Little Children

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Tristesse des Alltags

Da verlässt man sich drauf, dass alles in bester Ordnung ist und dann kommen sie, diese Künstler und Filmemacher aus ihren Löchern gekrochen und machen aufmerksam, schreien, protestieren. Plötzlich wird alles auf den Kopf gestellt: Der böse Schurke weint wie ein verzweifeltes Kind; der sittsame Puritaner (er fühlt sich sicher, weiß von nichts!) entblößt entsetzliche Seiten seines ach so reinen Gewissens. Das alles passiert, Tag für Tag, auf anderen Kontinenten und auch hier, ganz nah. Also wagen wir den Blick hinter die Kulissen, um uns der komplexen Welt zu stellen. Little Children ist ein Film, der uns hilft, metaphorisch überhöht, verstörend realitätsnah die verborgenen Sehnsüchte einer wohlhabenden Gesellschaft zu durchleuchten — ein Film, der dem langen Atem Spielraum schafft und sich dennoch nicht verirrt.
Die Bostoner Vorstadt East Wyndam könnte auch in Deutschland sein, in Berlin, am Prenzlauer Berg. Wohlhabende Jungfamilien bestreiten ihr Leben fern von finanziellem Kummer. Für in Schuss gehaltene Spielplätze ist gesorgt, die Mütter bleiben daheim, denn die Männer kommen mit reichlich Geld nach Hause. Die Fassade eines bürgerlichen Traums könnte kaum glanzvoller sein, aber spätestens seit American Beauty ist gewiss, dass sich hinter dem schönen Schein manch bittre Wahrheit verbirgt. So kreist das Eheleben in monotonen Bahnen und die Tristesse des Alltags nagt am familiären Glück. Da ist der pädophile James McGorvey (Phyllis Somerville), der zurück ins Haus seiner alten Mutter zieht, ein gefundenes Fressen für frustrierte Moralapostel. Schnell schließen sich einige Bewohner zu einer Bürgerwehr zusammen, angeführt von dem arbeitslosen Polizisten Larry Hedges (Noah Emmerich), um für die ethische Jungfräulichkeit des Viertels zu werben und dem Perversen den Krieg zu erklären.

Sarah Pierce (Kate Winslet) ist junge Mutter und versammelt sich wochentags mit Gleichgesinnten auf einem Spielplatz, damit der wohl behütete Nachwuchs die nötige Frischluft bekommt. Natürlich ist die Hausfrauenrunde schockiert über den Einzug des neuen Nachbarn. Aber da gibt es Attraktiveres, das für Zerstreuung sorgt. Der gut aussehende Brad Adamson (Patrick Wilson) besucht mit seinem Sohn die sonst nur von Frauen frequentierte Grünfläche. Niemand traut sich an ihn heran, dabei nährt das Erscheinen des muskulösen Mannes amouröse Fantasien bei den vom Eheleben enttäuschten Müttern. Sarah Pierce ist anders, sie begehrt gegen ihr Schicksal auf. Um die Runde zu provozieren, spricht sie Brad an. Die Bekanntschaft beginnt wie ein kleines, unschuldiges Abenteuer, doch der Drang, dem Alltagsmuff für immer zu entfliehen, rückt bedrohlich nah und setzt ihre gesicherten Existenzen aufs Spiel.

Regisseur Todd Field ist Großartiges gelungen. Er hat mit dem Drehbuchautor Tom Perrotta einen Film kreiert, der die Idee der Dichotomien auseinander nimmt. Kleine Kinder zeigen sich selbstbewusster als ihre Vormundschaft und gruselige Kriminelle beweisen ihre Menschlichkeit. Der Titel Little Children ist das gewählte Motto, das einer klugen Metapher auf die Beine hilft; das Infantile, das in jedem schlummert, wird als der andere Teil der menschlichen Psyche demaskiert. Die von Kate Winslet lebensnah gespielte Sarah Pierce weckt in liebenswürdiger Weise die Erinnerung, dass auch Erwachsene nach Sehnsüchten eifern und das Recht haben, sich vom Leben mehr zu erhoffen als finanziellen Wohlstand. Potenziert zeigt sich das inmitten einer literarischen Runde, in der Sarah über Gustave Flauberts Roman Madame Bovary diskutiert, mit der ideologisch wohl bekanntesten Verwandten als Heldin. Madame Bovary wird von Sarah als Feministin verstanden, die den männlichen Konventionen den Rücken kehrt und durch den Ehebruch, so meint Sarah, gerade Respekt und nicht Kritik verdiene. Noch weiß sie nicht, dass die Suche nach dem Anderen in der Vorstellung mehr Chancen eröffnet, als es die Realität erlaubt. Denn daran erinnert der wachsame Flaubert: „Nichts lohnt die Mühe des Suchens, alles lügt! Jedes Lächeln verbirgt ein Gähnen der Langeweile, jede Freude einen Fluch, jede Lust hat ihren Ekel, und die glühendsten Küsse hinterlassen auf den Lippen nur die unstillbare Begierde nach einer höheren Wollust.“ Auch Sarah muss sich der schwierigen Frage stellen, entweder rastend ihr Schicksal hinzunehmen — oder rastlos nach der nächsten Lust zu greifen.

Little Children

Da verlässt man sich drauf, dass alles in bester Ordnung ist und dann kommen sie, diese Künstler und Filmemacher aus ihren Löchern gekrochen und machen aufmerksam, schreien, protestieren.
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Meinungen

· 06.10.2007

…"die vergangenheit ließ sich nicht mehr ändern, die zukunft allerdings konnte ganz anders werden, irgendwo musste sie schließlich anfangen" resoniert am ende ein sprecher in väterlich sonorem blabla und bestätigt mit diesem ende die grundstimmung des films: hier will uns jemand etwas erklären.
der film bestätigt leider all´das, was er vorgibt nicht zu sein: ein künstlich aufgeblasenes werk, das mit ängsten und befindlichkeiten mehr oder weniger gut spielt und dem zuschauer am ende gar vormachen möchte, der wind wehe nun süßer oder anders als zuvor: als wenn es darum ginge! trotz zum teil guter schauspielerischer einzelleistungen ist dies u.a. der gravierende qualitative unterschied zu filmen wie ‘magnolia‘ oder ‘american beauty‘.

· 31.05.2007

der für mich vielleicht höchstüberschätzte film der letzten jahre. wie "desperate housewives", aber ohne humor und charme! plumpe darstellung menschlicher (fehl-)verhaltensweisen, ohne jene leisen töne, die europäische filmkunst oft ausmacht. da kann auch winslet's tolles spiel nicht mehr viel ausrichten. jeglicher (leider allzu oft zitierter) vergleich mit größen wie "american beauty" ist eigentlich eine frechheit! selten in einem film gewesen, der mir (und auch meiner frau) so elend lang vorkam!