Zu vieles bleibt generisch, wo Originalität gefragt gewesen wäre. Der Handlungsstrang um den von Crispin Glover hingebungsvoll durchgeknallt gespielten Killer etwa langweilt schnell. Wirklich Spannung kommt darin schon deshalb nicht auf, weil sich der pseudo-gallische Terminator seinen Weg ohne jedwede Herausforderung, geschweige denn Rückschläge bahnt.

Gänzlich missraten ist der Film allerdings auch nicht, dazu beherrscht Avary sein Handwerk zu gut. Immerhin hat der 1965 geborene Kanadier, der Tarantino bei der gemeinsamen Arbeit in der längst legendenumrankten Videothek Video Archives in Los Angeles kennenlernte, für seine Co-Autorschaft an Pulp Fiction einen Oscar für das beste Originaldrehbuch zu Hause im Regal stehen. Das vergisst man allzu gern – nicht zuletzt deshalb, weil Tarantino darauf pochte, im Vorspann zum Film als alleiniger Autor genannt zu werden. (Was letzten Ende zum Bruch zwischen den beiden führte, der erst jüngst gekittet wurde. Seit Juli 2022 betreiben Tarantino und Avary gemeinsam The Video Archives Podcast, in dem sie über Filme diskutieren, die sie seinerzeit in der Videothek ihren Kunden empfahlen.)

Und so hat dieser Film auch viele tolle Momente, gute Ideen und ist, zumindest was die Handlungslogik anbelangt, rund und stimmig. Unstimmigkeiten ergeben sich unterdessen, wenn man Glovers comichaft überzeichneten Handlungsstrang mit dem der Kleinfamilie um Luke Bracey und Nina Dobrev vergleicht. Hier klingen auch ernste Töne an, und es wird mitunter herzerwärmend, was zum Rest des Films nicht recht passt.

Egal, wie man zu Tarantinos Kino im Allgemeinen und zu den revisionistischen Racheplots seiner jüngeren Filme im Speziellen steht, dass er sich als Filmemacher über die Jahre hinweg fortentwickelt hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Sieht man sich hingegen Lucky Day an, beschleicht einen das Gefühl, als stecke Avary in der Vergangenheit fest.

Vielleicht liegt es daran, dass Tarantino nach wie vor Erfolg an Erfolg reiht und Avarys größter Erfolg inzwischen fast 30 Jahre zurückliegt. Nachdem die zwei Buddys getrennte Wege gegangen sind, ging es für Avary abwärts. Seine Bret-Easton-Ellis-Verfilmung Die Regeln des Spiels (2002) lief nur mit mäßigem Erfolg und das aus den Outtakes entstandene Spin-off Glitterati (2004) blieb aus rechtlichen Gründen bis heute unveröffentlicht. Nach auch privat turbulenten Zeiten (nach einem von ihm verursachten Verkehrsunfall mit Todesfolge musste Avary 2009 ins Gefängnis) bildet Lucky Day nun Avarys Comeback – und wirft einen weit zurück in eine Zeit, in der sexistische und homophobe Witzchen zur Tagesordnung gehörten. Lucky Day stehen sie – zumal vollkommen verzichtbar – nicht gut zu Gesicht.

Wer auf die 1990er steht (und dort stehengeblieben ist), wird seinen Spaß mit diesem Film haben. Stets korrekte Moralapostel mögen sich gar daran reiben. Ein smarter Killer-Thriller fürs 21. Jahrhundert sieht indessen anders aus.

Lucky Day (2019)

Der Safe-Knacker Red, der gerade erst aus dem Knast entlassen wurde, versucht, seine Familie zusammenzuhalten, als ihn die Vergangenheit in Form Luc einholt. Der ist ein psychopathischer Killer, der den Tod seines Bruders rächen will.

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