Kopfleuchten

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Wenn das Hirn erkrankt

Der Volksmund verwendet zahlreiche meist wenig schmeichelhafte Bezeichnungen für einen defizitären Zustand des Gehirns, wobei „nicht ganz dicht“ ebenso noch recht harmlos wie häufig erscheint. Mit dieser Metapher eines Lecks, einer Durchlässigkeit, verbildlicht durch einen tropfenden Wasserhahn, steigen auch Thomas Bergmann und Mischka Popp in ihre Dokumentation über Menschen mit irreparablen Hirnschädigungen ein, die nicht selten neben der Krankheit auch noch mit vielerlei Vorurteilen in der Gesellschaft zu kämpfen haben.
Wer bislang sein Leben mit all seinen Kompetenzen eigenmächtig geführt hat, für den stellt es eine Katastrophe unbeschreiblichen Ausmaßes dar, wenn er sich mit einem Male durch eine Krankheit oder einen Unfall, der seine Hirnfunktionen beeinträchtigt, in ein sich selbst fremdes, ver-rücktes, hilfloses Wesen verwandelt. Zu den persönlichen und medizinischen Auswirkungen gesellen sich die meist gravierenden sozialen Veränderungen, sowohl was die Familie wie auch sämtliche Kontakte mit der Außenwelt betrifft. Der Dokumentarfilm mit dem schönen Titel Kopfleuchten porträtiert einige Menschen, die dieses Schicksal ereilt hat und die teilweise schon viele Jahre lang damit zurecht kommen, lässt ihre begleitenden Angehörigen zu Wort kommen und zeigt, wie ein Alltag mit solch erheblichen Beeinträchtigungen möglich ist. Auch das seltene Tourettesyndrom wird vorgestellt, das durch das Auftreten von unbeherrschbaren motorischen und verbalen Tics sehr auffällig in Erscheinung tritt und vor allem durch Ausrufe unflätiger Worte in der Öffentlichkeit für meist belustigtes oder empörtes Aufsehen sorgt. In diesem Zusammenhang wirbt der Film besonders stark um Verständnis für die Betroffenen, die überwiegend im sozialen Abseits leben, weil ihre unkontrollierbaren heftigen Bewegungen oder Grimassen und ihre drastischen, nicht selten äußerst anstößigen Schreie wie „Heil Hitler“ oder „Drecksnutte““ihre Mitmenschen auf Abstand halten.

Obwohl die Beeinträchtigungen und ihre Folgen für die weitere Lebensgestaltung der Erkrankten im Vordergrund der Dokumentation stehen, nähert sich diese den Geschichten ihrer Protagonisten nicht auf eine negativ ausgerichtete Weise, sondern fokussiert die Eigenheiten ihrer Persönlichkeit mitsamt ihrer Störung in der Betrachtung des ganzen Menschen, der durchaus nicht immer nur unglücklich und deplatziert dahinvegetiert, wie vor allem die Porträts von älteren Künstlern gegen Ende des Films sehr schön zeigen, die Erfüllung in ihrer eigenen, kreativen Welt finden.

Auf Grund des demographischen Wandels innerhalb unserer Gesellschaft ist damit zu rechnen, dass auch Krankheiten wie allgemeine Demenz oder Alzheimer verstärkt auftreten werden und eine umfassende Aufklärung über diese Themenbereiche dringend notwendig sein wird. Einen sensiblen und informativen Beitrag zu Hirnschädigungen liefert Kopfleuchten aus dem Jahre 1998 unbedingt, bietet dabei allerdings für ein wenig vorgebildete Zuschauer wenig Neues und verzichtet zudem weit gehend auf fachlichen Hintergrund für näher Interessierte, so dass man sich diese Dokumentation eher im Fernsehumfeld möglicherweise flankiert von kommentierenden Experten oder mit anschließender Diskussion vorstellen kann.

Kopfleuchten

Der Volksmund verwendet zahlreiche meist wenig schmeichelhafte Bezeichnungen für einen defizitären Zustand des Gehirns, wobei „nicht ganz dicht“ ebenso noch recht harmlos wie häufig erscheint.
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