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Federico Fellinis „La dolce vita“ ist auch mehr als sechs Dekaden nach seiner Uraufführung noch immer eine äußerst verführerische und zugleich clever entlarvende Betrachtung einer Welt des schönen Scheins.

La dolce vita (1960)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Römische Dekadenz

Es gibt filmische Momente, für die allzu oft verwendete Begriffe wie „ikonisch“ oder „unvergesslich“ einfach nicht ausreichen. Sie sind ein Teil unserer Kultur und damit ein Teil von uns selbst. Die Bilder der damals 29-jährigen Anita Ekberg, die in der Rolle der Schauspiel-Diva Sylvia in einer edlen, dunklen Robe des Nachts in den Trevi-Brunnen steigt, zählen ganz ohne Zweifel zu diesen Momenten. Doch natürlich ist Federico Fellinis High-Society-Porträt „La dolce vita“ aus dem Jahre 1960 noch weitaus mehr als diese eine bekannte Sequenz.

Der Film ist ein Streifzug durch die Stadt Rom, insbesondere durch das Treiben auf der Via Veneto, jener berühmt-berüchtigten Straße, die mit ihren Bars und Restaurants für das süße Leben steht, das Fellini in zuweilen absurd-witzigen, oft aber auch melancholischen und zutiefst traurigen Episoden schildert. Bindeglied all der gezeigten Geschehnisse ist der Boulevard-Journalist Marcello Rubini (Marcello Mastroianni), der gern ein angesehener Schriftsteller wäre. Er ist der Prominenz auf der Spur, fühlt sich angezogen vom Lifestyle der Reichen und Schönen, muss allerdings auch die Leere hinter dem Glanz erkennen.

„Dieses ganze Rom ödet mich an!“, heißt es schon relativ zu Beginn aus dem Munde der Erbin Maddalena (Anouk Aimée) – woraufhin Marcello die Vermutung äußert, es sei ihr Unglück, zu viel Geld zu haben. Kaum ein Mensch, dem Marcello begegnet, scheint Erfüllung zu empfinden – am wenigsten die, die im Überfluss leben. Die traumhaft schönen Schwarzweiß-Aufnahmen, die Fellini und der Kameramann Otello Martelli erschaffen, lassen uns die Attraktivität dieses luxuriösen Daseins nachvollziehen, noch unterstützt durch das prächtige, Oscar-prämierte Kostümdesign und die stimmungsvolle Musik. Und doch ist selbst in den Augenblicken der höchsten Unbeschwertheit die brüchige Beschaffenheit dieser exzessiven Welt zu spüren.

Wenn Marcello und Maddalena eine Nacht in der wenig komfortablen, teilweise überschwemmten Wohnung einer Prostituierten verbringen, wird das Nebeneinander von Armut und grenzenlosem Wohlstand deutlich. „Hier wohnen Leute, die arbeiten!“, heißt es wiederum an anderer Stelle einmal – um ganz am Rande klarzumachen, dass nicht alle in dieser Stadt es sich leisten können, die Nacht zum Tage zu machen und ohne Pause zu feiern. Auch die Oberflächlichkeit, mit der die Menschen hier einander begegnen, bringt Fellini treffend auf den Punkt, wenn die schwedisch-amerikanische Schauspielerin Sylvia nach ihrer Ankunft am Flughafen Rom-Ciampino bei einer Pressekonferenz in ihrem Hotelzimmer nur äußerst alberne Fragen gestellt bekommt, bei denen es offenbar niemandem um Filmkunst, geschweige denn um Sylvia als Person geht.

Dass sich das beinahe dreistündige Werk, das 1960 mit der Goldenen Palme bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet wurde, seine Spannung bis zum Schluss erhält, während immer wieder neue Figuren vorgestellt und andere Schauplätze eingeführt werden, liegt zum einen an der raffinierten visuellen Gestaltung: Wie etwa die Personen bei einer Schlossparty im Raum angeordnet werden oder wie das Ereignis eines angeblichen Wunders bei strömendem Regen eingefangen wird, hat auch mehr als 60 Jahre später nichts von seiner kinematografischen Kraft und Faszination verloren. Zum anderen erzählt La dolce vita zwar von Oberflächlichkeit, legt seine Figuren aber komplex an – sei es Marcellos depressive Verlobte Emma (Yvonne Furneaux), die die Untreue ihres Partners nicht länger ertragen kann, oder der Intellektuelle Steiner (Alain Cuny), den Marcello zunächst als Vorbild ansieht, bis auch hier die Abgründe sichtbar werden.

Als Frauenheld und Genussmensch wird Marcello zwischen all den Unglücklichen keineswegs glorifiziert. „Was weißt du denn von Frauen?“, wird Marcello von Emma spöttisch gefragt, als er sich chauvinistisch über die künstlerischen Fähigkeiten von Frauen äußert. Mehr und mehr verliert Marcello im Laufe der etwa einwöchigen Handlung die Orientierung. Sinn und Sinnlosigkeit, Schein und Sein – am Ende scheint auch für ihn alles im Lärm zu verrauschen. Ein bittersüßer Schluss für einen hypnotischen Leinwand-Taumel.

La dolce vita (1960)

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Wo liegt das Seelenheil?

Wie bei so vielen seiner Werke konzentriert sich Federico Fellini nicht auf eine Geschichte, sondern gestaltet seinen Film in episodischer Struktur. Dabei lässt er sich Zeit – fast drei Stunden –, um diesem Sammelsurium an Ideen eine Bedeutung abzugewinnen, die auch heute noch lebendig ist.

Marcello (Marcello Mastroianni) hat die Schikeria Roms satt. Als Journalist der Klatschpresse muss er sich mit ihr jedoch arrangieren, immer auf der Suche nach jemandem, der aus diesem oberflächlichen Leben heraussticht. Jemand wie der Schriftsteller Steiner, der abseits aller Konventionen das Leben lebt, das auch Marcello gefallen würde.

Den Kern des Films bildet die Geschichte von Marcello und Steiner. Es ist eine existenzialistische Geschichte, in der es um die Bedeutung – oder vielmehr das Fehlen derselbigen – des Lebens geht. Marcello findet Bedeutung in Steiners Leben. Er bewundert den älteren Mann und hofft, eines Tages wie er sein zu können, aber der ältere Mann weiß um die Fehlbarkeit dieses Wunschdenkens. Denn so verheißend das Morgen auch erscheinen mag, auf dem Weg dorthin verliert man sich selbst. Die Erlösung wäre ein simpleres Leben, eines, das Marcello im wahrsten Sinne des Wortes zuwinkt, aber das kann er nicht erkennen. Er ist der moderne Mensch, gefangen in einer Welt, in der er längst keinen Bezug mehr zu seiner Umgebung hat. Alles ist Schein und Sein, nichts in irgendeiner Weise essenziell. Das wahre Glück findet man nicht dort draußen, nicht am fernen Horizont und nicht am Ende eines Regenbogens, es liegt in einem selbst. Wenn man denn in der Lage ist, es zu erkennen.

Fellinis Klassiker liegt erstmals in High Definition vor. Das restaurierte Bild kommt mit einem neuen Interpositiv-zu-HD-Transfer daher, der kaum Wünsche offenlässt. Den vielen positiven Aspekten des Bilds steht jedoch auch ein Wermutstropfen gegenüber. Da etwas zu hell gemastert wurde, empfiehlt es sich, auf dem Fernseher selbst die Helligkeitsstufe nachzujustieren. Davon abgesehen, erweist sich La dolce vita in prächtiger Form. Übermäßigen Einsatz von Filtern gab es nicht, der Schwarzwert sorgt für feine Darstellungen und Überfänge, kompressionsbedingte Störfaktoren fallen nicht auf. So gut hat dieser mehr als 50 Jahre alte Klassiker noch nie ausgesehen.
 

La dolce vita (1960)

Wie bei so vielen seiner Werke konzentriert sich Federico Fellini nicht auf eine Geschichte, sondern gestaltet seinen Film in episodischer Struktur. Dabei lässt er sich Zeit – fast drei Stunden –, um diesem Sammelsurium an Ideen eine Bedeutung abzugewinnen, die auch heute noch lebendig ist.

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