Kedi (2016)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Vom subversiven Potenzial der Katze

Früher habe es, erklärt ein alter Mann, auf jedem Schiff eine Katze gegeben, die an Bord alles Böse absorbierte. Vielleicht übernehmen herumstreunende Straßenkatzen die gleiche Funktion. Vielleicht sind sie essentiell für das Gleichgewicht in einer Stadt, in der unzählige Menschen, Religionen, Lebensstile, ja, buchstäblich zwei Kontinente aufeinanderprallen. Handelsschiffe aus ganz Europa bescherten der Katzenpopulation in Istanbul eine ungeheure Rassenvielfalt. Später gab es in jedem Haushalt eine Mieze, um die Ratten aus der Kanalisation fernzuhalten. Das Resultat ist eine Stadt voller Straßenkatzen, jedem Einwohner vertraut und jedem Touristen sofort auffällig. Einen richtigen Besitzer haben die Tiere nicht, dafür suchen sie sich die Menschen aus, bei denen es Futter gibt, bei denen sie sich ihre Portion Liebe abholen. Die Regisseurin Ceyda Torun folgt den kleinen Tigern in ihrem Dokumentarfilm Kedi — Von Katzen und Menschen auf Augenhöhe, manchmal nimmt sie auch ihre Perspektive ein, streicht mit der Kamera selbst durch Gassen, über Plätze und Hinterhöfe.

Alle sind sich einig: die Katzen in Istanbul haben eigene Persönlichkeiten. Da ist die Rotweiße in der überfüllten Einkaufsstraße, die seit der Geburt ihrer Jungen zur Jägerin geworden ist. Der Kater, der bei einem Restaurant in Wassernähe als Chefrattenbekämpfer seine allabendliche Ration verdient. Eine kratzbürstige Schwarzweiße wird von den Leuten die „Psychopathin des Viertels“ genannt. Ein schwarzer Kater klettert auf einen Balkon und steht dort mit erhobener Pfote an der Tür, als klopfe er höflich an. Ein dicker grauer Kater kratzt jeden Tag zur gleichen Zeit am Fenster eines Restaurants, wo sein Lieblingsfutter auf ihn wartet. Kedi — Von Katzen und Menschen ist voll von diesen kleinen Beobachtungen und Niedlichkeiten. Aber der Film ist mehr als ein quasi touristisches Postkartenmotiv von possierlichen Tierchen vor pittoresker Kulisse. Es kommen auch die Menschen zu Wort, die wie selbstverständlich für die Katzen sorgen, ihnen Futter bringen, auf eigene Kosten Tierarztrechnungen begleichen. Manche kümmern sich, weil die Tiere, wie sie sagen, anders als Hunde von der Existenz Gottes wüssten. Manche hatten spirituelle Erlebnisse mit Katzen, andere therapieren sich durch den Umgang selbst, lernen so mit dem Tod umzugehen. Wieder andere wollen den Schädlingsbekämpfern etwas zurückgeben oder finden schlicht, die Katzen machten ihr Leben schöner.

Die Symbiose zwischen Mensch und Katze nimmt aber manchmal auch merkwürdige Ausmaße an. Über einer Tränke angebracht filmt Torun ein Schild mit der Aufschrift: „Wer diesen Eimer stiehlt, wird in seinem nächsten Leben verdursten.“ Überhaupt stellt sich von Zeit zu Zeit das Gefühl ein, den Leuten seien die Kätzchen lieber als Ihresgleichen. Sie loben ihre Fähigkeiten, die Eleganz. „Ihre Eigenschaften würden auch vielen Menschen gut stehen,“ findet eine junge Künstlerin. Wenn die Menschen so reden, meint man eine Sehnsucht herauszuhören. Nach dem subversiven Potenzial der Katzen, die sich so konsequent Konzepten von Besitz und Anspruchsdenken entziehen, die sich manchmal gänzlich verweigern, die viel schlafen, sich nehmen was sie brauchen und die Solidarität ihrer Mitmenschen einfordern.

So verändert Kedi — Von Katzen und Menschen nach und nach behutsam den Blick auf die Präsenz der Katzen in Istanbul. Ihr Dasein wird zum Widerstand, ihr Befinden zum Symptom der Veränderungen in der Stadt. Viel Zeit verbringt Ceyda Torun in einer alten Markthalle, wo die Katzen zwischen den Ständen jede Menge Chaos stiften. Die Halle solle bald einer breiten Straße weichen, ein Neubaugebiet an das Verkehrsnetz anschließen, erklärt eine Verkäuferin. „Wir machen uns mehr Sorgen um die Katzen als um uns. Sie haben niemanden mehr, wenn hier alles weg ist,“ ergänzt ein Kollege. Ein Dilemma, in dem stets Untertöne mitschwingen, die Filmemacher in der Türkei mittlerweile ins Gefängnis bringen können. Die Katzen verlieren ihren Lebensraum in der Stadt. Aber hielte man sie als Haustiere, verlören sie nach einer Weile ihr natürliches Wesen. Eine Frau gibt sich optimistisch: „Indem wir ihre Probleme lösen, können wir auch Unsere lösen“. Am Ende wird Kedi — Von Katzen und Menschen dann beinahe ein wenig rührselig, mit der Musik, letzten Blicken auf alle Fellnasen, die den Film bevölkerten, Istanbul im goldenen Licht des Sonnenuntergangs. Aber man sieht darüber gern hinweg. Schließlich bringen die Katzen in uns allen das Beste hervor.
 

Kedi (2016)

Früher habe es, erklärt ein alter Mann, auf jedem Schiff eine Katze gegeben, die an Bord alles Böse absorbierte. Vielleicht übernehmen herumstreunende Straßenkatzen die gleiche Funktion. Vielleicht sind sie essentiell für das Gleichgewicht in einer Stadt, in der unzählige Menschen, Religionen, Lebensstile, ja, buchstäblich zwei Kontinente aufeinanderprallen.

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Meinungen

Christa Baumhekel · 21.08.2017

Ein wunderbarer Film. Ich bin total begeistert. Nicht nur über die Fellnasen, auch über die Menschen. Istanbul auf Augenhöhe mit den Katzen hat mein Herz berührt. Ich habe den Film weiter empfohlen.

Simone Schwertfeger · 11.08.2017

Ich sehe mir den Film in Kürze an, ich freue mich riesig drauf!!! Der Trailer und die Voransage sind verlockend.