Listen to Me Marlon (OmU)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Inside Marlon Brando

Wie soll ein Regisseur das Leben einer Berühmtheit erzählen, ohne das Publikum mit Altbekanntem zu langweilen? Stevan Riley hat das Glück, auf bisher unveröffentlichtes Archivmaterial von Marlon Brando zurückgreifen zu können. Listen to Me Marlon fasziniert aber in erster Linie durch seine gewagte Form.
Am Anfang ist das Wort. Aus der Dunkelheit spricht eine brüchige Stimme zum Publikum, bevor ein flackerndes Hologramm ihr ein Gesicht verleiht. Wie ein Geist aus dem Jenseits ergreift Marlon Brando von Stevan Rileys Dokumentarfilm Besitz. Noch zu seinen Lebzeiten ließ der Schauspieler, den viele bis heute für den besten aller Zeiten halten, seinen Kopf scannen und digitalisieren. Dass hinter dem Charakterkopf auch ein kluger steckt, verdeutlicht dessen Motivation. „Schauspieler werden nicht mehr real sein, sondern aus dem Computer kommen“, ist sich Brando über die Zukunft des Kinos bereits Mitte der 1990er sicher. Eine Aussage, die 20 Jahre nach ihrer Aufnahme etwas Visionäres hat.

Bereits in seiner Exposition macht Riley klar, worum es ihm geht. Listen to Me Marlon will in die Psyche seines Protagonisten eintauchen. Als Grundlage dienen ihm bisher unveröffentlichte Tonbänder, die der Schauspieler zur Selbsthypnose aufgenommen hat oder auf denen er über sein Leben und seine Karriere nachsinnt. Damit erinnert Rileys Dokumentarfilm stark an einen anderen, der ein Jahr früher den Weg in die Heimkinos fand. Auch Clare Lewins‘ I Am Ali macht private Aufnahmen ihres Protagonisten zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Doch während die Regisseurin die Mitschnitte von Muhammad Alis Telefongesprächen in Kontrast zu den Aussagen von Zeitzeugen setzt, geht Riley in Listen to Me Marlon einen entscheidenden Schritt weiter. Um Brandos Aussagen zu bebildern, nutzt freilich auch er bereits bekanntes Archivmaterial oder zeigt Bilder vom luxuriösen Domizil des Schauspielers, das er im Studio extra dafür nachbauen ließ. Im Gegensatz zu Lewins verzichtet Riley jedoch auf Zeitzeugen. Listen to Me Marlon ist ganz bei seinem Protagonisten. Hier spricht nur Brando.

Das macht Listen to Me Marlon zu einem faszinierenden filmischen Bewusstseinsstrom, dem sich der Zuschauer kaum entziehen kann. Riley, der seinen Film selbst geschnitten hat, vollbringt das Kunststück, das Ausgangsmaterial so zu montieren, als lieferte Marlon Brando eine Lebensbeichte aus dem Jenseits. Dieses Kunststück bedurfte einer akribischen Vorbereitung, wie der Regisseur im Bonusmaterial der DVD wissen lässt. Um seinem Film nicht erst in der Postproduktion eine Struktur zu verpassen, ging Riley im Vorfeld Tausende Seiten der transkribierten Tonbandaufzeichnungen durch und verfasste ein 60-seitiges Skript. Eine mühevolle, aber notwendige Arbeit, die man sich von manch anderem Dokumentarfilm wünschte.

Listen to Me Marlon nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise in Brandos Kopf. Von dessen nasalem Murmeln begleitet, ziehen die Stationen eines turbulenten Lebens vorüber: eine Kindheit in Nebraska, das angespannte Verhältnis zu den alkoholabhängigen Eltern, Frauengeschichten, für die Brando seinen Penis verantwortlich macht; erste Erfolge am Theater und im Kino in der Rolle des innerlich zerrissenen Außenseiters, der berufliche Niedergang, das Comeback bei Francis Ford Coppola und Bernardo Bertolucci, sein politisches Engagement für Bürgerrechte, familiäre Tragödien. All das erscheint durch Brandos subjektive, aber wohl durchdachte Kommentare in einem neuen Licht. Die Offenheit überrascht, die Zuspitzung ist unterhaltsam und erhellend – egal ob Brando Schauspieler mit Frühstücksflocken vergleicht, über Shakespeare, das Method-Acting oder New Hollywood philosophiert. Mit seinem eigenen Schauspiel wollte er dem echten Leben, der Wahrheit ein Stück näherkommen. Listen to Me Marlon rückt ein Stück näher an den wahren Marlon Brando heran.

Listen to Me Marlon (OmU)

Wie soll ein Regisseur das Leben einer Berühmtheit erzählen, ohne das Publikum mit Altbekanntem zu langweilen? Stevan Riley hat das Glück, auf bisher unveröffentlichtes Archivmaterial von Marlon Brando zurückgreifen zu können. „Listen to Me Marlon“ fasziniert aber in erster Linie durch seine gewagte Form.
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