Kid-Thing

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Kein Kinderspiel

Womöglich täuscht der Eindruck, aber er drängt sich doch auf: Dass im amerikanischen Independent-Kino der vergangenen Jahre vor allem das Leben in den Südstaaten immer wieder als einsames, menschenfeindliches Dasein beschrieben wird, dessen Trost- und Ausweglosigkeit selbst den aus der sicheren Entfernung des Kinosessels zuschauenden Europäer in die Depression reißen möchte.
So ist denn auch die Welt in Kid-Thing von David Zellner, der im Forum der Berlinale seine Europapremiere erfährt, öd und voll. Der Himmel mag weit sein, die Wolken ziehen da zügig vorbei, aber das verbirgt nur mühsam wie ausweglos und gleichförmig selbst die Natur zu sein scheint, die immergleichen Straßen, Geschäfte und Weiden. Dazwischen liegt jede Menge Wohlstandsmüll herum, die Menschen kümmern sich hier nicht um die Dinge, die sie in die Gegend stellen.

Mittendrin die zehnjährige Annie (Sydney Aguirre), um die sich auch niemand recht kümmern will. Sie scheint gelegentlich reifer, wenigstens nachdenklicher als ihr Vater Marvin (Nathan Zellner, Bruder des Regisseurs und auch für die Kameraführung verantwortlich); aber schon dieses Kind weiß nichts rechtes mit der Welt, den Dingen und Menschen darin anfangen zu können: In einem Schuppen wirft sie Bücher und altes Spielzeug zu Boden, sie zerreißt einen morschen Baumstamm, knipst einem Busch mit einer Zange die Dornen ab und zerschlägt schließlich einem anderen Kind die Geburtstagstorte.

All das findet fast ohne Gespräche statt: Im ländlichen Texas von Annies Welt sind die Gespräche verstummt oder fast bedeutungslos, die Menschen körperlich oder geistig versehrt. Die Abstumpfung ist total, und Zellner rückt dafür nicht, wie es ja populär wäre, Medienkonsum oder ähnliches in den Vordergrund, im Gegenteil: Die Menschen wissen schlichtweg nichts miteinander anzufangen. Annies Tage vergehen in ziellosem Herumwandern durch die Umgebung — die Schule, behauptet sie, ist wegen eines Lecks in einer Gasleitung geschlossen.

Bei einer ihrer Wanderungen stößt Annie schließlich mitten im Wald auf ein Loch im Boden, aus dem eine Frau um Hilfe ruft — Esther (Susan Tyrrell) ist dort hineingestürzt und nun auf Annies Hilfe angewiesen. Das Mädchen aber will oder kann ihr zunächst nicht helfen, bringt dann aber Sandwiches, Getränke und Funksprechgeräte. Esther wird schließlich zu ihrer wichtigsten Gesprächspartnerin im Film — sie weiß nicht einmal, wie sie ihrem Vater davon erzählen sollte, was ihr da im Wald widerfahren ist.

Die freudige Überraschung des Films ist natürlich die junge Aguirre, die ihrer Annie ein leeres Gesicht und gelegentlich wohldosierte Andeutungen von Emotion verleiht und somit die Grundstimmung des Filmes effektiv unterfüttert. Zugleich wirken die stellenweise etwas erratische Musik und die doch zu stark verlangsamte Erzählweise dem wieder deutlich entgegen.

Aber vielleicht gehört die Ausweglosigkeit und Trägheit der Erzählung genau dazu, dass Zellner hier wirklich keine Hoffnung mehr sieht: Das Loch, aus dem Esther spricht, in der Annie abwechselnd teuflische Versuchung und Freundin sieht, das ist natürlich längst ein Loch in ihrer Seele, das nicht mehr verschwinden wird, im Gegenteil: Es wird sie vertilgen, und mit ihr die ganze Welt, aus der sie kommt.

Kid-Thing

Womöglich täuscht der Eindruck, aber er drängt sich doch auf: Dass im amerikanischen Independent-Kino der vergangenen Jahre vor allem das Leben in den Südstaaten immer wieder als einsames, menschenfeindliches Dasein beschrieben wird, dessen Trost- und Ausweglosigkeit selbst den aus der sicheren Entfernung des Kinosessels zuschauenden Europäer in die Depression reißen möchte.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen