Komm Näher

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Sieben einsame Seelen

Mathilda liebt laute Musik, Bronski ist Polizist, Andi fährt Taxi, Johanna putzt, Mandy pubertiert, Ali will beruflich hoch hinaus, David versagt auf der ganzen Linie. Schauplatz ist Berlin. Ein Großstadtreigen. Sieben einsame Seelen im freudlosen Alltagstrott, im ständigen Bemühen, alles richtig machen zu wollen, um am Ende doch wieder vollends zu versagen. Sieben Schicksale — fein säuberlich drei Plotsträngen zugeordnet. Sieben Schicksale, die rein zufällig, auf familiärer Ebene oder in partnerschaftlicher Beziehung miteinander verbunden sind – das ist die Essenz von Komm Näher, Vanessa Jopps siebter Regiearbeit.
Einen Film mal ganz anderes anzugehen, war die Intention der Regisseurin, ein Experiment zu wagen, zu improvisieren, der Kreativität freien Lauf zu lassen. Einen Film zu realisieren, der die Themen Einsamkeit und Sex (später wurde daraus Liebe) aufgreift. Als Jopp die Besetzung für den Film castete, stand viel mehr auch noch nicht fest – kein Drehbuch, keine Figuren, noch nicht mal grobe Handlungsstränge. Solche Praktiken sind bei großen Filmemachern gang und gebe, denke man an Mike Leighs improvisierte Arbeitsweise oder an Wong Kar-wais rigorosen Verzicht auf ein Drehbuch. Ihr filmischer Output belegt, dass solche Methoden durchaus erfolgreich sein können.

Wenn auch nur mir einer eher vagen Idee im Kopf hat Jopp für „ihr Experiment“ immerhin eine recht sehenswerte Riege deutscher Schauspieler gewonnen. Die Regisseurin überließ ihren „Probanden“ nahezu uneingeschränkten Freiraum bei der Entwicklung ihrer Figuren. So entstand aus Meret Becker (Happy Birthday Türke, Kleine Haie) die trotzige Mathilda, aus Hinnerk Schönemann (Kroko, Hab mich lieb!) der verträumte Streifenpolizist Bronski, aus Stefanie Stappenbeck (Barfuß, Dunkle Tage) die arbeitswütige Architektin Ali, aus Marek Harloff (Der Totmacher, Der Schattenmann) der erfolglose Hochzeitsfotograf David, aus Fritz Roth (Good Bye, Lenin!, Muxmäuschenstill) der taxifahrende Langzeitsingle Andi, aus Heidrun Bartholomäus (Vaterland, Der Tunnel) die einfühlsame Johanna und aus Marie-Luise Schramm (Mein Bruder, der Vampir, Bin ich sexy?) ihre aufmüpfige Tochter Mandy. Aus dem kunterbunten Figuren-Ensemble entwickelte die Regisseurin drei Handlungsstränge, die weitgehend autark nebeneinander her funktionieren und nur an bestimmten Stellen miteinander verknüpft sind. Bei diesem Prozess wurden die Schauspieler weitgehend außen vor gelassen, sie tappten ganz und gar im Dunkeln, was die eigentliche Handlung des Films anbelangte. Sie kamen morgens zum Set, wussten nicht, was sie erwartete, wem sie begegneten – ein Arbeiten auf unbekanntem Terrain, das allerhand improvisatorisches Geschick abverlangte. Daraus entstanden sind schließlich drei Pärchen – wobei zwei davon sich noch kennen lernen müssen und eins sich längst auseinander gelebt hat. Ob flüchtige Zufallsbekanntschaft oder Begegnung via Kontaktanzeige, der ersehnte Weg zur trauten Zweisamkeit ist so unangenehm steinig, dass es für die Beteiligten wohl gleich besser wäre, allein zu bleiben – wie auch der englische Titel Happy as One uns zu suggerieren vermag.

Die 35jährige Regisseurin, deren letzter Film ein Tatort war, legt uns mit Komm Näher einen sehr ambitionierten, unterhaltsamen Episodenfilm vor, mehr leider auch nicht. Episodenfilme bedienen sich der Rezeptur von Vorabendserien, nur das sie sich glücklicherweise nicht von einem Cliffhanger zum nächsten hangeln müssen oder durch nervige Werbeblöcke zersplittert werden. Sie präsentieren uns kleine Geschichtchen, mundgerecht und überschaubar. Doch was fürs Fernsehen gerade gut genug ist, muss fürs Kino noch lang nicht reichen. Einen Episodenfilm rein um die Themen Einsamkeit und Liebe kreisen zu lassen, wie es bei Komm Näher leider der Fall ist, reicht für die Leinwand eben nicht aus. Da müssen gewaltigere Themen heran, Themen die unter die Haut gehen, Themen mit Brisanz. Mit grandiosem Beispiel geht hier Paul Haggis L.A. Crash voran, der für sein packendes Episodendrama, dass sich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzt, soeben den Oscar in der Kategorie „Bester Film“ gewann.

Auch wenn Komm Näher kein großer Film ist und sich erst recht nicht mit Oscar-Preisträgern messen kann, zeichnet er sich jedoch auf kleiner Ebene aus, glänzt er durch einzelne charmante Szenen. Die wohl köstlichste davon ist der Ohnmachtsanfall des Polizisten Bronski als er Mathilde wieder sieht. Seine Reaktion ist so spontan und menschlich, so mitten aus dem Leben gegriffen, aber am Ende doch wieder nur vorstellbar auf der Leinwand. Genauso wie wir es uns vom Kino wünschen.

Komm Näher

Mathilda liebt laute Musik, Bronski ist Polizist, Andi fährt Taxi, Johanna putzt, Mandy pubertiert, Ali will beruflich hoch hinaus, David versagt auf der ganzen Linie.
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Meinungen

· 18.07.2006

Zu sagen, dieser Film reiche nicht fürs Kino und sei ein "kleiner" Film ist unerhört. Ehrlich gesagt finde ich das Gegenteil, dieser Film ist ein hervorragender Kinofilm und für mich ist er preisverdächtig. Er lief dieses Frühjahr im Kino als der Hauptdarsteller von Capote den Oscar gewann. Als ich das hörte verstand ich die Welt nicht mehr. Ein derart flache Darbietung wird in Hollywood mit dem Preis der Preise belohnt aber eine Meritt Becker, die in diesem Film alles gibt und eine unglaubliche Leistung vollbracht hat bekommt zusammen mit den anderen tollen Schauspielern von irgendwelchen Kritikern die Etikette Episodenfilm, der fürs Fernsehen reicht.

Lola · 02.06.2006

Feiner Film mit ausnahmslos herausragenden Schauspielern. Nah dran am Leben, packend, außergewöhnlich. Wenn Kino doch öfter so frisch und überraschend wäre.

Filmfreund · 01.05.2006

Ganz wunderbar. Für mich der beste deutsche Film dieses Jahres.

carsten · 20.04.2006

ein starker film. hier werden nähe, distanz und die probleme, die es damit gibt thematisch neu beleuchtet. schon in der annäherung keimt ein völlig neues leben.

lycia · 12.04.2006

hat durch die improvisation viele höhepunkte, an denen es knallt. beruehrend, tolle schauspielerische leistung. kann ich empfehlen.

· 14.03.2006

Der Film genügt dem Kino voll uns ganz - es wäre wünschenswert, wenn es solche Filme öfters gäbe.
Er ist spannend, amüsant und traurig zugleich- und führt mit einer Leichtigkeit durch schwere Kost - die ihn zu einer Bereicherung machen!