Le premier venu

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Verlorene Liebesmüh

Wenn zwei sich lieben, ist kein Platz für einen dritten. Das musste unter anderem Friedrich Nietzsche leidvoll erfahren. Seine Dreiecksbeziehung mit dem deutschen Philosoph Paul Rée und der jungen russischen Theologin und Philosophin Lou Salomé findet nach einem Zerwürfnis Nietzsches mit Rée ein jähes Ende. Nietzsche bleibt allein und steigert sich zutiefst gekränkt in eine rasende Eifersucht hinein, die seinen negativen Gemütszustand immer weiter verstärken wird.
Der französische Regisseur Jacques Doillon weiß um das dramaturgische Potenzial eines solch komplizierten Beziehungsgeflechts. Die Protagonisten seiner Filme sind jedoch keine Künstler, sondern zumeist die Vertreter einer jungen Generation an der Schwelle zum Erwachsenenleben, mit all ihren Ängsten, Zweifeln und ihrer unerfüllten Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. So inszenierte Doillon Filme wie Amoureuse – Eine Liebe zu Dritt oder Ich habe dich nicht um eine Liebesgeschichte gebeten als tragikomischen Beziehungsreigen in einer spannungsgeladenen ménage à trois. Auch in seinem neuen Film Le premier venu erzählt er die Geschichte von solch einer Liebe im Ungleichgewicht.

Jeder der Protagonisten begibt sich in Le premier venu auf die Suche. Die junge Pariserin Camille ist ihrem Angebeteten Costa nach Le Crotoy, einer kleinen Stadt an der Nordküste Frankreichs, gefolgt. Sie, gelangweilt von der Routine ihres bürgerlichen Lebens, sucht nach intensiven Erlebnissen. Er, ein junger Straffälliger und Herumtreiber, sucht hingegen nach seiner Frau und seinem Kind, die er seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen hat. Cyril, der Polizist, sucht eher aus Langeweile denn aus Überzeugung den stadtbekannten Taugenichts Costa, den er bereits aus Kindheitstagen kennt.

„Liebe und Misstrauen sind die dritt- und viertwichtigsten Wörter, die man in der Schule lernt“, meint Camille zu Beginn des Films. Clémentine Beaugrands Protagonistin verhält sich zunächst wie eine Maus im Käfig und ist gefangen in ihrer wirren Gefühlswelt. Doch in dieser Frau steckt auch eine Wildkatze, die jederzeit bereit ist, ihre Krallen auszufahren. In einem Moment intrigiert und manipuliert sie, hält die Fäden des Geschehens in der Hand. Bereits im nächsten Augenblick offenbart sie ihre verletzliche Seite und ihre Abhängigkeit von Costas Liebe. Der Kontrast zwischen der endlosen Weite des Strandes und der bedrückenden Enge des kargen Hotelzimmers, das Costa und Camille neben Costas ärmlicher Bunkerwohnung an einem abgelegenen Teil des Strandes als Treffpunkt dient, spiegelt ihre innere Zerrissenheit zwischen Freiheitsausbruch und manischem Streben nach Anerkennung wider. Costa vermittelt Camille von Beginn an, dass er sie nicht braucht. Doch da hat Camille bereits beschlossen, ihr Herz zu verschenken. Nicht an den Meistgeliebten, sondern an den Erstbesten. Mehrere Male spricht sie von „Vergewaltigung“, wirft Costa vor, ein Mann zu sein, der Frauen zu Objekten degradiert und sich an ihnen vergeht. Dies ändert nichts an ihrer unbegreiflichen Faszination für diesen klein gewachsenen, unattraktiven Außenseiter. Der schüchterne Cyril entwickelt zarte Gefühle für sie. Camille kann und will aber nicht von Costa lassen. Sie bleibt bis zum Schluss eine Getriebene, die trotz ihrer angeblichen Gefühle für Costa keine innige Beziehung zu ihm aufbauen kann. Männer sind für sie ausschließlich triebgesteuerte Wesen auf der Suche nach der schnellen sexuellen Befriedigung.

So sehr sich Jacques Doillon auch bemüht, seine Geschichte um die emotionale Verlorenheit einer jungen Generation will nicht recht an Fahrt aufnehmen. Selbst dann nicht, als Camille und Costa zum Gangsterpaar mutieren, einen Immobilienmakler als Geisel nehmen und Costa Cyril nach dessen Auftauchen im Hotelzimmer brutal zusammenschlägt. Trotz schauspielerisch überzeugender Leistungen, vor allem von Clémentine Beaugrand als Camille, bleibt Le premier venu bis zum Schluss ein merkwürdiges Kammerspiel und kann weder als Liebesdrama noch als Beziehungsthriller überzeugen. Denn es fehlt diesem Film an emotionaler Dichte, einem durchgehenden Spannungsbogen und einer stringenten Dramaturgie.

Als Camille am Ende Costa freigibt und ihn wieder mit seiner Frau zusammenführt, bleibt ihre unerfüllte Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit bestehen. Das Ende nährt die Hoffnung auf einen befreiten Neuanfang für Camille. Vielleicht wird Cyril der erhoffte Rettungsanker sein. Vielleicht ist er aber auch ein neuer Costa und Camilles manische Suche nach dem gewissen Etwas wird nie ein Ende nehmen.

Le premier venu

Wenn zwei sich lieben, ist kein Platz für einen dritten. Das musste unter anderem Friedrich Nietzsche leidvoll erfahren.
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Meinungen

Helmut Schmidt · 26.06.2011

Der Film ist keinen Augenblick langweilig. Das Happy End kommt etwas plötzlich, ist aber schlüssig und für mich als Zuschauer erleichternd. Die Schauspieler haben mir sehr gut gefallen. Alles klare Charaktere, hinter denen man das Menschliche mal mehr, mal weniger durchscheinen sieht. Am sympathischsten ist mir als Mann natürlich diese junge Camille, die sehr mutig ist!