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Deniz Gamze Ergüven befasst sich nach ihrem gefeierten Debüt „Mustang“ mit den Unruhen in Los Angeles im Jahre 1992 und mixt dabei diverse Tonlagen.

Kings (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Eine Stadt im Ausnahmezustand

Mit ihrem Coming-of-Age-Drama „Mustang“ (2015) gelang der türkisch-französischen Filmemacherin Deniz Gamze Ergüven ein einfühlsames Porträt 5 junger Schwestern aus einem kleinen Dorf in der Türkei. Das Werk wurde vielfach ausgezeichnet und war zudem als bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert.

Bereits ein paar Jahre zuvor hatte Ergüven das Skript zu Kings verfasst – über eine alleinerziehende afroamerikanische Frau im Bezirk South Central Los Angeles, die mit ihren (Pflege-)Kindern Anfang der 1990er Jahre in die städtischen Unruhen gerät, die sich nach dem gerichtlichen Freispruch der 4 Polizisten ergaben, welche den Afroamerikaner Rodney King mit Stockschlägen und Fußtritten brutal traktiert hatten und dabei unwissentlich gefilmt wurden.

Erst nach dem Erfolg von Mustang war es Ergüven möglich, ihr Projekt zu finanzieren; überdies konnte sie die Stars Halle Berry und Daniel Craig als Cast-Mitglieder gewinnen. Bei der Premiere auf dem Toronto International Film Festival im September 2017 wurde das historische Drama jedoch von der Kritik eher negativ aufgenommen. In Teilen lässt sich dies durchaus nachvollziehen; der häufige Wechsel der Tonlage irritiert, die Ereignisse folgen so dicht aufeinander, dass man fast den Überblick verliert, und die Zeichnung der Figuren wirkt skizzenhaft. Dennoch bringt Ergüven als Drehbuchautorin und Regisseurin auch einige sehr bemerkenswerte Momente hervor – und liefert eine ungewöhnliche Schilderung einer innerstädtischen Krisensituation.

Neben der unverhältnismäßigen Polizeigewalt gegen King sowie dem unbegreiflichen Freispruch der 4 Beamten thematisiert Kings zu Beginn einen weiteren Vorfall, der das Unverständnis vieler afroamerikanischer Menschen in South Central gegenüber dem Staat steigerte: Die 15-jährige Afroamerikanerin Latasha Harlins wurde im März 1991 (knapp 2 Wochen nach dem Rodney King Beating) von der 51-jährigen, aus Südkorea stammenden Besitzerin eines Lebensmittelladens erschossen, weil diese glaubte, die Jugendliche habe eine Flasche Orangensaft stehlen wollen. Die Frau kam für ihre Tat nicht ins Gefängnis, sondern wurde von einer (weißen) Richterin lediglich zu 5 Jahren Haft auf Bewährung, einer Geldstrafe von 500 US-Dollar sowie gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

Ergüven fängt in ihrem Werk in einer Mischung aus Archivmaterial und Spielszenen treffend ein, wie die Ereignisse um King und Harlins sowie deren mediale Vermittlung die Frustration in South Central erhöhen und den Alltag der Leute begleiten. Die Situation der Protagonistin Millie Dunbar (Berry) wird ebenfalls überzeugend bebildert: Die alleinstehende Frau kümmert sich um 8 Kinder, ist aber immer noch bereit, weitere aufzunehmen, um diese von der Straße zu holen. Einen Hintergrund liefert das Skript indes nicht; es lässt sich vermuten, dass einzig der älteste Sohn Jesse (Lamar Johnson) Millies eigenes Kind ist. Dieser wird durch seine rebellische Mitschülerin Nicole (Rachel Hilson) bald in Schwierigkeiten hineingezogen, während Millie nach dem Ausbruch der Unruhen nach 3 ihrer anderen Söhne sucht und dabei Hilfe von ihrem mürrischen Nachbarn Obie Hardison (Craig) erhält.

Der Erzählstrang um Jesse und Nicole bietet einige starke Szenen; bereits die Einführung der renitenten Nicole in die Handlung ist vor allem dank Rachel Hilsons lebhaftem Spiel ein eindrucksvoller Moment. Ebenso verkörpert Lamar Johnson den Teenager, der als großer Bruder permanent Verantwortung übernehmen muss und sich von Nicoles aufsässiger Art angezogen fühlt, überaus glaubwürdig. Wenn Jesse und Nicole im Verlauf der Ausschreitungen mit einem verletzten Gleichaltrigen durch die nächtliche Stadt fahren und dabei der Score von Nick Cave und Warren Ellis zum Einsatz kommt, erinnert dies auf atmosphärischer Ebene an diverse Filme von John Carpenter aus den 1970er und 1980er Jahren. Diese artifizielle Darstellung ist überraschend – vermag aber zu funktionieren.

Die Passagen, die sich Millie, Obie und den kleineren Kindern widmen, sind hingegen oft weniger stimmig. Zwar vermeidet es Ergüven, Obie zu einem white savior zu stilisieren; gleichwohl erscheint die recht unvermittelt einsetzende Romanze zwischen Millie und Obie (inklusive einer erotischen Fantasie Millies) wie ein Fremdkörper in dieser Geschichte – und Obie bleibt ein ziemlich unausgereifter Charakter. Eine Sequenz gegen Ende, in welcher die beiden mit Handschellen an einen Laternenmast gekettet sind und sich rasch befreien müssen, würde man eher in einer Actionkomödie erwarten. So passt in Kings insgesamt nicht alles zusammen; allerdings wird durch Ergüvens Erzählweise auch deutlich, dass die Absurdität des Alltags sowie Empfindungen wie Begehren nie gänzlich verschwinden – selbst wenn das Umfeld plötzlich in einen Ausnahmezustand gerät.

Kings (2017)

Los Angeles South Central im Jahr 1992: Liebevoll kümmert sich die alleinerziehende Miliie um die acht Kinder, die in ihrem Haus leben. Doch dann brechen nach dem Bekanntwerden der Misshandlung von Rodney King durch vier Polizisten und deren Freispruch Unruhen aus und Millie muss dafür sorgen, dass die Kinder den Weg nachhause durch dieses Chaos finden. Hilfe bekommt sie dabei ausgerechnet von Obie, dem einzigen Weißen in der Gegend.

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