Klaus Kinski

Eine Legende, ein Urvieh, ein Charaktermonster…

„Sie sind der Gegensatz des Roboters, des programmierten Computers, der Metall Struktur und des Stahlbetons. Ja, Sie leben wie ein freies Tier. Sie sind das Menschtier, das man verleugnet hat, um sich der Maschine zu unterwerfen. Sie sind das pulsende Leben, das wir vergessen haben. Sie haben die Mähne des Löwen, den Blick des Adlers, das Lächeln des Wolfes, die rauhe Schönheit des tobenden Meeres und die wilde Hässlichkeit der schmelzenden Lava, blutrot, wie ein blutendes herz, am Abhang des düsteren Vulkans. Sie sind der Mann, von dem man immer wieder sprechen wird, aber an den sich niemand mehr erinnern kann … die Legende, Mensch zu sein …“ (Anonymer Brief an Kinski, Paris 1989)
Cannes, im Mai 1988, auf den Filmfestspielen. Die Journalisten sitzen im prunkvollen Marmorsaal des Hotel Carlton und warten auf Klaus Kinski. Der kommt mit 20-minütiger Verspätung, im weißen, fleckigen Overall, schulterlange, rote Mähne, eine gerade 19jährige, schwangere italienische Schönheit im Schlepptau, grinst verächtlich in die Menge, wirft nach 10 Minuten sein mit Vittel gefülltes Glas durch den Raum mit der Warnung: „Noch eine so dämliche Frage, und ich beende hier auf der Stelle diese Scheißkonferenz!“ Fünf Minuten später war die Konferenz tatsächlich zu Ende; eine vorlaute italienische Klatschreporterin hatte sich nach den Heiratsplänen zwecks seiner ominösen, blutjungen Neuanschaffung erkundigt… So war er, der Kinsk imit Leib, Leben und Lastern: Ein deutscher Mythos, der keine Rollen einfach nur spielte, sondern die Rollen lebte.

Klaus Kinski zählt zu den grellsten und gleichzeitig umstrittensten Persönlichkeiten der Filmgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Biographie liest sich wie ein schmuddeliger Erotik-Roman im Schauspielermilieu, wie das Psychogramm eines gefallenen Engels, eine derbe Kampfansage an Spießbürgertum und Ignoranz.

Kinski wächst in ärmlichen Verhältnissen in Polen auf und emigriert mit seiner Familie als Kind nach Deutschland. Nach dem Krieg hat er vereinzelt Theater- und Filmengagements. Zwischen 1952 und 1971 heiratet er drei Frauen und hat mit jeder ein Kind. Die Ehe hindert ihn jedoch nicht, sich immer wieder in Affären mit Schauspielerkolleginnen und flüchtigen Bekanntschaften zu verstricken. Der stetige Partnerwechsel und die Besessenheit von weiblichen Reizen sind wohl auch die Gründe für die häufigen Scheidungen.

Bretter, die das Anti-Leben bedeuten
Bis Ende der 50er Jahre spielt er an zahlreichen europäischen Bühnen Theater, rezitiert Gedichte und bespricht unzählige Schallplatten. Die Schauspielerei lässt ihn einfach nicht los. Bis zu seinem Tod dreht er unentwegt Filme, meist achtlos ihrer Qualität und nur des Geldes wegen. In der Zeit seines Schaffens ist er ein ruheloser Wanderer zwischen den wahnsinnigen Welten. Er wechselt seinen Wohnsitz (Berlin, München, Rom, Paris) wie andere die Unterwäsche und siedelt sich in den 80er Jahren in Kalifornien an, wo er 1991 recht einsam und verlassen in Lagunitas stirbt.

Trotz allem künstlerischen Schindluder, welches Kinski offensichtlich mit seinem unzähmbaren Schauspieltalent, und vor allem mit der eigenen Gesundheit trieb, kann er auch heute noch als einziger deutscher Star im klassischen Sinne des Enfant Terribles zählen. Im Jahr 2006 veröffentlichte die BBC ihre Rangliste der 50 größten Schauspieler aller Zeiten. Klaus Kinski landete auf Platz 45. Es war kein weiterer Deutscher in der Auswahl.

Der Film-Rächer von der traurigen Gestalt
Ja, er war vielleicht der der größte Schauspieler aller Zeiten. Nicht, weil er einem breiten Publikum in den 60er Jahren als dämonischer Schurke in Edgar-Wallace-Filmen bekannt geworden war, oder in den 50ern Fan-Gemeinde durch seine kongenialen Interpretationen von Villon-Balladen, erbrachte: Seine reifsten schauspielerischen Leistungen enstanden in den fünf Filmen unter der Regie von Werner Herzog.

In dem Dokumentarfilm Mein liebster Feind schildert Werner Herzog das Verhältnis zwischen ihm und Kinski. Herzog spricht in dem Film davon, dass Kinski ihn einerseits verachtete und bei Dreharbeiten gemeinsamer Filme oftmals demütigte, bis Herzog fast in Tränen ausbrach. Andererseits entwickelte sich in ihrem Verhältnis — laut Herzog — eine kreative und künstlerische Kraft, die sich auf Filme wie Aguirre, der Zorn Gottes (1972), Nosferatu – Phantom der Nacht (1978), Woyzeck (1978), Fitzcarraldo (1981) und Cobra Verde (1987) auswirkte.

Die Unzertrennlichen
Viel Liebe brauchte indes gerade Werner Herzog in seiner filmischen Photosynthese zu seinem Sorgenschauspieler. Spiegel-Kritiker Helmut Karasek fabuliert: „Fünfmal haben Werner Herzog und Klaus Kinski zusammen einen Film gemacht, den ersten, Aguirre, der Zorn Gottes, 1972, den letzten, Cobra Verde, jetzt. Sie drehen mit Vorliebe in abgelegenen tropischen Gemeinden. Weil sie da ihre Kräche wie ein eingeübtes Ehepaar, vor staunenden Statisten der Dritten Welt und herbeizitierten schwitzenden Journalisten, spektakulär wie einst die Taylor und der Burton, veranstalten können. Kinski zetert und schäumt, verlangt nach Extravaganzen, Herzog duckt sich und genießt, die Crew leidet ängstlich; Herzogs Bruder, der Produzent Lucki Stipetíc, murmelt: Was das alles wieder kostet!“

Was das wieder kostet, braucht sich nicht nur der eingefleischte Kinski-Fan zu sorgen, denn die Leipziger Kinowelt bietet mit der Klaus Kinski / Werner Herzog Exklusiv Edition eine einzigartige Sammlung. Gleich sechs DVDs mit Aguirre, der Zorn Gottes, Nosferatu, Woyzeck, Fitzcarraldo, Cobra Verde, Die Last der Träume und Mein liebster Feind im dezenten Schuber an. Das garantiert 12 Stunden intensivste Beschäftigung für 49.95 Euro. Kinski meets Herzog: Im Verlauf ihrer Hassliebe schreiben der geniale Regisseur und sein egomanischer Star Filmgeschichte. Aus ihrer Zusammenarbeit entstehen nach immensen Wutausbrüchen und Mordversuchen Glanzlichter des deutschen Autorenfilms.

Acht Jahre nach dem Tod seines „liebsten Feindes“ geht der Regisseur dem Mythos Kinski nach, reist zurück an die Drehorte in Peru und präsentiert unglaubliche Szenen zwischen zwei Besessenen: „Ich glaube, man kann sich umbringen, wenn man einfach aufhört zu atmen“, philosophierte Kinski am Schluss von Ich brauche Liebe. Aber irgendwie hat dieser tolle Antityp nie aufgehört zu atmen, geschweige denn, zu leben…

(Jean Lüdeke)

Klaus Kinski

Sie sind der Gegensatz des Roboters, des programmierten Computers, der Metall Struktur und des Stahlbetons. Ja, Sie leben wie ein freies Tier.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen