King Cobra (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Sex, Lügen und Webvideos

Dass das Leben die verrücktesten Geschichten schreibt, ist wohl ein Allgemeinplatz. Dass jedoch aus diesen Geschichten trotz des vorhandenen Potenzials nicht immer ebenso aufregende Stoffe fürs Kino werden, zeigen zahlreiche schwache Biopics, die der wilden, wüsten Realität oft nicht gerecht zu werden vermögen. Mit King Cobra gelingt es dem Regisseur Justin Kelly indes, die wahre Begebenheit des Mordes an Bryan Kocis im Jahre 2007 in Pennsylvania in eine adäquate fiktionalisierte Form zu bringen, indem er den Vorfällen und Beteiligten die Ecken und Kanten sowie das Ambivalente und Kuriose lässt und mit Verve darin eintaucht. Sein Werk – basierend auf dem Buch Cobra Killer: Gay Porn, Murder, and the Manhunt to Bring the Killers to Justice von Andrew E. Stoner und Peter A. Conway, welches Kelly gemeinsam mit D. Madison Savage adaptierte – ist kein schnörkelloser True-Crime-Thriller, sondern eine im besten Sinne neugierige Milieubetrachtung, die das erforderliche Interesse an ihren Figuren sowie deren Motivationen und psychologischen Konstitutionen spürbar macht.

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Erzählt wird die Coming-of-Age-Story des jungen Sean (Garrett Clayton), der aus San Diego anreist, um den Fotografen und heimlichen Pornoproduzenten sowie -regisseur Stephen (Christian Slater) zu treffen. Dieser hat in seinem suburbanen Heim ein Internetunternehmen namens Cobra Video gegründet – und überzeugt Sean nach ersten Probeaufnahmen davon, sein Talent nicht länger mit einem schlecht bezahlten Job zu verschwenden, sondern für 1000 Dollar pro Film für ihn zu arbeiten. Sean zieht bei Stephen ein und wird unter dem Künstlernamen „Brent Corrigan“ rasch zum neuen Star der schwulen Internetporno-Szene. Als er sich von Stephen eingeengt fühlt, verlässt er dessen Haus – er muss allerdings feststellen, dass Stephen sich den Namen „Brent Corrigan“ markenrechtlich gesichert hat. Um Stephen unter Druck zu setzen, macht Sean bekannt, dass er zu Beginn seiner Tätigkeit für Cobra Video erst 17 Jahre alt und somit minderjährig war; er hatte Stephen diesbezüglich angelogen. Das Duo Harlow (Keegan Allen) und Joe (James Franco), welches als Viper Boyz ebenfalls zu Ruhm im Netz kommen will und dringend Geld braucht, möchte mit Sean einen Film drehen – und ist bereit, alles dafür zu geben, dass Sean dies unter seinem etablierten Künstlernamen tun kann.

In einer Mischung aus Satire, Erotikfilm, Neo noir und Melodram widmet sich Kelly dieser Handlung und unterlegt seine Bilder mal mit eingängigem Synthie-Pop, mal mit klassischen Tönen. Zu den Stärken von King Cobra gehört, dass Drehbuch, Regie und Cast sämtliche Figuren bei aller Überzeichnung und Bizarrerie des Milieus ernst nehmen. Gewiss gibt es in einzelnen Szenen auch Gags auf deren Kosten; dennoch kommt es nie zum Verrat an ihnen. Hauptdarsteller Garrett Clayton, der in den USA aufgrund der Disney-Channel-Produktion Teen Beach Movie (2013) ein Jugendidol ist, nutzt seine Chance zum Imagewechsel: Er lässt erkennen, dass Sean durch seinen Wunsch, bekannt zu werden, leicht verführbar und von den Ereignissen um ihn herum alsbald überfordert ist; er interpretiert seine Rolle aber nicht als naives Opfer der Umstände, sondern gibt Sean Entschlossenheit und Courage. Noch eindrücklicher ist indes Christian Slater. Als semiprofessioneller Pornoproduzent, der mit Vorliebe Frédéric Chopin hört und vor dem Zubettgehen eine grünliche Gesichtsmaske gegen Alterserscheinungen aufträgt, begibt sich Slater einerseits in Camp-Gefilde; andererseits zeigt er Stephen als tragische Person, die schmerzliche Jugenderfahrungen machen musste und das Gefühl sucht, begehrt zu werden. Die stimmige Andeutung eines biografischen Hintergrundes funktioniert auch bei den zwei schrillsten Gestalten des Werks: Der in der medialen Welt zweifellos überpräsente James Franco, der schon in Kellys Vorgängerarbeit I Am Michael (2015) mitwirkte, und sein Gegenüber Keegan Allen (Pretty Little Liars) werfen sich mit sichtlicher Freude am overacting in ihre Verkörperungen von Joe und Harlow und deren amour fou. Zwischen gestählten Muskeln, sonnengebräunter Haut und einem Faible für schnelle Sportwagen bleibt der Raum, diesen beiden instabilen Hedonisten die nötige Tiefe zu geben und deren Vergangenheit zu beleuchten. Zu den Klängen von Franz Schubert gesteht Kelly dem Paar gegen Ende einen herrlich sentimentalen Abschied unter gewaltigem Polizeiaufgebot zu – und seinen zwei Darstellern damit eine von beiden dankbar angenommene Möglichkeit, die ganz große Gefühlsoper darzubieten.

Auch in den Nebenparts setzt sich diese Stärke fort: Als Seans Mutter, die zunächst völlig clueless ist, tritt die ewig jugendlich wirkende Alicia Silverstone in Erscheinung; als Stephens ebenfalls ahnungslose Schwester taucht der Eighties-Jungstar Molly Ringwald (Pretty in Pink) auf. Kelly offeriert diesen beiden Schauspielerinnen, die seit ihren frühen Showbiz-Erfolgen kaum noch in wirklich guten Rollen auf der Leinwand zu sehen waren, in einigen wenigen, aber prägnanten Passagen eine Bühne für schöne und zum Teil wunderbar melodramatische Momente, in denen das Herz von King Cobra besonders laut schlägt. Und so erweist sich dieser Film, der eine albern bis zynisch daherkommende Parade der Zerr- und Spottbilder hätte werden können, als erstaunlich einfühlsamer und dennoch unterhaltsamer Genre-Mix, der sein engagiertes Ensemble glänzen lässt.
 

King Cobra (2016)

Dass das Leben die verrücktesten Geschichten schreibt, ist wohl ein Allgemeinplatz. Dass jedoch aus diesen Geschichten trotz des vorhandenen Potenzials nicht immer ebenso aufregende Stoffe fürs Kino werden, zeigen zahlreiche schwache Biopics, die der wilden, wüsten Realität oft nicht gerecht zu werden vermögen. Mit „King Cobra“ gelingt es dem Regisseur Justin Kelly indes, die wahre Begebenheit des Mordes an Bryan Kocis im Jahre 2007 in Pennsylvania in eine adäquate fiktionalisierte Form zu bringen, indem er den Vorfällen und Beteiligten die Ecken und Kanten sowie das Ambivalente und Kuriose lässt und mit Verve darin eintaucht.

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