Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel (2012)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Aus der Not keine Tugend

Aron Lehmann, der Regisseur dieses Films, zeigt einen Regisseur namens Lehmann, der einen Film dreht. Eine opulente Verfilmung von Kleists Kohlhaas-Novelle soll es werden, ein groß ausgestattetes Historienepos – käme da nicht nach dem ersten Drehtag dieser Anruf. Die Produktionsfirma zieht sich aus dem Projekt zurück, alle Fördergelder sind gestrichen, der Regisseur steht mit seiner Vision da, aber ohne Geld.

Aber sein Wille ist stark. Und mit der rechten Portion Verve kann er die meisten seiner Crew halten für einen Film ohne Budget. Sie nisten sich im Kuhkaff Speckbrodi in Bayerisch-Schwaben ein, auf dem Boden im Festsaal der Dorfwirtschaft. Der beflissene Bürgermeister unterstützt nach Leibeskräften – schließlich ist ungefähr die gesamte Bevölkerung im dörflichen Laientheater engagiert. Und so geht der Dreh weiter: Imaginäre Waffen werden geschwenkt, statt auf Pferden wird auf Kühen geritten: Alle folgen Lehmanns Vision vom großen Kino, das er im Kleinen verwirklichen will.

Es ist halt einfach ungerecht: Nur weil ihm das Geld gestrichen ist, soll Lehmann auf sein Lebenswerk verzichten! Und er kämpft dagegen an, gegen alle Widerstände. Grad so wie sein Kohlhaas, der Pferdehändler. Dem ungerechterweise und willkürlich sein bestes Pferd beschlagnahmt wird, der sich an Kurfürst und Gericht wendet, der keine Unterstützung erfährt, der sich eine kleine Privatarmee zusammentrommelt, um gegen den Junker, seinen Erzfeind, vorzugehen. Ein Privatkrieg aus verletztem Gerechtigkeitsgefühl, eine Spirale von Wille, Obsession, Wahnsinn. In der sich auch Lehmann verfängt, der gegen die Windmühlen des Geldmangels ankämpft, ohne jede Aussicht auf Erfolg.

Lehmann folgt seinen inneren Bildern, einer schönen weißgekleideten Muse, die zu ihm spricht, die ihm den Film einflüstert – leider fallen mehr und mehr Mitstreiter ab, weil’s auf den Holzdielen im Gasthof ungemütlich ist, weil kein Geld da ist, weil einfach alles so lächerlich ist. In einer der schönsten Szenen führt Lehmann seine Schauspieler, den Bürgermeister sowie die freiwillige Feuerwehr auf einen Hügel, in eine Schlacht, die sein Kohlhaas im Film schlägt, mit nicht vorhandenen Waffen werden unsichtbare Feinde erschlagen, ein grotesker Tanz sich verrenkender Körper – wäre da nicht das Sounddesign, das die Geräusche der Schlacht liefert, und die gewaltige Historienfilmmusik, die sich Lehmann vorstellt, der seine Imagination auf die anderen überträgt, sie infiziert mit seinem Traum.

Aron Lehmann schafft so eine adäquate Kleist-Adaption: Indem er sowohl die Novelle schildert als auch die Verfilmung, die sich beide gegenseitig spiegeln. Und mit Robert Gwisdek hat er einen der interessantesten jungen Schauspieler engagiert, der seinem Film-im-Film-Lehmann Charme und Esprit, Verrücktheit und Getriebenheit verleiht, der mit dem Kopf durch die Wand will, ohne die Wand kaputt zu machen. Gedreht ist das Ganze wie von der Making-of-Kamera des Films im Film. So erreicht Aron Lehmann eine direkte Unmittelbarkeit, wenn’s um seinen Lehmann geht: weil er mit den Perspektiven spielt, den Blick von außen auf das Geschehen richtet und zugleich Lehmanns inneren Trieb, seinen radikalen Willen zeigt; einmal fängt die Making of-Kamera die Muse ein, die nur Lehmann sehen kann.

Dabei ist Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel eine Komödie. Eine witzige zumal, in der aus der Situation die komischen Momente geschöpft werden: wie Lehmann nach Kräften improvisiert, ohne dass daraus jemals ein Erfolg werden könnte; wie der Schauspielcoach auf der Dorfstraße den Bewohnern Schauspielschul-Sperenzchen aufdrängt; wie sein Hauptdarsteller das Reiten auf einem Ochsen übt, der nur ganz selten wütend wird.

Genau deshalb, weil die Situation an sich schon absurd ist, stören die forcierten Witze, die Aron Lehmann in seine Lehmann-Story einflicht. Man muss eben nicht zu einer Kuh „Pferd“ sagen, nur weil’s im Drehbuch und bei Kleist steht. Und man muss nicht einen der Laien mit heruntergelassenen Hosen zeigen, nur weil er den Kurfürsten spielt. Mit diesen Gags verliert Aron Lehmann den Bezug zu seinem Lehmann – weil aus der tragischen Figur, die an sich komisch wirkt, tatsächlich etwas Lachhaftes wird, der borniert und unflexibel sich nicht im mindestens auf die völlig verfahrene Situation einstellen kann. Lehmann – der Film im Film-Regisseur – steckt in einer beschissenen Lage, und Lehmann – der Film-Regisseur – lässt ihn auch noch (sprichwörtlich) auf einer Bananenschale ausrutschen.

Das ist schlicht zuviel der Lustigkeit. Zumal die Filmgeschichte lehrt, wie man aus dem Mangel die größte Tugend machen kann. Wenn keine Pferde da sind, sollte man keine Kühe nehmen. Sondern Kokosnüsse.
 

Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel (2012)

Aron Lehmann, der Regisseur dieses Films, zeigt einen Regisseur namens Lehmann, der einen Film dreht. Eine opulente Verfilmung von Kleists „Kohlhaas“-Novelle soll es werden, ein groß ausgestattetes Historienepos – käme da nicht nach dem ersten Drehtag dieser Anruf. Die Produktionsfirma zieht sich aus dem Projekt zurück, alle Fördergelder sind gestrichen, der Regisseur steht mit seiner Vision da, aber ohne Geld.

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Meinungen

Moritz · 11.02.2023

Ich finde es großartig wie der Film mit der Frage spielt, ob und wann man das ernst nehmen soll oder nicht. Der Film lässt die Zuschauer mit der Frage, ob es eine komöd ist oder nicht.

Jenny Bauer Jones · 15.09.2013

Die letzten beiden Absätze habe ich auch mit in den Film genommen und bin nun, wie Thea, der Meinung, dass sie zum einen nicht zu diesem Film passen und zum anderen nicht zu der restlichen Rezension. Diesen Film als Komödie einzuordnen und "Lustigkeit" in seinen tragisch-komischen Momenten zu sehen, wird der Vielschichtigkeit des Films nicht gerecht. Es geht nicht nur um die Frage des Filme machens, der wir als Zuschauer durch die Kameraführung nicht entkommen können. Und auch nicht nur um die fiktive Streichung der Produktionsgelder, die eine exakte Adaption von "Kohlhaas" unmöglich macht. Sondern es geht glücklicherweise auch um die dritte Schicht, die Imagination, die Vorstellungskraft. Wir Zuschauer sehen die Leidenschaft und Mühen der Schauspieler, in ihrer Fantasie Kleists Geschöpfe in sich aufzubauen. Und wir Zuschauer bekommen die Einladung, uns im Kopf den Platz zu nehmen und mitzumachen. Ich bin nachhaltig begeistert aus dem Kino gegangen - und die Kühe müssen sein! Schon damals waren die Kokosnüsse anstatt der Pferde eine unglückliche Lösung...

Thea · 30.08.2013

bis zum vorletzten Absatz bin ich voll dabei - dann steig ich aus
und finde trotzdem: es war ein klasse Film - sehenswert -
gelungen - es stört nichts - ist ja auch nicht Kleist

@Fanny · 15.08.2013

Und wie wäre der Film denn dann zu verstehen? Wäre schon interessant zu wissen...

Fanny · 15.08.2013

Also - dieser Rezensent hat den Film auch nicht einen Zentimeter begriffen.