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Mit „Die Kordillere der Träume“ schließt Patricio Guzmán seine Dokumentarfilm-Trilogie über die chilenische Historie ab – und verbindet darin abermals die erhabene Natur mit der grausamen Landespolitik.

Die Kordillere der Träume (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das Schöne und die Grausamkeit

Geografie und Geschichte, Essay und dokumentarische Betrachtung. Schon in zahlreichen Werken gelang es dem Filmemacher Patricio Guzmán, Jahrgang 1941, Landschaftsbilder und Aufnahmen gesellschaftspolitischer Geschehnisse sowie persönliche Gedanken und kollektive Erfahrungen stimmig zu vereinen. Nach „Heimweh nach den Sternen“ (2010) und „Der Perlmuttknopf“ (2015) legt Guzmán den Abschluss seiner (zweiten) persönlich gestalteten Trilogie über sein Geburtsland Chile vor. In „Die Kordillere der Träume“ widmet er sich dem chilenischen Hochgebirge und kombiniert deren filmische Erkundung mit Erinnerungen an die Militärdiktatur unter Augusto Pinochet zwischen 1973 und 1990. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes gab es hierfür 2019 die Auszeichnung L’Œil d’or als bester Dokumentarfilm.

Kann etwas gleichzeitig atemberaubend schön sein und für Abschottung sowie Verdrängung stehen? Die Berge Chiles werden von Guzmán durch kluge Montage mit jener Ambivalenz aufgeladen. Die Totalen, die sein Kameramann Samuel Lahu von den Gebirgssystemen erzeugt, sind – insbesondere auf großer Leinwand – ein Ereignis, an dem man sich kaum sattsehen kann. Verwoben wird dieser Anblick jedoch mit einer schonungslosen Rückschau und der Erkenntnis, dass das Vergangene stets Spuren im Jetzt hinterlässt. Guzmán selbst musste 1973 aus Chile nach Spanien fliehen und lebt heute in Frankreich. Viele Jahre nach seiner Flucht kehrte er aber immer wieder zurück, etwa um ein Dokumentarfilm-Festival in Santiago de Chile zu gründen und zu leiten. Im Laufe seiner Karriere hat sich Guzmán als empathischer, differenzierter Beobachter und kinematografischer Analyst des Landes erwiesen.

Das Archivmaterial, das uns einen Eindruck von der Brutalität während der Pinochet-Diktatur vermittelt, ist erschreckend – nicht zuletzt deshalb, weil die Bilder von Staatsgewalt gegen protestierende Zivilist_innen leider bis heute weltweit kein überwundener Teil der Menschheitsgeschichte sind. Neben eigenen Gedanken lässt Guzmán die Erlebnisse anderer einfließen; so kommen zum Beispiel die Künstler Vicente Gajardo und Francisco Gazitúa, der Schriftsteller Jorge Baradit sowie die Sängerin Xaviera Parra zu Wort. Erzählt wird dabei nicht nur von der Unterdrückung und den Ängsten der damaligen Zeit sowie den weitreichenden Konsequenzen für das Land und dessen Bevölkerung, sondern auch von der Kreativität als Mittel des Widerstandes.

Eine prominente Rolle kommt dem Kameramann und Filmemacher Pablo Salas zu, der mit seinen langjährigen, umfangreichen Videoaufnahmen zu einem Chronisten der chilenischen Historie geworden ist. Guzmán interviewt Salas in dessen Archiv, umgeben von unzähligen Bändern mit selbst gefilmtem Material. Die Bilder, die Salas in den Straßen während der Demonstrationen eingefangen hat, bezeugen das Unrecht, das den Menschen widerfahren ist. Die Spuren in der Natur, die individuelle Erinnerung, die Kunst als Reaktion auf das Leben und das Medium Film als Speicher der Geschichte werden in Die Kordillere der Träume auf faszinierende Weise zusammengebracht.

Die Kordillere der Träume (2019)

„In meinem Land ist die Cordillera allgegenwärtig, doch für die Chilenen ist sie nach wie vor ein unbekanntes Land“. Nachdem er in  „Nostalgia de la luz“ und „Der Perlmuttknopf“ bereits den Norden und den Süden seines Heimatlandes erkundet hat, widmet sich der große Dokumentarist Patricio Guzmán im dritten Teil seiner filmischen Auseinandersetzung mit seiner Heimat dem Kettengebirge und zeigt dessen Einfluss auf das Leben und Empfinden der Chilenen.

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