Le vendeur

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Chronik eines Verfalls

Marcel Lévesque (Gilbert Sicotte) ist ein Autoverkäufer aus Leidenschaft. Im Laufe seiner langjährigen Arbeit in einem Autohaus im Norden der kanadischen Provinz Quebec hat es der Endsechziger in seinem Metier zu einer Meisterschaft gebracht, die sich in den unzähligen Auszeichnungen zum Verkäufer des Monats oder Jahres, die seine Bürowand zieren, ausdrückt. Während andere in seinem Alter längst in den wohlverdienten Ruhestand gehen, kann sich Lévesque ein Leben ohne seine Arbeit nicht vorstellen. Was wohl auch daran liegt, dass der Witwer außer seinem Beruf und dem guten Verhältnis zu seiner Tochter Maryse (Nathalie Cavezzali) und seinem Enkel Antoine (Jérémy Tessier) eigentlich nichts mehr hat, was ihm Ausgleich, Antrieb oder schlichtweg nur Freude böte im Leben. Dennoch wirkt der stets freundliche Mann immer optimistisch, vertrauenswürdig und so, als nähme er Anteil am Leben seiner Kollegen und Kunden, denen gegenüber er beteuert, er wolle nichts anderes als sie „glücklich machen“.
Das Glück aber ist eine flüchtige Angelegenheit und über die Launen des Schicksals kann auch nicht der Kauf eines neuen Autos hinweghelfen. Der kleinen Gemeinde, in der Lévesque lebt, ergeht es schlecht, die örtliche Papierfabrik steht kurz vor dem endgültigen Aus, die Arbeiter haben seit mehr als einem halben Jahr keinen Lohn mehr erhalten und kämpfen mit Mahnwachen gegen das Unabwendbare. Mit der Schließung des Werkes, das ist allen klar, auch wenn es nur selten ausgesprochen wird, wäre auch der Niedergang des Ortes kaum mehr aufzuhalten. Und was dies für den Absatz an Autoverkäufen bedeuten würde, kann man sich schnell ausmalen. Und während der Winter einkehrt in das Land und die triste Szenerie mit seinen Schneemassen überzuckert, wenden sich die Dinge so sehr zum Schlechten, dass auch der unverbesserliche Optimist Marcel Lévesque kurz davor ist, an all dem Unglück zu zerbrechen…

Man braucht lange, bis man diesem Marcel Lévesque und damit dem Regisseur und Drehbuchautor Sébastien Pilote auf die Spur kommt. Was vor allem daran liegt, dass einem dieser Autoverkäufer in seiner stillen und freundlichen Art und trotz des Bewusstseins, dass seine Verbindlichkeit nur ein Teil seiner lebenslang antrainierten Verkaufsstrategie ist, so überaus sympathisch erscheint. Es sind eher Impressionen als Szenen, über die Pilote seine Chronik des schleichenden Verfalls erzählt. Eingeleitet werden diese von Tagesaufzählungen, die markieren, seit wie vielen Tagen die Arbeiter der Papierfabrik bereits auf ihren Lohn warten.

Trotz der Konzentration auf Lévesque bleibt aber das Leid der anderen nicht abstrakt in diesem Film, sondern erhält durch die Begegnung des Autoverkäufers mit seinem Kunden François Paradis (Jean-François Boudreau) ein menschliches Gesicht, ein Schicksal, an dessen weiterer Entwicklung auch Lévesque, ohne Böses zu wollen, einen nicht geringen Anteil hat. Geschickt baut Pilote immer wieder falsche Spuren in seinen Film ein, die den Zuschauer zu Vermutungen verleiten, die sich dann am Ende zumeist nicht erfüllen – nur den finalen Schicksalsschlag, der Lévesque ereilt, ahnt man ungefähr ab der Hälfte der Laufzeit, was diesem kleinen Juwel kaum schadet. Beindruckend sind neben dem begnadeten Spiel von Gilbert Sicotte vor allem die Bilder, mit denen Pilote seine düstere Chronik in ein gleißend helles Licht und teilweise traumverlorene Bilder taucht, die dem Film trotz aller Schicksalsschwere etwas beinahe Schwebendes und Leichtes geben, das dem Zuschauer dabei hilft, nicht in Bitterkeit und Resignation zu versinken.

Sébastien Pilotes Debütspielfilm Le vendeur ist eine echte Entdeckung und der Regisseur womöglich eines jener jungen Talente des frankokanadischen Kinos, von dem man sich noch einiges erwarten darf. Der Film, der seine Premiere beim Sundance Filmfestival feierte, erhielt unter anderem den Filmkritikerpreis der FIPRESCI in San Sebastian und ist mittlerweile in Kanada in den Kinos gestartet. Ob das leise Drama allerdings außer auf Festivals in Deutschland auch regulär in den Kinos starten wird, steht bislang noch nicht fest. Deshalb: Wer die Gelegenheit hat, diesen Film auf dem Filmfestival Mannheim-Heidelberg oder im Rahmen der 11. Französischen Filmwoche in Berlin vom 1. bis zum 7. Dezember zu sehen, der sollte die Gelegenheit am Schopfe packen.

Le vendeur

Marcel Lévesque (Gilbert Sicotte) ist ein Autoverkäufer aus Leidenschaft. Im Laufe seiner langjährigen Arbeit in einem Autohaus im Norden der kanadischen Provinz Quebec hat es der Endsechziger in seinem Metier zu einer Meisterschaft gebracht, die sich in den unzähligen Auszeichnungen zum Verkäufer des Monats oder Jahres, die seine Bürowand zieren, ausdrückt.
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