Kekexili: Mountain Patrol

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Das schöne Mädchen

In Lhasa am Fuß des Potala-Palast, dem einstigen Sitz des Dalai Lama, feierte die Volksrepublik China kürzlich den 40. Jahrestag der Gründung der „Autonomen Region Tibet“. Die von weither angereisten chinesischen Funktionäre priesen die großartigen wirtschaftlichen Fortschritte auf dem „Dach der Welt“ dank Chinas Modernisierungspolitik. Trotz dieser Maßnahmen ist Tibet eine der ärmsten Regionen der Volksrepublik. 40 Prozent der Tibeter leben noch heute ohne Strom. Das betrifft vor allem die Menschen, die weitab von der Stadt in ländlichen Regionen leben. In solch eine Region führt uns Lu Chuan mit seiner zweiten Regiearbeit Kekexili. Er nimmt uns mit auf eine atemberaubende Expedition in ein Gebiet, das fern ab vom Wirtschaftsboom Chinas liegt und in den Wirtschaftsvisionen der Zentralregierung nicht vorkommt. Kekexili gilt als das größte unbewohnte Gebiet Chinas und befindet sich im Grenzgebiet der chinesischen Provinz Qinghai und den autonomen Gebieten Xinjiang und Tibet. Es liegt auf einer Höhe von durchschnittlich 4600 Metern und erstreckt sich auf einer Fläche von 45000 Quadratkilometern. Rein die gedankliche Vorstellung dieser Gefilde verursacht Schwindelgefühle. Filme, die in solchen Landschaften entstehen, können nur existentieller Natur sein und genau das war Chuans Intention. In einem Interview erklärt er, dass er einen Film über das Überleben machen wollte.
Die auf einer wahren Begebenheit basierende Geschichte handelt von einer freiwilligen Patrouille, die sich dafür einsetzt, die vom Aussterben bedrohte tibetische Antilope vor Wilderen zu schützen. Der Film beginnt mit einer tibetischen Trauerzeremonie für ein verstorbenes Patrouillenmitglied. Zeuge der Leichenfeier wird Ga Yu (Zhang Lei), ein Journalist aus Peking, der entschlossen ist, dem mysteriösen Verschwinden des Verstorbenen und der todesmutigen Arbeit der Schutztruppe auf den Grund zu gehen. Ex-Militär und Anführer der Gruppe Ri Tai (Duo Bujie) ist zunächst gegen Ga Yus Begleitung, lässt sich aber umstimmen. Mit der daraufhin einsetzenden zweiwöchigen Verfolgungsjagd versetzt uns der Film so sehr in Spannung und Entsetzen, dass wir doch immer wieder froh sind, das Spektakel vom warmen Kinosessel aus miterleben zu können. Ein Kampf um Leben und Tod zwischen den Männern der Schutztruppe und den Wilderen, die ihr täglich Brot mit dem illegalen Handel teurer tibetischer Antilopenfelle verdienen. Sie haben ganze Arbeit geleistet und sind nur schwer zu bekämpfen. Die einstige Population von einer Million Antilopen ist bereits auf 10000 geschrumpft. Die Region Kekexili wird in der mongolischen Sprache als „schönes Mädchen“ bezeichnet und das ist sie auch. Atemberaubend schön, so sehr, dass es weh tut. Die harten Bedingungen, die Kälte, die Schneestürme machen das menschliche Dasein dort fast unmöglich.

Der Film Kekexili ist eine spannende und gut konstruierte Geschichte mit glaubwürdigen Akteuren. Duo Bujie ist als Anführer der Patrouille ein großartiger Schauspieler. Hier stimmt jedes Wort, jeder Blick, jede Geste. Eine große Bereicherung sind die vielen Einheimischen, die Chuan als Laien castete. Während die Schauspieler und Crew des Films oft vor dem Aufgeben standen, waren es besonders die Ortsansässigen die zum Weitermachen aufmunterten. Der Film entstand unter extremen Produktionsbedingungen. Vor allem die unangenehme Höhenkrankheit machte dem Produktionsteam arg zu schaffen. Aber auch die kaum auszuhaltende Kälte und die bescheidenen Unterkünfte erschwerten die Produktion. Lu Chuan und sein Team kämpften ihren eigenen Kampf um Leben und Tod. Dabei heraus gekommen ist ein filmisches Ereignis, wie man es selten im Kino zu sehen bekommt.

Kekexili lief im Forum der diesjährigen Berlinale. Bereits im Herbst des Vorjahres reüssierte er in chinesischen Kinos. Dass ein Film erst in China und dann im Ausland erfolgreich ist, war bislang unmöglich. Kekexili ist damit der erste Film, der von den Chinesen offiziell genehmigt im eigenen Land erfolgreich lief und anschließend auf ein ausländisches Filmfestival eingeladen wurde. Ein politisch korrekter Film, entstanden in der staatlich kontrollierten Filmwirtschaft, gebeugt vor der Zensur der roten Funktionäre. Lu Chuan bewegt sich damit zwischen dem offiziell propagandistischen und dem systemkritischen Untergrundfilm. Er zählt zu der 7. Generation chinesischer Filmemacher, gefolgt auf die 6., die sich faktisch nur im Untergrund abspielte. Ning Hao, dessen Film Mongolian Ping Pong demnächst in den deutschen Kinos anläuft, ist ein weiterer Vertreter Lu Chuans Generation. Laut Ning Hao ist, das Kunststück, das die 7. Generation in ihren Filmen vollbringt, „gefesselt zu tanzen“.

Die Feierlichkeiten vier Jahrzehnte Herrschaft über Tibet haben so gut wie unter Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit stattgefunden. Lu Chuan zeigt uns seine Sicht auf Tibet, zeigt sie der ganzen Welt und das ganz offiziell. Lu Chuan ist nicht nur Chinas, sondern auch unsere große Kinohoffnung aus dem Reich der Mitte.

Kekexili: Mountain Patrol

In Lhasa am Fuß des Potala-Palast, dem einstigen Sitz des Dalai Lama, feierte die Volksrepublik China kürzlich den 40. Jahrestag der Gründung der „Autonomen Region Tibet“.
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Meinungen

L · 11.12.2005

Ein Mensch , der kein Elend kennt , kann - darf diesen Film nicht bewerten.Er wird nur Ekel empfinden , ein Mensch zu sein.

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