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In seinem Dokumentarfilm „Looking at the Stars“ widmet sich Alexandre Peralta einer Ballettschule für Menschen mit Sehbehinderung – und findet hierfür mit seinem Team eine sinnliche audiovisuelle Sprache.

Looking at the Stars (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Liebe zum Tanz

Im Jahre 2014 befasste sich der Filmemacher Alexandre Peralta in einem dokumentarischen 30-Minüter erstmals mit der weltweit einzigen Ballettschule für Menschen mit Sehbehinderung: Das 1995 von Fernanda Bianchini gegründete und bis heute von ihr geleitete Inklusionsprojekt Fernanda Bianchini’s Association of Ballet and Art for Blind People in São Paulo bringt den klassischen Tanz in erster Linie durch Berührung näher. Peralta hat sich des faszinierenden Themas, abermals unter dem Titel „Looking at the Stars“, ein weiteres Mal angenommen und konzentriert sich in seinem Langfilmdebüt auf zwei Schülerinnen. Entstanden ist auf diesem Wege eine langjährige, intensive Betrachtung.

Geyza, die im Alter von neun Jahren krankheitsbedingt erblindete, zählt zu den großen Talenten an der Schule. Wir erleben die disziplinierte und stets lächelnde Frau beim Training und begleiten sie durch ihren Alltag. Als sie ihren Freund heiratet und in den Flitterwochen schwanger wird, ändert sich ihr Leben plötzlich. Doch Geyza verfolgt ihre tänzerischen Ambitionen auch weiterhin entschlossen. Ebenso ist die Ballett-Ausbildungsstätte für die 14-jährige Thalia ein ganz besonderer und wichtiger Ort. Während sie in der öffentlichen Schule aufgrund ihrer Sehbehinderung eine Außenseiterin ist, hat sie unter den Tänzer_innen zahlreiche Freund_innen gefunden.

Looking at the Stars ist einerseits eine interessante Schilderung des von Bianchini aufgebauten Projekts. Die Historie der Schule wird kurz skizziert; Peraltas Werk ist jedoch – von einigen einordnenden Texteinblendungen abgesehen – keine erklärende Dokumentation, sondern ein überaus sensueller Film. Die Art und Weise, wie Bianchini und die übrigen Lehrenden den Tanz beibringen, wird nicht erläutert, sondern teilt sich eher in der Beobachtung mit. Als Zuschauer_innen erkennen wir, wie etwa verstärkt auf den Gehörsinn gesetzt wird, um die Grundlagen des Balletts zu erlernen – und welch große Rolle das Ertasten, das Berühren und Erfühlen im Lernprozess spielen.

Andererseits liefert Peralta ein eindrückliches Doppelporträt zweier junger Frauen, die im Tanz eine Möglichkeit entdecken, Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen. Es gelingt dem Film, die Ballettschule als zweite Heimat zu zeigen, in welcher eine familiäre Atmosphäre herrscht. Die Bilder der Kameraleute Alejandro Ernesto Martinez B. und Guan Xi sind kraft- und stimmungsvoll – sowohl in den Probe- und Auftrittspassagen als auch in den privaten Momenten, wenn Geyza, Thalia und andere Mitglieder des Tanzprojekts zum Beispiel in der Stadt oder in ihren Wohnungen eingefangen werden. Looking at the Stars steckt voller beeindruckender Augenblicke, ist einfühlsam erzählt und durchdacht umgesetzt.

Looking at the Stars (2016)

Mitten im brasilianischen São Paulo liegt Fernanda Bianchinis Ballettschule. Die jungen Frauen und Männer, die hier den klassischen Tanz lernen, sind genauso entschlossen, diszipliniert und voller Hoffnung, wie alle jungen Tänzer. Und sie sind blind. Die weltweit erste und einzige Ballettschule für Blinde baut statt auf Blut, Schweiß und Tränen, auf Berührungen, Gehörsinn und vor allem: Mut. Für Fernandas Tänzer ist die Schule ein sicherer Hafen und die Bühne ein Ort, an dem sie frei und unabhängig sein können. 

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