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„La Quietud“ kommt wie eine Telenovela daher. Um dann mit bösem Humor das Genre zu brechen. 

La quietud (2018)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Schwesternliebe

Die erste Stunde von La Quietud meint man, in eine schlimme lateinamerikanische Telenovela geraten zu sein — und wäre das ganze nicht von Argentiniens Regie-Talent Pablo Trapero (El Clan, Die verborgene Stadt), man hätte den Kinosaal längst verlassen. Das sollte man aber nicht, denn die Geduld zahlt sich aus und mit jeder Minute wird klar, dass er mit dem Telenovela-Setting nur spielt, um es dann brutal zu brechen. 

Worum also geht es? Die zwei Schwestern Mia (Martina Gusman) und Eugenia (Bérénice Bejo, de, europäischem Publikum bislang wohl am besten als die junge Frau aus The Artist bekannt) treffen sich nach langer Trennung auf dem Familienanwesen in Argentinien wieder. Die Mutter ist eine reiche Matrone, die bei jedem Handgriff nach dem Dienstmädchen klingelt. Der Vater liegt im Sterben nach einem Schlaganfall und kann nicht mehr sprechen. Eugenia erzählt, dass sie schwanger ist. Ihr Freund werde in ein paar Tagen aus Paris anreisen. Große Freude bei der Mutter, die endlich auf einen Stammhalter hofft. Die Mädchen haben beide noch Affären, die kreuz und quer durch Familie und Bekanntschaft laufen und die wir hier nicht weiter Spoilern wollen. Die Handlung findet fast ausschließlich auf dem weitläufigen Anwesen statt, dessen Schönheit in großen Tableaus ausgemalt wird. Flamingos schnäbeln in einem Teich, Pferde traben über eine große Koppel, die Sonne scheint sanft auf saftiges Grün, in dessen Mitte die Hacienda in blutroter Farbe steht. 

So weit, so Telenovela. Dass Trapero hier jedoch nicht vorhat im Kitsch, zu versanden, deutet er gleich am Anfang an. Da liegen die beiden Schwestern zusammen in Unterwäsche im Bett ihrer Kindheit, erzählen sich, welchen Angestellten sie früher heiß fanden und masturbieren dazu. Auch sämtliche Sexszenen, und davon gibt es einige, zeichnen sich nicht durch schwülstige Liebesschwüre unter keusch bis zur Brust hochgezogenen Bettdecken aus, sondern durch Sex für Erwachsene. Die lassen sich auch gern mal hart von hinten nehmen. Und die Frauen sagen klar, was ihnen gefällt.

Je weiter die Handlung fortschreitet, desto ironischer spitzt sie sich zu. Dialoge an der Dinner-Tafel werden zur Farce. Die Rolle der Mutter zur reinen Karikatur, bis auch sie gebrochen wird und in einem großartigen Finale die Wahrheit ausgräbt, die die ganze Familie auseinander sprengen wird. 

Trapero geht dazu in die Vergangenheit seines eigenen Landes, die Militärdiktatur 1976 bis 1983 mit ihrem Foltergefängnis im Keller der Mechanikerschule der Marine zurück. Die illegalen Bereicherungen der Staatsdiener jener Diktatur am Eigentum der vom Regime Verfolgten sind ebenso Thema, wie die viel zu späte Aufarbeitung dieser Verbrechen. Und auch sonst bricht Trapero das Heile-reiche-Welt-Bild ganz ordentlich, etwa wenn plötzlich über Vergewaltigung in der Ehe und deren langwierige Konsequenzen für die Familienbande gesprochen wird. La Quietud, die Ruhe, wie das Anwesen der reichen Familie heißt, durchbricht dieser Film, bis am Ende kein Stein mehr auf dem anderen liegt. Nur die beiden Schwestern werden wieder vereint sein. Und auch das unkonventionelle Ende ist keines einer Telenovela — und das ist sehr gut so.

La quietud (2018)

Nach vielen Jahren treffen sich zwei Schwestern wieder: Die eine ist wegen des kritischen Gesundheitszustandes ihres Vaters zurückgekehrt, die andere insistiert darauf, dass alles so ist wie immer. Gemeinsam mit ihrer Mutter müssen sich die beiden Frauen mit der Vergangenheit auseinandersetzen und sich den Herausforderungen der Gegenwart stellen. 

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