Log Line

Ein Chronist kommt zur Ruhe: So statisch wie in „Letzte Tage in Havanna“ ging es bei Fernando Pérez noch nie zu. Seine Geschichte zweier alter Freunde aus Kubas Hauptstadt ist dennoch bewegend.

Letzte Tage in Havanna (2018)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Träume im Land der begrenzten Möglichkeiten

Der amerikanische Traum, auch Miguel (Patricio Wood) träumt ihn. Tellerwäscher ist er schon, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten muss er noch gelangen. Sein letzter Versuch endete vor Floridas Küste. Als Nichtschwimmer kam er nicht rechtzeitig ans Ufer und die Behörden schickten ihn zurück nach Kuba. Dort sehen wir ihm an seinen freien Sonntagen im Meer beim Üben zu. Bei seinen zaghaften Zügen neben all den Wasserratten, die Kopfsprünge und Salti wagen, wirkt Miguel verloren. Überhaupt sein Blick: Jegliche Leidenschaft ist längst daraus gewichen, ob beim Gang durch Havannas Straßen oder beim allabendlichen Englischpauken vor einer großen Landkarte der USA. Zeigt Regisseur Fernando Pérez Miguels Augen, sind sie leer. Erst gegen Ende füllen sie sich mit Tränen.

Ganz anders bei Diego (Jorge Martínez). Miguels alter Schulfreund, bei dem Miguel wohnt und den er pflegt, mag ans Bett gefesselt sein, das Feuer in ihm brennt aber immer noch. Im Gegensatz zu Miguel hat sich Diego seine Libido nicht vom Kommunismus abtöten lassen, wie er es formuliert. Auch Diego hat Träume, nicht von einem besseren Leben an einem anderen Ort, sondern von ein paar guten letzten Tagen in Havanna, bevor ihm seine Aids-Erkrankung endgültig den Garaus macht. Zu seinem Geburtstag lässt er sich von Miguel einen Stricher besorgen. Der heißt Pedro (Christian Jesús Pérez) und schaut bald öfter, nur zum Reden vorbei. Pedros Träume sind bescheiden. Prostituieren will er sich nur so lange, bis das Geld für ein Fahrradtaxi reicht. Diegos 15-jährige schwangere Großnichte Yusisleydis (Gabriela Ramos) träumt bereits von Diegos Wohnung und der dazugehörigen Dachterrasse, auf der sie nach Diegos Tod mit ihrem Freund und einem Stall voller Haustiere das gemeinsame Kind großziehen will. Pocahontas oder Mowgli soll es heißen. Wie passend. Raus aus Kuba will Yusisleydis nicht, nur weg von ihrer Mutter.

Fernando Pérez hat sich fürs Bleiben entschieden, konnte ganz anders als seine Figuren aber auch stets frei reisen. Als Regisseur ist der 1944 geborene Russischlehrer und Professor für Filmgeschichte mit fiktionalen und dokumentarischen Werken wie Clandestinos – Gefährliches Leben (1987), Das Leben, ein Pfeifen (1998) oder Suite Havanna (2003) zu einem Chronisten seiner Heimat geworden. Pérez‘ Œuvre erzählt von einem Land der begrenzten Möglichkeiten, in dem Flexibilität und Einfallsreichtum das Leben erleichtern. Farbe und Putz mögen überall von den maroden Wänden fallen, für Wasser mögen die Bewohner geduldig anstehen, die Graffiti mögen für ferne Ländern und ausländische Fußballklubs schwärmen, am Ende pulsiert Pérez‘ Havanna dennoch wie kaum eine andere Stadt der Welt. Hier leben Arm und Reich, Schwarz und Weiß Tür an Tür und greifen sich gegenseitig unter die Arme. Es ist eine aus der Not, nicht aus dem Sozialismus geborene Gleichheit.

So resignativ wie in Letzte Tage in Havanna war Pérez‘ Blick allerdings noch nie. Freilich ist auch dieses Mal das Leben auf der Straße, sind die Treppenaufgänge der alten Kolonialbauten stets geschäftig und führen die Kunden eines Supermarkts an Heiligabend ein Tänzchen auf. Dem setzt der Filmemacher aber ganz bewusst eine Statik entgegen. Das fängt bei der strengen Form an, die den Erzählfluss durch eine Einteilung in die erzählten Tage immer wieder unterbricht, setzt sich in ruhigen, teils wunderschön komponierten Einstellungen fort und drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass Fernando Pérez seine geliebten surrealistischen Elemente auf ein verschwindend geringes Minimum reduziert. Auch Musik bekommen wir lange nicht zu hören. Am Ende sind es Händels Lascia ch’io pianga und Beethovens Mondscheinsonate, wie es überhaupt die Trauer, die Tränen sind, die die Protagonisten miteinander verbinden.
 

Letzte Tage in Havanna (2018)

Der amerikanische Traum, auch Miguel (Patricio Wood) träumt ihn. Tellerwäscher ist er schon, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten muss er noch gelangen. Sein letzter Versuch endete vor Floridas Küste. Als Nichtschwimmer kam er nicht rechtzeitig ans Ufer und die Behörden schickten ihn zurück nach Kuba.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Angelus · 29.01.2018

Ich kenne Cuba seit 1989, bin unzählige Male dort gewesen, habe viele Freunde und Familie dort und kann daher das Bild, das Fernando Perez zeichnet, sehr gut nachvollziehen. Es ist dies unglaubliche, und fast unbeschreibbare Mischung aus Lebensfreude und Traurigkeit, die sich auch in diesem Film eindrücklich zeigt. Sehnsucht nach etwas Anderem und gleichzeitig der Wunsch, die Wärme und Vertrautheit des cubanischen Lebens nicht verlassen zu wollen, steht alltäglich im dortigen Leben neben einander. Cuba wird immer Teil meines persönlichen Lebens bleiben und darum freue ich mich sehr, dass das KOKI das Thema Cuba immer wieder aufgreift und unter unterschiedlichsten Facetten thematisiert, Muchas gracias.