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Lovecut“ begleitet das Liebes-, Sex- und Beziehungsleben von sechs Jugendlichen aus Wien, die auf ihre je eigene Weise versuchen, mit ihren Ängsten, Wünschen und Sehnsüchten umzugehen und einen Weg zu finden ins Leben

Lovecut (2020)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Junge Wiener Wilde

„There‘s a crack in everything. That‘s how the light gets in.“ Mit diesem Zitat aus der Feder des großen Leonard Cohen beginnt „Lovecut“, der Debütfilm der beiden Regisseurinnen Iliana Estañol und Johanna Lietha. Und dass dieses Zitat von großer Allgemeingültigkeit ist und nicht nur die Erfahrungs- und Lebenswelt eines alten Mannes, sondern auch von Jugendlichen unserer Zeit widerspiegelt, zeigt ihr episodischer Film über sechs Jugendliche in Wien auf überzeugende Weise.

Es sind Liebesgeschichten, Beziehungsgeschichten, Geschichten vom Suchen und Finden, vom Verlieren, von Ängsten, Wünschen und Sehnsüchten und von einer Zeit, in der man vieles ausprobiert, nur um dann irgendwann festzustellen, dass es vielleicht Irrwege waren.

Da ist beispielsweise Ben (Max Kuess), der schon allein lebt und der etwas ausgefressen hat, denn er ist nur auf Bewährung auf freiem Fuß und läuft Gefahr, in den Knast zu wandern, was insofern recht wahrscheinlich ist, weil er sich seinen Lebensunterhalt vor allem mit dem Klauen von Motorrädern sichert. Und so ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis es ihm an den Kragen geht, auch wenn sein Bewährungshelfer nichts unversucht lässt, um ihm genau davor zu bewahren. Über Tinder lernt er die selbstbewusste Luka (Lou von Schrader) kennen, die zwar gerne mit ihm zusammen ist, aber weder eine Beziehung noch Gefühle will. Und genau sie wird ihn in Gefahr bringen, wobei man doch hätte wetten können, dass es umgekehrt ist.

Luka wiederum hat eine Freundin namens Momo (Melissa Irowa) — aus Russland stammend, wie sie immer wieder betont — und die chattet mit Alex (Valentin Gruber). Und nun soll endlich ein Treffen her, nachdem die beiden schon Sex via Skype hatten. Was Momo allerdings nicht weiß und was ihr bisher verborgen geblieben ist: Alex sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl und ist querschnittsgelähmt. Und genau deswegen hat er höllische Angst vor einer realen Begegnung mit Momo und wünscht sich doch nichts sehnlicher als genau das.

Alex’ Stiefbruder Jakob wiederum ist sehr verliebt in seine Freundin Anna — und wo die beiden auch zusammen sind und knutschen und fummeln und sich lieben, ist das Smartphone stets gegenwärtig und freizügig schicken sie Bilder und Videos ihrer Verliebtheit und Geilheit hinaus in die Welt der sozialen Medien, bis sie irgendwann auf die Idee kommen, dass man doch, wenn man ein wenig weiterginge, damit vielleicht auch Geld verdienen könnte.

Ganz leicht und ohne im Entferntesten konstruiert zu wirken, haben die beiden Filmemacherinnen diese Geschichten miteinander verwoben und wechseln auf gekonnte Weise zwischen den einzelnen Paaren und Erzählfäden hin und her, lassen sie zusammenlaufen und dann wieder auseinander, setzen Parallelen und Brüche und haben so vor allem in der ersten Hälfte einen Film geschaffen, der sich ganz natürlich anfühlt und der die Lebenswelt seiner Akteur*innen überaus glaubhaft vermittelt. In der zweiten Hälfte, als der Tonfall in allen drei Geschichten ernster wird, weil es ans Eingemachte geht, verliert der Film etwas an Schwung, doch das tut dem gelungenen Gesamteindruck keinen Abbruch. Immerhin handelt es sich bei Lovecut um ein Debüt und gerade episodische Filme mit freierer Narration gehören mit zum Schwierigsten für junge Filmemacher*innen.

Zumal es noch eine weitere eingebaute Hürde gibt, die Lovecut souverän nimmt und zu einem absoluten Pluspunkt ausbaut: Der Cast der Jugendlichen besteht samt und sonders aus Darsteller*innen, die über keine nennenswerte schauspielerische Erfahrung verfügen und die teilweise in Street Castings gefunden wurden — in einem Fall sogar erst eine Woche vor Beginn der Dreharbeiten. Dem gebührt ebenso großen Respekt wie der Offenheit und dem Mut, mit dem dieses Ensemble dem Publikum ihre Welt zeigt. Sie bringen eine Frische, Unmittelbarkeit — und ja, auch Authentizität in diesen Film, der über weite Strecken ansteckt und rundherum überzeugt und hochsensible Themen mit viel Energie auf die Leinwand bringt.

Lovecut (2020)

Sechs Jugendliche in Wien. Der auf Bewährung verurteilte Ben lernt auf Tinder die rebellische Luka kennen. Doch was als unverbindliche Affäre beginnt, wirft schon bald die Frage nach der Definition von Liebe auf. Momo führt derweil eine virtuelle Beziehung mit Alex, der sich weigert, sie im echten Leben zu treffen, weil er online seine Behinderung bislang vor ihr verstecken konnte. Anna und Jakob hingegen sind verliebt und laden ihre privaten Sexvideos ins Internet, um damit Geld zu verdienen.

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