Lolita

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Nabokov, Kubrick und der Skandal um die "Kindfrau"

Nachdem der Schriftsteller Vladimir Nabokov in seinem gleichnamigen Roman aus dem Jahre 1955 die Figur eines jungen Mädchens, das krankhaft von einem alternden Mann begehrt und schließlich penetriert wird, „Lolita“ genannt hat, ist dieser Begriff zu einem Synonym für jenen der „Kindfrau“ avanciert, das seitdem nur allzu häufig durch die Medienwelten vagabundiert. Dieser damals wie heute äußerst brisante Stoff, den Vladimir Nabokov literarisch so raffiniert wie anspruchsvoll gestaltet hat, wurde vom US-amerikanischen Regisseur Stanley Kubrick in Schwarzweiß für die Kinoleinwand inszeniert. Auch wenn der Filmemacher den Schriftsteller für das Drehbuch engagiert und letztlich doch seine ganz eigenen Vorstellungen realisiert hat, transportiert das bissige, aberwitzige Drama Lolita von 1962 dennoch zuvorderst trefflich jene Atmosphäre, die auch den Roman auszeichnet: ein schwelendes, abgründiges Unbehagen.
Auf der Suche nach einer Unterkunft im Städtchen Ramsdale in New Hampshire mietet sich der aus Frankreich stammende Literaturwissenschaftler Humbert Humbert (James Mason) bei der geschwätzigen Witwe Charlotte Haze (Shelley Winters) ein, obwohl er offensichtlich eine spontane Abneigung für sie empfindet. Doch bei einem Blick in den Garten des Hauses entdeckt der pädophile Humbert Charlottes 12jährige Tochter Dolores (Sue Lyon), genannt Lolita, die fortan zum Objekt seiner pathologischen Obsession wird. Aus diesem Grunde lässt sich Humbert sogar darauf ein, die Witwe zu heiraten, doch eines unglückseligen Tages sichtet seine Angetraute das Tagebuch ihres berechnenden, heimtückischen Gatten, der darin detailliert seine Besessenheit für ihre Tochter dokumentiert. Von Entsetzen gepackt rennt Charlotte daraufhin vor ein Auto und verstirbt, so dass Humbert nun bald die Zeit gekommen sieht, sich dem Mädchen in seiner distanzlosen, verbrecherischen Begierde zu nähern …

Es sind die überaus intensiv gestalteten, und doch häufig in lediglich beunruhigenden Andeutungen verharrenden Charaktere, die von einem illustren Ensemble ausdrucksstark verkörpert werden und diesem unbequemen Film seine grauenhaft-faszinierende Ausprägung verleihen, vor allem die damals 14jährige Sue Lyon als Lolita und ein zunehmend fahriger James Mason als Humbert, aber auch die massiv präsente Shelley Winters als Charlotte sowie Peter Sellers als kauziger Clare Quilty. Die unbehagliche Stimmung der Geschichte wird von einem angesichts des prekären Themas mitunter monströs anmutenden Witz flankiert, durch welchen die Absurdität und das Pathologische mancher Situationen auf dumpfe Weise karikiert werden. Dadurch entsteht der durchaus ambivalent erscheinende Effekt einer Entfremdung des nahe Liegenden, allzu deutlich Erwarteten: Es geht hier weder um die ohnehin offensichtliche Diskreditierung des Abscheulichen, noch um sein Verständnis, sondern vielmehr um die Wirkungen und Verwobenheiten innerhalb dieser tückischen Konstellation, die für alle Protagonisten schließlich in eine unwiderrufliche Katastrophe münden wird, die bei den männlichen Figuren so schlüssig daherkommt wie schicksalshaft bei den Frauen. Seinerzeit unter anderem für einen Oscar, den Goldenen Löwen von Venedig sowie vierfach für den Golden Globe nominiert stellt Stanley Kubricks Lolita beinahe fünfzig Jahre nach seiner Premiere noch immer ein thematisch brennend aktuelles und gleichzeitig verstörendes Werk dar, das nicht zuletzt dazu anregt, sich auch den Roman von Vladimir Nabokov (erneut) einmal vorzunehmen.

Lolita

Nachdem der Schriftsteller Vladimir Nabokov in seinem gleichnamigen Roman aus dem Jahre 1955 die Figur eines jungen Mädchens, das krankhaft von einem alternden Mann begehrt und schließlich penetriert wird, „Lolita“ genannt hat, ist dieser Begriff zu einem Synonym für jenen der „Kindfrau“ avanciert, das seitdem nur allzu häufig durch die Medienwelten vagabundiert.
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