Life in Stills

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Die Witwe, der Enkel und der Fotoladen

Ein Film, der mit einer Laufzeit von nur 58 Minuten für einen abendfüllenden Film eigentlich zu kurz ist, bekommt einen deutschen Kinostart. Das ist äußerst ungewöhnlich – aber in diesem Fall sehr zu begrüßen. Denn Life in Stills ist ein wahres Kleinod: Der Dokumentarfilm hat eine weltweite Festival-Karriere hinter sich, wobei er ein gutes Dutzend Jury- und Publikumspreise einheimste.
Nun wird also ein breiteres Publikum Gelegenheit haben, Miriam Weissenstein und ihren Enkel Ben ins Herz zu schließen. Denn man muss sie einfach lieben, die beiden Protagonisten in diesem kleinen großen Film: Miriam Weissenstein, während der Dreharbeiten 96 Jahre alt, schwerhörig aber dennoch sehr streitbar und oft genug grantig. Der drei Köpfe größere Ben kümmert sich rührend um seine widerborstige Oma und kämpft mit ihr Seite an Seite, um das Vermächtnis seines Großvaters zu bewahren: das berühmteste Fotogeschäft Israels.

Das Photohouse, das Miriam 1940 mit ihrem Mann in Tel Aviv eröffnete, ist eine echte Institution. Hier findet sich die Geschichte Israels auf fast einer Million Fotos. Die unersetzlichen Negative vom Tag der israelischen Unabhängigkeitserklärung lagern bei Miriam zu Hause: Ihr Mann war der einzige Fotograf, der die Zeremonie dokumentieren durfte. Rudi Weissenstein ist heute Legende, seine Fotografien geradezu Ikonen des israelischen Staates. Nach seinem Tod führte Miriam das Fotogeschäft zunächst alleine weiter.

Die junge Fotografin Tamar Tal beschloss während ihres Filmstudiums, das Fotogeschäft, seine Betreiberin und ihre Lebensaufgabe zu porträtieren. Mit dem 20-minütigen Kurz-Dokumentarfilm The Iron Lady and the Photohouse machte sie 2005 ihren Abschluss als Filmemacherin. Als sie danach Miriams Enkelsohn Ben kennenlernte, der nun seiner Oma im Laden half, erkannte sie, dass es noch viel mehr zu erzählen gibt, von diesen zwei außergewöhnlichen Menschen und ihrem Leben.

Life in Stills ist ein sehr berührender Film geworden. 58 Filmminuten, die ganz nah und unverstellt bei den porträtierten Menschen sind. Dramaturgisch auf den Punkt herausgeschält aus über 250 Stunden Material, das die Regisseurin zum Teil selbst gedreht hat. Tamar Tal sei eine Freundin fürs Leben geworden, sagte Ben Weissenstein bei der internationalen Premiere im November 2011 in Leipzig. Und tatsächlich ist dieses Vertrauensverhältnis in jeder Einstellung des Films spürbar und gibt ihm seine besondere Qualität.

Denn Life in Stills erzählt nicht einfach nur davon, wie Oma und Enkel als sich inbrünstig kabbelndes „odd couple“ im Laden arbeiten, Ausstellungen organisieren und sich für den Bestand des Fotogeschäfts einsetzen, das einem Neubau weichen soll. Der Kampf um den Laden ist der große dramaturgische Bogen und die Kluft zwischen den Generationen ein Aspekt, der durchaus für Lacher sorgt. Doch der Film erzählt viel mehr und von vielem – gerade von den schweren Dingen – erzählt er wie nebenbei: Von der erschütternden Familientragödie, die hinter Bens enger Beziehung zu seiner Oma steckt. Davon, was es bedeutet, sich im hohen Alter plötzlich mit einem Neuanfang konfrontiert zu sehen. Von der Impertinenz, mit der Miriam ignoriert, dass ihr Enkel schwul ist und jetzt mit seinem Freund zusammenzieht. Von intimen Alltagsmomenten und hereinbrechenden Schicksalsschlägen.

In Life in Stills verknüpfen sich all diese Aspekte rund um die anrührende Beziehung von Oma und Enkel zu einem wunderbar lebendigen Film, der tief unter die Oberfläche geht. Ganz ohne Talking Heads, nur aus rein beobachtenden Szenen, Fotografien und alten Super-8 Aufnahmen montiert, entsteht dabei ein bewegendes, in seiner dramaturgischen Fülle und dabei Stringenz überzeugendes, äußerst unterhaltsames Porträt einer außergewöhnlichen Frau. Und eine berührende Erinnerung, denn Miriam Weissenstein ist noch vor der internationalen Premiere des Films 2011 verstorben. Sie wurde 98 Jahre alt. Ben hat ihr versprochen, den Laden weiterzuführen, so lange er lebt.

Life in Stills

Ein Film, der mit einer Laufzeit von nur 58 Minuten für einen abendfüllenden Film eigentlich zu kurz ist, bekommt einen deutschen Kinostart. Das ist äußerst ungewöhnlich – aber in diesem Fall sehr zu begrüßen. Denn „Life in Stills“ ist ein wahres Kleinod: Der Dokumentarfilm hat eine weltweite Festival-Karriere hinter sich, wobei er ein gutes Dutzend Jury- und Publikumspreise einheimste.
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