Lebanon

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit "Nashorn", "Cinderella" und "Engeln" ins Herz der Finsternis

Eine Fahrt nach St. Tropez – das klingt nach leichtsinnigen Vergnügen, nach Sommer, Rotwein und dem Duft von Sonnencreme, nach purer Lebensfreude. Von alldem ist in Samuel Maoz’ Film Lebanon nichts zu spüren – im Gegenteil. Was eigentlich kaum verwundern kann, denn schließlich führt die Fahrt nach St. Tropez hier nicht an die verführerische Cote d’Azur, sondern mitten hinein in den bereits im Titel erwähnten Libanon. Wir schreiben das Jahr 1982, gerade hat der Libanon-Feldzug begonnen.
Maoz schickt vier junge Panzersoldaten im Bauch eines stählernen Ungetüms auf die Reise: Asi (Itay Tiran) ist der Kommandant des Ungetüms, Yigal (Michael Moshonov) der Fahrer, Shmulik (Yoav Donat) der Bordschütze und Hertzel (Osri Cohen) der Kanonier. Auf engstem Raum zusammengepfercht und mit sehr eingeschränktem Blick nach draußen (die Kamera verweilt ausschließlich innerhalb des Panzer bzw. zeigt von der Außenwelt nur das, was auch die vier jungen Männer durch ihre Sichteinrichtungen sehen) wird der Krieg für die unerfahrenen Soldaten, die bislang ausschließlich auf dem Übungsplatz Krieg gespielt haben, zu einer Grenzerfahrung. Angeführt von Gamil (Zohar Strauss), der mit seinen Fallschirmjägern (im Funkverkehr „Cinderella“ genannt) das „Nashorn“ (so das Codewort für den Panzer) begleitet und seine Befehle vom Hauptquartier (Deckname „Cornelia“) erhält, muss schon bald den ersten „Engel“ (so das Codewort für einen gefallenen Soldaten) melden. Und weil im Chaos des Krieges vorerst kein Krankentransport verfügbar ist, muss der Leichnam im Panzer deponiert werden. Kaum ist der Engel dann doch mit einem Hubschrauber zum Himmel gefahren (was der Filmemacher ganz wörtlich zeigt), wird dieser abgelöst durch einen gefangen genommenen syrischen Soldaten. Spätestens jetzt dämmert es Jamil und seinen Untergebenen, dass man sich offenbar gehörig verfahren hat. Denn auf der Straße nach St. Tropez war eigentlich nicht mit der Anwesenheit von Syrern gerechnet worden.

Orientierungslos geworden und in buchstäblich verfahrener Lage liegen die Nerven blank, die Rettung aus der höchst gefährlichen Situation ist mehr als ungewiss. Hinzu kommt, dass selbst Verbündete wie die christlichen Phalangisten wenig vertrauenswürdig erscheinen. Wem kann man in diesem Chaos überhaupt noch trauen? Aus dem versprochenen Spaziergang nach St. Tropez ist eine Höllenfahrt in das finstere Herz des Krieges geworden. Und selbst wenn diese in einem Feld voller Sonnenblumen (und damit glimpflich) endet – wer einmal gesehen hat, was diese vier Männer mit ansehen mussten, den wird diese Erfahrung ein Leben lang prägen.

Dank der Konsequenz, mit der Samuel Maoz diesen apokalyptischen Höllenritt inszeniert und ausschließlich innerhalb des Panzers mit gelegentlichen Ausblicken auf die chaotische Außenwelt ausgestattet hat, werden die Todesangst, die Verwirrung und das Versagen der jungen Soldaten für den Zuschauer nicht nur nachvollziehbar, sondern körperlich beinahe spürbar. Wir sitzen mit ihnen in ihrem Gefährt, sehen nur das, was sie sehen (und das ist entsetzlich wenig, und wenn dann entweder von schmerzhafter Brutalität oder quälend uneindeutig), können uns ebenso wenig wie sie aus diesem stählernen Gefängnis befreien. Mit ihrem (und damit unseren) Blick durch das Zielfernrohr gerät alles in Visier, wird alles zum Ziel, zum Opfer – am meisten sie selbst.

Mit Lebanon ist Samuel Maoz ein erstaunlicher Film gelungen – in einigen Momenten erinnert das Antikriegsdrama nicht zuletzt wegen der verschmierten Gesichter im dunkeln Bauch der Panzers an Francis Ford Coppolas Apocalypse Now, dann wieder aufgrund der räumlichen Beschränkung und Einengung an Wolfgang Petersens Das Boot. Im Prinzip treibt Maoz den Film des deutschen Regisseurs weiter auf die Spitze, im Vergleich zu den zwar beengten aber recht geräumigen Platzverhältnissen in einem U-Boot, gleicht der Arbeitsplatz der vier israelischen Soldaten einem rollenden Sarg – der zudem immer wieder streikt und den Dienst verweigert.

Nach dem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag Beaufort und Waltz with Bashir ist Lebanon nun schon die dritte filmische Auseinandersetzung eines israelischen Regisseurs mit den Libanon-Kriegen. Dabei fällt zweierlei besonders auf: Zum einen stellt keiner der Filme die Libanon-Politik Israels selbst in Frage und zum zweiten beziehen sich zumindest zwei der Filme (nämlich Waltz with Bashir und Lebanon) auf den weit zurückliegenden Feldzug von 1982. Fast scheint es so, als befinde sich der israelische Film erst am Anfang einer langen Reise, in deren Verlauf Erinnerungen erst langsam dem Vergessen und Verdrängen entrissen werden müssen, bevor man zu den Kernproblemen und damit verbunden eventuell zu Lösungsansätzen kommt. Dazu passt auch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Waltz with Bashir und Lebanon: In beiden Geschichten sind die israelischen Soldaten mehr Opfer als Täter, werden Grausamkeit und Brutalität vor allem auf christliche Milizen und Phalangisten projiziert, während die eigenen Kämpfer vor allem erdulden und erleiden müssen. Ein Ansatz, den man durchaus kritisieren kann, da er die eigene Verantwortung am Krieg weitgehend ausblendet. Was sowohl bei Samuel Maoz wie auch bei Ari Folman (Waltz with Bashir) daran liegen mag, dass beide Filme auf eigenen Kriegserlebnissen beruhen – hier gerät der kritische Blick auf die eigene Person zum blinden Fleck der Beobachtung. Doch wie gesagt: Wahrscheinlich ist dies erst der Beginn eines langen filmischen wie gesellschaftlichen Prozesses.

Bei den 66. Internationalen Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet (wo sich der Film unter anderem gegen Fatih Akins Soul Kitchen und Jessica Hausers Lourdes durchsetzte), steht ein deutscher Verleiher für Lebanon bislang leider noch nicht fest. Auf den Festivals, auf denen er bislang zu sehen war, wurde Lebanon aber mit viel Interesse aufgenommen und sorgte für rege Diskussionen. Es wäre schön, wenn dieser Film weiterhin im Gespräch bleiben würde.

Lebanon

Eine Fahrt nach St. Tropez – das klingt nach leichtsinnigen Vergnügen, nach Sommer, Rotwein und dem Duft von Sonnencreme, nach purer Lebensfreude. Von alldem ist in Samuel Maoz’ Film „Lebanon“ nichts zu spüren – im Gegenteil. Was eigentlich kaum verwundern kann, denn schließlich führt die Fahrt nach St. Tropez hier nicht an die verführerische Cote d’Azur, sondern mitten hinein in den bereits im Titel erwähnten Libanon. Wir schreiben das Jahr 1982, gerade hat der Libanon-Feldzug begonnen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen