Life in a Fishbowl

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Über das Leben in Reykjavik im Jahre 2008

Im Leben einer Filmkritikerin gibt es Momente im Kinosaal, die all die durchgesessenen mittelmäßigen Filme, langweiligen Komödien, vorhersehbaren Thriller und kitschigen Melodramen in den Hintergrund rücken. Momente, in denen auf der Leinwand etwas passiert, was man nicht vergisst. Und einen solchen Moment gibt es in Life in a Fishbowl: Der alternde, dem Alkohol verfallene Schriftsteller Móri (Thorsteinn Bachmann) sitzt in einer Kneipe an der Bar, hinter ihm ist eine Bühne zu erkennen, auf der ein Mann Gitarre spielt und singt. Von ihr kommen Musik und das Licht in dieser Szene, das Móri leicht von hinten beleuchtet. Durch diese Lichtsetzung, die Musik und Thorsteinn Bachmanns Präsenz wird in dieser kleinen, atemberaubenden Szene das gesamte Leid eines Lebens deutlich – und das Herz bricht ein wenig.
Es gibt noch viele weitere eindrucksvolle Szenen in Life in a Fishbowl, aber diese fängt die Atmosphäre des Films nahezu perfekt ein. Baldvin Z (bürgerlich: Zophoníasson) (Jitters) erzählt in seinem Film von drei Menschen in Reykjavik vor der Finanzkrise: Der dem Alkohol verfallene Schriftsteller Móri steht kurz vor der Veröffentlichung seines neuen Buches, die Erzieherin Eik (Hera Hilmarsdótir) kann von ihrem Gehalt nicht leben und verdient sich als Prostituierte etwas dazu, und der Ex-Fußballer Sölvi (Thorvaldur David Kristjánson), macht als Banker Karriere und wird in einige moralisch zweifelhafte Geschäfte verwickelt. Alle verbergen etwas und müssen schwierige Entscheidungen treffen, ihre Leben überschneiden und verbinden sich auf durchaus überraschenden Wegen. Dabei kann sich Baldvin Zophoníasson auf seine großartige Besetzung und ein Drehbuch (das er mit Birgir Örn Steinarsson geschrieben hat) verlassen, das sich nicht an Chronologie und Konventionen klammert. Vielmehr werden Szenen, die in anderen Filmen genüsslich ausgearbeitet worden wären, in diesem Film ausgespart – hier vertraut Baldvin Zophoníasson darauf, dass der Zuschauer sich vorstellen kann, was passiert. Stattdessen konzentriert er sich auf seine Figuren, von denen beständig etwas Neues zu erfahren ist. Sobald man also glaubt, man wisse nun, wie es weitergeht, folgt eine Nuance, eine kleine Wendung, die die Perspektive abermals verändert.

Diese Erzählhaltung korrespondiert mit der herausragenden Kameraführung von Johann Mani Johannson. Ganz am Anfang des Films befindet sich die Kamera unter Wasser, dann durchbricht sie die Eisfläche eines Sees. Rufe am Ufer sind zu hören, langsam wird ein Mann gezeigt, der am Strand wiederbelebt wird. Die volle Bedeutung dieser Szene entfaltet sich erst am Ende des Films, aber sie gibt die Besonderheit des Films vor: Man muss hinsehen, manche Oberflächlichkeiten durchbrechen, um zu den Menschen vorzudringen. Auch im weiteren Verlauf des Films gibt es immer wieder ungewöhnliche Kamerawinkel, die die Perspektiven leicht verschieben. Aber ebenso wie bei der leicht verschachtelten Narration wird das Innovative hier nicht herausgestellt, wird damit nicht gespielt, sondern fügt sich in diesen sehenswerten Film ein. Deshalb gelingt Baldvin Zophoníasson mit Life in a Fishbowl etwas Seltenes: Er hat einen visuell bestechenden, über zweistündigen, naturalistischen Film gedreht, der keine Minute zu lang ist – und niemals seine Figuren aus den Augen verliert. Hoffentlich findet der isländische Beitrag zu den Oscars 2015 auch hierzulande einen Verleih. Denn dieser Film gehört ins Kino!

Life in a Fishbowl

Im Leben einer Filmkritikerin gibt es Momente im Kinosaal, die all die durchgesessenen mittelmäßigen Filme, langweiligen Komödien, vorhersehbaren Thriller und kitschigen Melodramen in den Hintergrund rücken. Momente, in denen auf der Leinwand etwas passiert, was man nicht vergisst. Und einen solchen Moment gibt es in „Life in a Fishbowl“:
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