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Alte Schinken wie Little Women von Louisa May Alcott wieder ins Kino bringen, klingt nach Langeweile und Staub. Außer jemand wie Greta Gerwig macht sich ans Werk, um klug weibliche Lebenswelten zu inszenieren, die gegen die patriarchale Ordnung mit Leidenschaft aufbegehren. 

Little Women (2019)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Von den ewigen „kleinen“ Frauen

Literaturverfilmung und dazu noch Historiendrama – das klingt nach staubig ödem Kino der Vergangenheit, aber nicht nach frischen neuen Ansätzen. Noch dazu ist die Literatur, die Greta Gerwig hier als Vorlage nutzt eine, die gern mit Ignoranz oder Schmäh als „Frauenliteratur“ abgetan wird. Sie wissen schon, weil es „nur“ um Frauen geht. Das ist dann vielleicht unterhaltsam — für Frauen — aber mehr auch nicht. Und genau unter diesem absurden Stigma leidet nun auch Gerwigs Werk schon in seiner Rezeption. Doch, liebe Leser*innen, falscher könnte man nicht liegen, „Little Women“ ob solcher altbekannten Vorurteile abzuschreiben. Denn der Film ist schlichtweg einer der besten des Jahres 2020, so viel ist gewiss.

Ganz ehrlich, eine 150 Jahre alte Geschichte hat sich noch nie so lebendig, so kontemporär und relevant angefühlt wie Gerwigs Little Women Adaption, bei der sie das Drehbuch schrieb und Regie führte. Der Vorlage bleibt sie respektvoll gegenüber, erlaubt sich aber eine Übersetzung ins Hier und Jetzt, die vor allem erstmal davon lebt, dass dieser Film von einer Hand voll Frauencharaktere belebt wird, die dreidimensional, komplex und vor allem ambivalent sind. Hervorragend chaotisch geht es in diesem Ensemble zu: Meg March (Emma Watson) ist die älteste Tochter der Familie und eher häuslich konservativ, jeder aus eigenem Willen heraus. Sie wünscht sich zum Verdruss ihrer Schwester Jo (Saoirse Ronan) Kinder. Jo ist der Wildfang der Familie. Sie schreibt Geschichten und verdient damit Geld und auch ansonsten ist sie geprägt von ihrem Intellekt, aber auch ihrem immer wieder aufbrausenden Zorn, der vor allem aus der Tatsache stammt, dass sie nie als Denkerin, sondern immer nur als Frau betrachtet und behandelt wird. Ihre jüngere Schwester Amy (Florence Pugh) leidet hingegen darunter im Schatten von Jo zu stehen. Sie ist selbst Malerin, doch eher bodenständigerer Natur und muss stets gegen Jos aufbrausendes Ego ankämpfen, um ihren eigenen Platz zu finden. Das Nesthäkchen Beth (Eliza Scanlen) ist die zarteste der Schwestern. Eine begnadete Klavierspielerin, doch oftmals zu krank, um wirklich teilhaben zu können. Trotzdem ist sie die gute Seele der Familie rund um die Mutter Marmee (Laura Dern), die als Hebamme und grundsätzlich gutes Herz vor allem darauf wartet, dass ihr Mann aus dem Krieg wieder heimkehrt. 

Im Gegensatz zu vorherigen Verfilmungen sind die March-Schwestern unter Gerwig unbändig und renitent. Ihre Frisuren zerfallen, sie rennen mehr, als dass sie schreiten, sie liefern sich die besten Wortgefechte, lassen sich nicht ausreden, sind laut, nehmen Raum ein und leben ein wildes Leben in vollstem Bewusstsein über die Grenzen dieser Lebendigkeit, die sie zu dehnen und stets zu hinterfragen suchen. Jede von ihnen ist dabei so voller Feuer und Leidenschaft, dass man ihnen stundenlang dabei zusehen will, wie sie Theater spielen, sich um den Kamin streiten, Essen machen und Bücher schreiben. Genau hier schleicht sich auch ein leises Gefühl im Herzen ein und es stellt sich die Frage: Wann hat man eigentlich das letzte Mal solch volle, solch lebendige und ehrliche Frauen auf der Leinwand gesehen, die trotz einer gewissen geschlossenen Charakterisierung niemals im Klischee ihrer selbst enden? Eine Antwort darauf fällt nicht leicht. Die Vermutung liegt jedoch nah, dass die übliche Trope des Zähmens der Widerspenstigen alsbald eintrifft, denn so manche March-Frau ist im heiratsfähigen Alter. Doch auch hier lässt Gerwig ihre Feinfühligkeit nicht fallen. 

Das Problem am patriarchalen System, welches sich ja so gern und so eng wie möglich an vorgefertigten Mustern im Kino entlanghangelt, ist ja, dass es nicht nur die Frauen sind, die in Boxen und Tropen verpackt im elenden Gleichsein ersticken. Es sind auch die Männer. Als nun genau diese im wilden Schwesternparadies auftauchen, dürfen auch sie eine Brechung erfahren, die guttut und befreit. Der intellektuelle Lehrer John (James Norton) ist eben nicht der Überflieger, sondern einer, der Wissen vermitteln will, dabei aber nicht die traditionelle Rolle des Ernährers erfüllen kann. Der wilde, schöne Herzensbrecher Laurie (Timothée Chalamet) ist selbst ein verletzter Mensch, der sich und seine Rolle finden muss und dabei weder auf eine rettende Frau hofft, noch seine emotionalen Prozesse an einer abarbeitet. 

Und da wo wie Figuren plötzlich ein hemmungsloser Haufen Menschen sind, da wird es spannend und vor allem universell relevant.

Unter all diesen mehr oder minder subtilen Erneuerungen lässt sich aber noch etwas Weiteres festmachen: Gerwig erlaubt sich eine Meta-Analyse der Machtstrukturen, in denen die March-Schwestern gefangen sind. Und diese sind auch im Jahr 2020 eigentlich noch immer recht gleich. Wenn Jo nicht ihren ganzen Namen als Autorin nutzt (sie wissen schon, wie J.K. Rowling am Anfang) um faire Bezahlung ringt (hallo, Gender Pay Gap) und ihr Buch nur verlegt wird, wenn die Heldin am Ende stirbt oder heiratet, dann nickt man im Dunkeln des Kinos mit dem Wissen, dass sich nicht allzu viel geändert hat. Ganz zu schweigen von Amys schneidend ehrlicher Analyse von Heirat und Kinderkriegen als wirtschaftliches Tauschgeschäft.

Little Women (2019)

Basierend auf dem Roman von Louisa May Alcott erzählt Greta Gerwig in ihrem neuen Film von den vier March-Schwestern, die im Massachusetts der 1860er Jahre kurz nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges aufwachsen.

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Meinungen

Martin Zopick · 14.01.2024

New York, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hier wohnt Mutter Marmee March (Laura Dern) mit ihren vier Töchtern: Jo (Saoirse Ronan), Meg (Emma Watson), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen). Fast alle haben eine künstlerische Neigung. Das Drehbuch (Greta Gerwig, auch Regie) hat den Plot so prall mit Action gefüllt, dass man, obwohl die Charaktere gut ausgearbeitet sind, sie doch nicht einfach auseinanderhalten kann. Jo schreibt, Amy malt, Meg will heiraten und Beth spielt Klavier. Das unterscheidet sie von ihren Schwestern, sowie die traurige Tatsache, dass sie kränkelt und bald verstirbt. Der Vater ist im Krieg. Anders als bei Jane Austin ist die Ehe hier nicht das Lebensziel der Frau. So sagen wenigstens einige. Alle kommen mit ihren Widersprüchen daher.
Zwei junge Männer würden das schon gerne ändern, doch Theo (Timothée Chalamet) und Friedrich /Louis Garrel) trauen sich nicht so recht bzw. können sich nicht entscheiden. Dieser geballten Frauenpower sind sie noch nicht gewachsen. Viel Zeit wird vertan mit Tratschen, Tuscheln, Streiten, Wutausbrüchen, Beleidigungen und Entschuldigungen.
Jo führt das Kleeblatt an und wird es auch am Ende zu mehr oder weniger Berühmtheit bringen. Die Handlung springt von Brüchen im Familienverband zu herzlichen Versöhnungen, denn über allen Figuren schwebt eine überdimensionale, tiefe Schwesternliebe. Nachbar Lawrence (Chris Cooper) sowie Tante March (Meryl Streep) haben Einfluss auf das Geschehen im Hause March. Der eine positiv, die andere negativ. Mutter Marmee March hat einen caritativen Touch und schwadroniert ständig irgendwo in der Gegend rum. Keiner weiß, wo sie jeweils steckt. Trotz der marginalen Katastrophen gibt’s am Ende einen erfreulichen Schluss. Der Zuschauer braucht nach dem Abspann etwas Zeit zum Verschnaufen nach dem pausenlosen Geschnatter der Teenies.
Anstrengend aber interessant. Diese jungen Frauen (Titel!) haben ganz schön Dampf unter der dem Reifrock.

Detlef , · 20.02.2020

Ich habe diesen Film als (fast Gehörloser )zusammen mit meiner Bekannten ....Kollegin gesehen.
Trotz meiner Behinderung war dieser Film für mich eine sehr realistische Darstellung, eine in allen Belangen gelungene Darstellung einer Familiengeschichte, die auch noch in die heutige Zeit passen würde.
Danke!

Christiane · 30.01.2020

Eine ausgesprochen schöne Rezension, die Lust auf diesen Film macht. Vielen Dank!

Rona Potsdam · 20.02.2020

Ich schließe mich an. Abgesehen davon, dass ich Meryl Streep nicht zutraue, sich für einen flachen Film herzugeben, hat mich die Rezension dazu motiviert, das erste mal seit über einem Jahr endlich wieder ins Kino zu gehen.